Es ist noch gar nicht so lange her, dass jeder Teebeutel für die britischen Soldaten an der nordirischen Grenze zwei Helikopterflüge absolvieren durfte: einmal vor Gebrauch und einmal als Abfall. Denn die britischen Truppen saßen in ihren Verbunkerungen fest, jeder Schritt ins Freie war lebensgefährlich. Seit heute spielt die britische Armee keine Rolle mehr in Nordirland, die Beobachtungstürme sind verschrottet, die meisten Stützpunkte geschlossen. Denn die Nordiren führen die Regierungsgeschäfte inzwischen selbst, die IRA hat sich in einen Veteranenverband verwandelt. Die verbleibenden 5000 Soldaten könnten ebenso gut in Yorkshire stationiert sein.

Zahlreiche Briten meinen, die Armee habe Nordirland vor der Apokalypse bewahrt. Die Wahrheit ist grauer, denn das Militär war nur kurz neutraler Schlichter und wurde alsbald Kombattant. Damit aber erhielt die IRA die Gelegenheit, die friedlichen Forderungen der Bürgerrechtsbewegung in einen postkolonialen Befreiungskrieg umzudeuten, der alsbald zu einem Bürgerkrieg degenerierte. Die Soldaten, die anfänglich mit Tee und Keksen begrüßt worden waren, verwandelten sich zumindest in den Augen der katholischen Minderheit schon bald in unerwünschte Besatzer. Die Militarisierung und Brutalisierung Nordirlands verzögerte eine friedliche Einigung erheblich, der militärische und polizeiliche Sicherheitsapparat hinkte stets hinter den Entwicklungen her, denn Bürgerkriege lassen sich niemals mit Gewalt beilegen.

Die reformierte nordirische Polizei hat diese Lektion noch immer nicht ganz begriffen, ihre Gebäude sehen noch immer wie Festungen aus. Jetzt werden die britischen Truppen anderswo dringender gebraucht. Aber es wäre gefährlich, wenn sie die nordirische Erfahrung ungefiltert in ferne Wüsten exportierten. (DER STANDARD, Printausgabe, 1.8.2007)