Nokia entwickelt die Software für seine Internet Tablets als offene Plattform, wodurch Hacks wie die N800-Roboter ermöglicht werden

Foto: Michael Dominik
Mit der Gründung der GNOME Mobile Plattform hat sich das dahinter stehende Desktop-Projekt vor wenigen Monaten ein kräftiges zweites Standbein verschafft. Eine der treibenden Kräfte dahinter ist der Mobilelefonhersteller Nokia , der auf seinen Linux-basierten Internet Tablets Nokia 770 und N800 zahlreiche GNOME-Komponenten zum Einsatz bringt. Am Rande der GNOME-EntwicklerInnenkonferenz hatte Andreas Proschofsky die Möglichkeit mit Nokias Open Source Software Manager, Carlos Guerreiro, unter anderem über die Vereinbarkeit der Anforderungen von Desktop-PCs und mobilen Geräten, über die Notwendigkeit von GTK+ 3.0 und die Auswirkungen des iPhones zu sprechen.

Dieses Interview ist auch im englischen Original verfügbar.

derStandard.at: Wie wichtig ist Schaffung der GNOME Mobile Plattform für eine Firma wie Nokia?

Carlos Guerreiro: Ziemlich. Eine der größten Ängste ist die vor einer möglichen Fragmentierung. Linux ist zwar ein immer wichtigerer Mitspieler, aber grundsätzlich ist das eigentlich nur ein Kernel. Wenn aber jemand Anwendungen auf eine andere Plattform portieren will, dann will er wissen, wie viele Geräte diese nutzen, wie viele potentielle Kunden er damit erreichen kann. Je fragmentierter das Ganze ist, desto unattraktiver wird es. Das ist also eines der Hauptprobleme, das wir mit der GNOME Mobile Plattform lösen wollen.

Dann haben natürlich noch alle beteiligten Unternehmen und Initiativen so ihre eigenen Strategien für eine Zusammenarbeit in diesem Bereich, dies besser zu koordinieren, ist für alle von Vorteil. So können wir schnell herausfinden, ob wir alle redundante Arbeit machen, die wir eigentlich gemeinsam machen sollten, oder ob wir doch besser getrennt vorgehen.

Ein weiteres wichtiges Ziel ist der Versuch, die Aufmerksamkeit für die Benutzung von GNOME in mobilen Geräten innerhalb der Community zu erhöhen. Besonders damit die Entwickler der einzelnen Projekte bei allen Entscheidungen auch immer mitdenken, dass ihre Software in entsprechenden Devices genutzt werden könnte, und darauf achten, dass sie auch in so einem Umfeld gut läuft.

Und zu guter Letzt geht es natürlich auch noch darum, das Interesse von Außenstehenden zu wecken. Zum Beispiel das von Unternehmen, die selber darüber nachdenken die GNOME Plattform zu benutzen. Für diese ist es einfach angenehm zu wissen, dass bereits andere große Unternehmen in das Geschehen involviert sind.

derStandard.at: Die GNOME Mobile Plattform verwendet eine Untermenge des "normalen" Desktops. Wie einfach ist ist es die Bedürfnisse von mobilen Geräten und dem Desktop zu vereinen?

Carlos Guerreiro: Derzeit ist das tatsächlich eine - relativ große - Untermenge der GNOME Plattform, plus einiger anderer Komponenten, die im Desktop-Umfeld keinen Sinn machen würden, aber im mobilen Bereich benötigt werden. Wie etwa der Window Manager Matchbox, der für Anwendungen optimiert ist, die immer im Vollbildschirmmodus laufen. Einige der anderen Komponenten verwenden ihre speziellen Zweige der Entwicklung - etwa die DBus-Version des Evolution Data Servers. Aber: Wann immer wir zu solch einem Mittel greifen, ist das mittelfristige Ziel, diese Änderungen in die Haupt-Codelinie einzubringen. Die meisten Bibliotheken lassen sich einfach auf unterschiedlichsten Geräten einsetzen, so sollte die gleiche Version des grafischen Toolkits GTK+ sowohl auf einem Desktop, als auch auf einem Internet Tablet oder auf einem Mobiltelefon gut laufen.

