"Wie können diesen Krieg noch gewinnen" – Was veranlasst zwei renommierte, zudem alles andere als Bush-freundliche US-Analytiker dazu, inmitten der täglichen Schreckensmeldungen aus Bagdad, den Lesern der "New York Times" eine derartige Frohbotschaft zu überbringen?

* * *

Vom Irak aus betrachtet, wo wir gerade acht Tage lang auf Erkundungsreise waren, um vor Ort mit amerikanischen und irakischen Militärs, aber auch mit Zivilpersonen zu sprechen, erscheint die politische Debatte in Washington surreal. Nachdem die Bush-Regierung in den vergangenen vier Jahren jede Glaubwürdigkeit verspielt hat, sind ihre Kritiker – teilweise als Folge davon – unfähig, just in einem Moment, da wirklich signifikante Veränderungen passieren, diese auch wahrzunehmen.

Die wichtigste Botschaft lautet: Wir kommen voran im Irak, zumindest in militärischen Belangen. Als zwei Analytiker, die Bushs katastrophalen Umgang mit dem Irak-Konflikt stets hart kritisiert haben, waren wir überrascht von den realen Fortschritten und vom Potenzial, vielleicht nicht unbedingt einen „Sieg“ zu erringen, wohl aber ein Mindestmaß an Stabilität herzustellen, mit dem wir beide, Amerikaner und Iraker, leben könnten.

Motivierte Truppen

Das erste, was einem gleich unmittelbar nach der Ankunft in Bagdad auffällt, ist die Moral unserer Truppen. Bei zahlreichen früheren Aufenthalten im Irak haben wir sehr oft US-Soldaten getroffen, die zornig und frustriert waren – viele hatten den Eindruck, dass wir strategisch und taktisch falsch agieren und dass sie ihr Leben für eine Sache riskierten, die aus ihrer Sicht nicht funktionieren konnte.

Heute ist die Moral ausgezeichnet. Soldaten und Marines erzählten uns, welch hervorragenden Kommandanten sie in General Petraeus hätten, dass sie seiner Strategie vertrauen, weil sie konkrete Erfolge zeitige, und sie das Gefühl haben, dass sich ihre Situation insgesamt seit der Truppenerhöhung entscheidend verbessert hat.

Gedrillt

Überall wurden Armee- und Marine-Einheiten darauf gedrillt, die irakische Bevölkerung zu schützen, mit den irakischen Sicherheitskräften zu kooperieren, neue Formen des Zusammenwirkens auf Lokalebene zu erproben und die Grundverorgung voranzutreiben – Strom, Benzin, sauberes Wasser ... Mittlerweile werden alle Angebote auf die Bedürfnisse der jeweiligen Kommune zugeschnitten – mit dem Ergebnis, dass die Opferzahl unter Zivilisten seit Beginn der Truppemnerhöhung um ein Drittel zurückgegangen ist - was aber natürlich immer noch viel zu hoch ist.

In Ramadi beispielsweise sprachen wir mit einem Marine-Käptn, dessen Kompanie harmonisch mit einer großteils sunnitischen Polizeieinheit und einer weitgehend schiitischen Armeeeinheit zusammenarbeitet. Er und seine Männer haben einen in arabischem Stil gehaltenes Wohnraum eingerichtet, wo man sich regelmäßig mit lokalen sunnitischen Scheichs aus der Region trifft, die früher allesamt Al-Kaida und andere Jihadisten unterstützten und nun um die Sympathie der US-Kommandeure wetteifern.

Einkaufsleben

In Ghazaliya, einer der vom Krieg am schlimmsten heimgesuchten Städte in der Nähe von Bagdad, sahen wir eine Straße, die auf dem bestem Weg ist, wieder ein florierendes Einkaufsleben zu entwickeln. Die sunnitischen Bewohner beklagten zwar einerseits, dass sie angeblich von schiitischen Polizeibeamten eines nahe gelegenen Checkpoints misshandelt würden, zeigten sich aber andererseits sehr zufrieden mit den aus US- und überwiegend kurdischen Armeeeinheiten gebildeten Streifendiensten, die durch die Straßen patroullieren. Tags darauf reisten wir auch in die im Norden gelegenen Städte Tal Afar und Mosul – eine ethnisch völlig durchmischte Region mit vielen sunnitischen Arabern, Kurden und Turkmenen.

