Gleich beim ersten Statement plauderte er es live aus: Schon vor der Sendung, als die Dame in der Maske war, hatte er ein Gespräch unter Männern geführt. "Ich wette, Frau Löffler wird diesen Roman zerfetzen. Es ist unmöglich, dass sie einen solchen Roman duldet", sagte Marcel Reich-Ranicki da in trauter Männerrunde zu Hellmuth Karasek und Mathias Schreiber. Und er wusste auch schon, warum die Literaturkritikerin etwas gegen das Buch haben würde: "Das ist nicht die Frage der Sprache. Es hat ganz andere Gründe, warum sie diesen Roman so entschieden ablehnt." Aha. Die Herren sind gebrieft, es kann losgehen. Im üblich herrischen Stil eines grotesk-gestrigen Patriarchen in trauter Familienrunde stürzte sich Reich-Ranicki auf die Frau, die in der Tat erwartungsgemäß kritisch reagiert und den Roman als "Fastfood" abgetan hatte. Haha. "Hocherotisch" sei das Buch (das übrigens einfach nur banal ist und sprachlich miserabel) und von einem "Nobelpreis- Kandidaten" dazu. Sie habe "dafür keinen Sinn", sei "prüde", "missversteht jeden Satz", ist "blind und taub". Der Chefkritiker triumphierend: "Ja, das entgeht Ihnen, Frau Löffler, die Zartheit dieses Buches!" Längst ist klar, dass es nicht um das Buch geht, sondern dass da eine provoziert und massakriert werden soll. Und dann, nach einem langen, langen Trommelfeuer, der Satz, der selbst die gefasst Lächelnde beinahe aus der Fassung gebracht hätte: "Sie halten die Liebe für etwas Anstößiges, Unanständiges, Frau Löffler. Aber die Weltliteratur befasst sich nun mal mit diesem Thema." Sexuelle Kompetenz Die Weltliteratur. Auf die kommen wir gleich noch zu sprechen. Aber hier handelt es sich sichtbar nicht um literarische, sondern um sexuelle Kompetenz. Kompetenz, wie die Herren sie verstehen. Kann diese Frau überhaupt mitreden? Hat sie nicht "ganz andere Gründe . . ."? Kurzum, ist sie nicht "mal baisée", wie man das in dem Land nennt, das so viel von der "Liebe" versteht? Schlecht gefickt, auf grob Deutsch. Was der Angreifer unter "gut gefickt" versteht, schildert er sodann mit folgender Szene. Reich-Ranicki: "Die Frau steht oben auf einem Balkon und der Mann unten. Der Mann guckt rauf und sagt: ,Ich will dich!‘ Und die Frau (Julia heißt sie beispielsweise) sagt: ,Langsam, nicht so schnell. Deine Liebe kommt mir zu rasch.‘ Sie bremst ihn." Das sei das Weltliteratur- Thema "Sehnsucht", sagt der Kritiker. Oder auch "dämonische Leidenschaft", sagt der Klappentext. Der Mann will, die Frau will nicht. Was seine Lust nur steigert. Denn wenn eine Frau Nein sagt, meint sie bekanntermaßen Ja. Der Raub der Sabinerinnen. Sah ein Knab ein Röslein stehn . . . Lolita. Weltliteratur. Da ist es keine Überraschung, dass dieser Mann eine Frau wie Sigrid Löffler ("Sie sind doch immer für die Rolle der Frau in der Gesellschaft und dergleichen.") nicht erst erobern, sondern gleich vernichten will. Ist sie doch einfach genau das Gegenteil von dem, was ihn anregt: Kopf, also nicht Körper. Sprache, also nicht Geheimnis. Kompetenz, also nicht Erotik. Das schließt sich aus. Bei einer Frau. Old-Brother-Container Wahrlich, diese letzte Sendung aus dem Old-Brother- Container war ein Lehrstück. Ein Lehrstück für Frauen und Männer. Wir lernten (wieder einmal): 1. Frauen sind Fremde. Sie gehören nicht dazu in der Men’s World, in der Männer das Gesetz machen. Und darum können die auch machen, was sie wollen. Egal, wie klug oder kompetent eine ist, beziehungsweise gerade dann: Jede Frau kann von jedem Mann liquidiert werden, indem er ihr die "Weiblichkeit" und damit das "Begehrtwerden" abspricht. Und was weiblich ist, bestimmt Er. Was begehrenswert ist, sowieso. 2. Sexualität ist eine Waffe, eine Männerwaffe. Und das hat Tradition. Seit 4000 Jahren ist die Geschichte der Sexualität in Wahrheit eine Geschichte der Sexualgewalt. Der öffentliche Anspruch der Frauen, dass sich das ändern soll, ist neu. Erotik und Gewalt sind traditionell miteinander verknüpft zur Sexualpolitik. Die reicht von der Diskriminierung bis zur Vergewaltigung. Und es ist etwas, was nur von Mann zu Frau funktioniert. 