Schwieriger wird es erst bei den High-Level-Komponenten, aber bei den grundlegenden Dingen wie GTK+, GStreamer und gnome-vfs ist es leicht möglich die selbe Komponente überall sinnvoll einzusetzen. Die Herausforderungen, die sich etwa aus der Verwendung unterschiedlicher Versionen und Patches für GTK+ ergeben, sind durchaus zu bewältigen. Um ein Beispiel zu nennen: Aus der Einführung der 2D-Grafik-Bibliothek Cairo als fixe Grundlage für GTK+ haben sich Performance-Probleme ergeben, die letztlich dazu geführt haben, dass wir nicht auf neuere Versionen des Toolkits als 2.6 updaten konnten. Mittlerweile wurde dieses Problem soweit beseitigt, dass wir mit dem nächsten großem Softwareupdate für unser Tablet auf die Version 2.10 umsteigen werden, andere Firmen hängen aber weiterhin bei Version 2.6 fest.

derStandard.at: Heißt das, dass die Cairo-basierten Versionen von GTK+ nun endlich gleich schnell wie die älteren sind?

Carlos Guerreiro: Für uns arbeiten sie ungefähr gleich schnell. Allerdings muss ich schon herausstreichen, dass Cairo derzeit nur an wenigen, genau umrissenen, Stellen zum Einsatz kommt. Das heißt also nicht, dass Cairo als Ganzes bereits flott genug für mobile Geräte - oder auch den Desktop - wäre.

derStandard.at: Sie würden also gerne mehr auf Cairo setzen, wenn die Performance besser wäre?

Carlos Guerreiro: Definitiv. Die User Experience würde wohl davon profitieren, wenn wir auch die fortgeschrittenen Darstellungsmöglichkeiten von Cairo verwenden könnten. Aber derzeit ist Cairo einfach noch nicht ausreichend optimiert, um dafür eingesetzt werden zu können. Aber ich bin sicher, das kommt noch, einerseits durch Optimierungen von Cairo selbst, aber auch durch Hardware-Beschleunigung.

derStandard.at: Einige ihrer EntwicklerInnen haben hier auf der GUADEC eine - allgemein ziemlich positiv aufgenommene - Präsentation gestaltet, die gezielt eine Diskussion über GTK+ 3.0 los treten soll. Was war ihre Motivation dahinter?

Carlos Guerreiro: Ich denke das größte Problem, das wir derzeit mit GTK+ haben, ist dass es unmöglich ist, die Art von User Experience, die wir anstreben, nur mit dem eigentlichen Toolkit umzusetzen. Wenn man zum Beispiel sanfte Animationen im User Interface haben will, wenn man mehr Freiheit bei der Gestaltung von grafischen Oberflächen möchte, kann man dies mit dem derzeitigen GTK+ einfach nicht machen.

Man könnte dies natürlich auf unterschiedlichsten Wegen umgehen, etwa in dem man andere Toolkits verwendet, indem man direkt auf Cairo oder OpenGL zugreift oder auch externe Bibliotheken wie Pigment oder Clutter verwendet. Aber letztendlich wird dadurch das Schreiben von Anwendungen immer mühsamer, insofern ist das alles etwas, das man definitiv im Toolkit selbst haben will.

Einer der zentralen Punkte der Präsentation war, dass es immer offensichtlicher wird, dass es ohne das Brechen des ABIs (Application Binary Interface) nicht gehen wird. Das war die provokative Grundannahme von der wir ausgegangen sind, um herauszufinden, wie man zu einer Lösung kommen kann, ohne alle sinnvollen Dinge, die über die Jahre geschaffen wurden, über Bord zu werfen: Ein Toolkit, das stabile Programmierschnittstellen (APIs) hat und eine Unzahl von Anwendungen, die darauf aufsetzen. Es ging uns also darum zu einer Art Strategie zu kommen, wie man diese beiden Punkte vereinen kann - bessere Möglichkeiten für User Interfaces ohne gleich den gesamten Desktop durcheinander zu bringen.

derStandard.at: Glauben Sie, dass Sie damit Erfolg haben werden?