Die Stärke der US-Truppen beschränkt sich dort auf ein paar hundert Mann, weil die Irakis mittlerweile viele Agenden selbst in die Hand genommen haben: Vertraueneswürdige Polizeioffiziere managen die Checkpoints in der Stadt, währen Armeeinheiten die Umgebung kontrollieren. Ob die irakischen Sicherheitskräfte auch bundesweit und auf lange Sicht so verlässlich sind, bleibt allerdings ein großes Fragezeichen.

Stimmungswandel

Fürs erste aber sieht die Sache viel besser aus als noch vor einiger Zeit. US-Berater berichteten uns, dass viele der korrupten und sektiererischen irakischen Kommandanten, die die Truppen einst unterwandert hatten, entlassen wurden. Nach Angaben der US-Armeeführung gelten mittlerweile mehr als drei Viertel der Kommandeure des in Bagdad stationierten irakischen Bataillons als vertrauenswürdig. Zudem macht auch die Integration in ethnisch-religiöser Hinsicht Fortschritte. Die effektivste irakische Einheit, die dritte Infanteriedivisdion, die noch 2005 fast nur aus Kurden bestand, setzt sich heute aus 45 Prozent Schiiten, 28 Prozent Kurden und 27Prozent Sunniten zusammen.

Und: In der Vergangenheit waren die irakischen Truppen zu kaum mehr imstande, als den großen US-Operationen sozusagen ein irakisches Gesicht zu geben. Heute findet man kaum mehr einen US-Kommandanten, der behaupten würde, dass die irakischen Einheiten nutzlos wären.

"Volksseele"

Dass das sich das US-Blatt plötzlich zum Positiven gewendet hat, liegt aber wohl nicht zuletzt auch daran, dass die „Volksseele“ sich immer öfter gegen Al-Kaida und anderen Aufständische entlädt. Diese Gruppen versuchten, die Sharia wieder einzuführen, übten brutalen Druck auf die einfachen irakischen Bürger aus, um sie „auf Linie“ zu bringen, töteten lokale Führer und verkuppelten junge Mädchen an ihre Untergebenen. Die Konsequenz: In den vergangenen sechs Monaten haben sich viele Iraker von den Extremisten abgewendet und bei den Amerikanern Schutz und Hilfe gesucht.

Anschaulichstes Beispiel dafür ist die Provinz Anbar, die sich innerhalb eines halben Jahres von der schlimmsten zur besten Region gewandelt hat (die Kurdengebiete ausgenommen). Noch vor ein paar Monaten mussten US-Soldaten in Ramadi um jeden Meter kämpfen, vergangene Woche schlenderten wir ohne Leibwächter durch die Straßen der Stadt.

Eine weitere Überraschung war, wie gut das von den Koalitionskräften installierte „Wiederaufbau-Team“ arbeitet. Wo immer wir auf so eine Gruppe trafen, waren stets auch lokale irakische Führer und Geschäftsleute dabei, die mit den Helfern zusammenarbeiteten, um die wirtschaftlichen und politischen Strukturen wieder in Gang zu bringen.

Schlussendlich bleibt die Lage im Irak aber natürlich ernst – vor allem angesichts der großen Probleme an der politischen Front.

Wie lange noch?

Wie lange sollen US-Truppen noch kämpfen und sterben für einen neuen Irak, während die irakischen Führer unfähig sind, ihren Teil zur Stabilisierung beizutragen? Und wie lange noch sollen wir unsere Kräfte in dieser Mission verschleißen? Diese drängenden Fragen machen deutlich, dass die militärische Aufstockungsstrategie nicht endlos forgesetzt werden kann. Aber es passiert genug Gutes auf den Schlachtfeldern des Irak, dass es sinnvoll erscheint, wenn der Kongress unsere Bemühungen noch bis mindestens 2008 unterstützt. (DER STANDARD, Print, 3.8.2007)