3. Es trifft immer die Frauen am härtesten, die nicht damit rechnen: Weil sie mit ihrem Frausein kokettieren - oder weil sie versuchen, ihrem Frausein zu entkommen. Eben die Frauen, die glauben, sie gehörten zu den so Schönen, dass sie begehrt werden - oder, sie gehörten zu den so Klugen, dass ihre Kompetenz ihr Geschlecht überragt. Doch: Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau. Und je kompetenter sie ist, um so bedrohlicher wird sie - und um so rabiater greifen Männer zur (Sexual-) Gewalt. Eine Frage der Ehre Sigrid Löffler hat nach der beschleunigten Talfahrt im letzten Quartett, das ja eher ein Trio mit Frau ist, die Notbremse gezogen, der "Ehre" wegen. Eine Eigenschaft, die nicht weit verbreitet ist beim schwachen Geschlecht. Eine andere Frau steigt für sie ein. Denn: Eine Frau ist eine Frau ist . . . Beim "Literarischen Quartett" am 18. August (22.15 Uhr, ZDF) werden wir zwei Männer und zwei Frauen sehen. Politisch korrekt quotiert. Doch im Gegensatz zu den Männern, die (fast) immer Männer sind, verstehen sich nicht alle Frauen immer auch als Frauen. Manchmal sind sie einfach nur Profiteusen. Elke Heidenreich zum Beispiel, die dem Spiegel verriet: "Ich hätte noch schlimmer mit ihr (Löffler) abgerechnet - dem Buch zuliebe!" Als ob es darum ginge . . . Doch wird die mit Löffler gleich alte Heidenreich trotz dieser sehr freundlichen Anmerkungen nur einmaliger Gast im neu besetzten Quartett sein. Dem Minirock zuliebe. Nachfolgerin darf nach dem Massaker die 16 Jahre (als Löffler) beziehungsweise 39 Jahre (als Reich-Ranicki) jüngere Iris Radisch werden. Die Zeit-Kritikerin war sich nicht zu schade, vier Wochen nach der Skandal-Sendung im Frühstücks-Fernsehen zu behaupten, sie habe den umstrittenen Roman noch nicht gelesen, aus "Zeitgründen" (Was entweder stimmt - dann ist ihr Mangel an Neugierde und Zeit kein gutes Zeichen für die Zukunft des Quartetts. Oder was nicht stimmt - was nicht minder beunruhigend wäre). Aber dafür ist sich Radisch sicher, dass so ein Massaker sich mit ihr nicht wiederholen wird. Klar, so was passiert immer nur der anderen. Nach der Sendung traten die beiden Herren übrigens noch kräftig nach. Wie sicher ein Mann wie Reich-Ranicki sich sein kann, zeigte auch die Dreistigkeit, mit der er log. Wohl in der gar nicht unrealistischen Annahme, dass seine Darstellung schwerer wiegt als die Realität. In der Frankfurter Allgemeinen behauptete Reich-Ranicki einfach, Löffler habe ihn zuerst angegriffen. In der Tat hatte die entnervte Löffler irgendwann spöttisch erwidert, woran er sich "ergötze", das sei "wahrscheinlich auch eine Altersfrage". Doch das sagte sie erst nach über einer Viertelstunde persönlichster Beleidigungen, Schlag auf Schlag. Ein "widerliches, niederträchtiges Weib" sei diese Löffler, vertraute Reich-Ranicki dem Bunte-Interviewer Paul Sahner ("mein Lieber") an - und wunderte sich dann, dass der das Telefonat veröffentlichte (zunächst taktvoll gekürzt, dann, als Reich-Ranicki abstritt, Wasser gelassen zu haben, in voller Länge). Der Kritiker hatte die Plauderei offensichtlich eher für ein Gespräch unter Männern gehalten. Wie gewohnt. Karasek - dieser so schlecht alternde Bursche, der es doch einst eigentlich schon mal viel besser gewusst hat - lud im Stern nach: Löffler habe einfach "gouvernantenhaft" reagiert, sie sei eben "stutenbissig", bei ihr komme "das Über- Ich ihrer Intelligenz in die Quere". Zu viel Bewusstsein und zu wenig Körper? Und: Löffler sei "durch die 68er- Zeit und die Frauenbewegung geprägt". Auch das noch. Die Frau hat auch noch ein Gedächtnis und dreht ihr Jackett nicht nach jedem modischen Pups. Ach ja, Form und Inhalt. Das musste Reich-Ranicki auch in der FAZ beredt beklagen: Dass Frau Löffler eine Art "Inhaltismus" betreibe - was wohl meint, sie interessiere sich beim Lesen auch für Inhalte. Wie peinlich. Und so gar nicht in, zumindest, wenn es sich um Inhalte handelt, an denen Frauen liegt. Männerweltliteratur Was in ist, das teilten Reich- Ranicki und Karasek den Leserinnen der Hörzu jüngst mit ihrer Auswahl der "zehn besten Romane des Jahrhunderts" mit. Und siehe da: Beide wählten zehn Romane von - zehn Männern. So ein Zufall. Mensworldliteratur eben. Alice Schwarzer ist die bekannteste deutsche Feministin. Im Herbst erscheint ihr Buch "Der große Unterschied. Gegen die Spaltung von Menschen in Männer und Frauen". (D ER S TANDARD , Print-Ausgabe, 18.8. 2000 / Süddeutsche Zeitung)