Carlos Guerreiro: Da bin ich mir sicher. Es wird Zeit und viel Ausprobieren brauchen - was auch heißt mal abzuklären, was wir eigentlich für Features brauchen und aus diesem Blickpunkt Code zu schreiben - es wird einige Sackgassen geben, aber am Schluss wird dabei etwas besseres herauskommen. Auch werden wir die Zusammenarbeit unserer eigenen Entwickler mit dem Upstream GTK+-Projekt intensivieren und so selbst zu diesem Unterfangen beitragen.

derStandard.at: Wenn wir schon von grafisch aufwändigen User Interfaces sprechen: Wie viel Einfluss hat hier das iPhone?

Carlos Guerreiro: Nun, zunächst mal ist das iPhone ja keine direkte Konkurrenz zu unseren Tablets, auch wenn es natürlich gewisse Überschneidungen bei den Anwendungsarten gibt. Aber es ist natürlich unleugbar, dass es die Erwartungen an User Interfaces verändert hat. Insofern ist davon auszugehen, dass es einen verstärkten Fokus auf diesen Bereich geben wird. Interessant ist aber auch noch, dass dadurch einige der Entscheidungen, die wir vor langem für unsere Internet Tablets getroffen haben, bestätigt werden. Etwa die Verwendung eines relativ großen Touchscreens, oder auch die Steuerung per Finger anstatt dem Verlassen auf Knöpfe.

Es gibt also definitiv eine spürbare Auswirkung - nicht nur für mobile Geräte sondern überhaupt für die Steuerung von Geräten im Allgemeinen, auch am Desktop. Touchscreens werden immer billiger, etwa für den Einsatz in Laptops, insofern würde es mich nicht überraschen, wenn das iPhone diesen Trend weiter beschleunigt.

derStandard.at: Eine der zentralen Diskussion auf der GUADEC war der "Online Desktop". Könnte so etwas auch für Nokias mobile Geräte von Interesse sein?

Carlos Guerreiro: Nun, wir haben die entsprechende Keynote auf jeden Fall mit starkem Interesse verfolgt, besonders da ja zumindest dreimal angeschnitten wurden, dass die Verwendung der gleichen Einstellung auf einem Desktop-PC und einem mobilen Device ein interessanter Anwendungsfall wäre. Natürlich gibt es derzeit noch keine fixe Zusage von uns zur Frage, ob wir uns an der Entwicklung des Online-Desktops beteiligen, oder ob wir das Ganze benutzen werden, aber die Idee ist jedenfalls äußerst spannend.

Vielleicht allgemeiner gesprochen: Eine bessere Verbindung zwischen Desktop- und Web-User-Experience ist auf jeden Fall etwas, dass wir erreichen müssen. Ist der Online Desktop der richtige Weg dahin? Nun, das ist eine interessante Frage, aber wir sehen uns das auf jeden Fall sehr genau an.

derStandard.at: Während der Nokia-Keynote wurde der Mozilla-basierte Maemo-Browser erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt. Soll dieser in Zukunft den Opera ersetzen?

Carlos Guerreiro: Momentan ist das nur eine Testversion. Aber ich denke, es ist nicht sonderlich schwer zu erraten, dass wir uns an der Entwicklung nicht beteiligen würden, wenn wir uns nicht zumindest die Möglichkeit für eine Nutzung offen halten wollen. Wir wollen einfach den bestmöglichen Browser auf unseren Geräten haben, insofern überprüfen wir stetig alle unsere Optionen.

derStandard.at: Gerade in den letzten Monaten gab es zahlreiche Anstrengungen, um den Stromverbrauch unter Linux zu reduzieren. Ist mangelhafte Effizienz ein Hindernis für den Einsatz von Linux im mobilen Bereich?

Carlos Guerreiro: Zumindest in Bezug auf Internet Tablets schlägt sich Linux eigentlich ziemlich gut, mit dem letzten Update für das Nokia N800 verbraucht es mittlerweile recht wenig Strom. Linux ist in diesem Bereich zumindest gleichwertig mit anderen Lösungen, wenn nicht gar besser. Es gibt natürlich immer Dinge, die optimiert werden können - und daran arbeiten wir auch aktiv - aber ich wäre ziemlich überrascht, wenn man etwa mit Windows CE eine längere Laufzeit erreichen könnte, ich glaub eher dass sie kürzer ausfallen würde.

derStandard.at: Mit mobilen Geräten - wie den Nokia Internet Tablets - die immer leistungsstärker werden und sich somit immer mehr der Funktionalität eines "normalen" Desktop-Rechners annähern, macht es da noch Sinn Updates in einem großen Schwung alle paar Monate anzubieten? Oder planen Sie auf einen regelmäßigeren Update-Service, wie im Desktop-Bereich üblich, zu wechseln?

Carlos Guerreiro: Zunächst mal: Die Idee unsere Geräte mehr und mehr zu einem Desktop werden zu lassen, ist definitiv Teil unserer Strategie. Wir betrachten die Internet Tablets als eine kleinen Computer, der für die Internet-Nutzung optimiert wurde, dabei aber wirklich mobil ist. In Bezug auf die Software-Updates: Wir haben uns mehr und mehr in eine solche Richtung bewegt. Momentan wollen wir es vor allem möglichst einfach machen, neue Anwendungen zu installieren, und sie über die Paketverwaltung up-to-date zu halten. Für Systemkomponenten machen wir das derzeit noch nicht, aber das könnte durchaus kommen.

derStandard.at: Das One Laptop per Child-Projekt benutzt für den "100-Dollar-Laptop" beinahe die selbe Softwarebasis wie Sie, beide entwickeln sie für Geräte mit beschränkter Hardwareleistung, hilft man sich da gegenseitig?

Carlos Guerreiro: Definitiv. In einigen Bereichen haben wir direkt zusammengearbeitet, etwa wenn es um die Performance oder das Power Management geht. Und natürlich profitieren wir indirekt davon, dass wir die selben Komponenten verwenden. Auch reden unsere Entwickler oft untereinander über einzelne Probleme. Und ich selber spreche recht oft mit Leuten wie Jim Gettys (Vize-Präsident im Softwarebereich bei OLPC, Anm.) oder mit jemandem von Red Hat, der am OLPC arbeitet, um gemeinsame Interessen und Chancen auszuloten. Außerdem treffen wir uns natürlich im Kontext der GNOME Mobile Initiative.

Dabei gibt es eine Vielzahl von gemeinsamen Interessen auf unterschiedlichsten Ebenen, Performance und Speicherverbrauch sind zwei augenscheinliche Gebiete, aber es gibt auch andere, etwa wenn es um die User-Experience geht. So hat das OLPC-Projekt versucht, einige Dinge zu erreichen, die man nicht so ohne weiteres mit dem derzeitigen Toolkit machen kann und in eine Cairo-basierte Lösung investiert. Fürs erste sind sie davon zwar wieder abgegangen, aber ich gehe davon aus, dass wir da in der Zukunft zusammenarbeiten werden.

derStandard.at: Abschließend: Was waren - aus Ihrer Sicht - die interessantesten Punkte an der diesjährigen GUADEC?

Carlos Guerreiro: Allgemein denke ich, dass diese GUADEC ziemlich anders als die letztjährige war, das hat mehrere Gründe. Einer davon ist, dass wir - diejenigen, die im Bereich mobiler Geräte tätig sind - letztes Jahr noch als Neulinge wahrgenommen wurden. Dieses mal sind wir uns schon viel mehr als Teil der Community vorgekommen, halt als einer mit einem leicht anderen Fokus. Das andere - und vielleicht hat das auch mit dem ersten zu tun: Letztes Jahr gab es zwar viele neue Entwicklungen rund um den GNOME aber kein prinzipielles Hinterfragen der Richtung, in die sich das Projekt bewegt. Und dieses Jahr gab es davon in den Keynotes eine ganze Menge, auch die präsentierten Projekte wie der Online Desktop oder PyroDesktop zeugen davon, indem sie neue Chancen und mögliche künftige Ausrichtungen für den GNOME aufzeigen. Das gab es letztes Jahr einfach nicht, insofern ist das eine sehr positive Veränderung.

derStandard.at: Wir danken für das Gespräch.

(Andreas Proschofsky)