Die auf den ersten Blick unverschämte Forderung einer Gehaltserhöhung von rund dreißig Prozent ist so dumm nicht. Lokführer, derzeit in ganz Europa gesuchte Arbeitskräfte, haben in Deutschland jahrelang keine Gehaltserhöhung gesehen, verdienen rund 2000 Euro im Monat und lesen täglich von den tollen, wenngleich ziemlich wackeligen (Börsen-)Plänen der privatisierten Deutschen Bahn, bei der der Bund 49 Prozent am Unternehmen abstoßen will.

Das klingt nach ungewisser Zukunft für Mitarbeiter, die oftmals bei Nacht und Nebel ihren Dienst schieben müssen. Ihre Arbeitsumstände werden sich in diesem künftigen Umfeld kaum zum Besseren ändern. Ebenso wenig wird ein börsenotierter Arbeitgeber Gehaltserhöhungen ganz oben auf seine To-Do-Liste setzen.

Also wann, wenn nicht jetzt, kurz vor einer Änderung der Eigentümerstruktur, kurz vor einer - derzeit noch nicht fertig ausgedealten - Trennung von Bahn und Schienennetz, sollen sie auf den Putz hauen? Passenderweise ist auch gerade Reisezeit, und da wird dem Bahnkunden ebenso wie dem Bahnmanagement besonders schmerzlich bewusst, wie sehr sie von einer funktionierenden Zugsführung abhängen. Auch potenzielle Investoren werden einen solchen unbefristeten Streik mit Argusaugen beobachten.

Die deutschen Lokführer haben ein ähnliches Szenario erst kürzlich bei der Deutschen Flugsicherung beobachten können. Auch da ging es hart auf hart, auch da wurde gestreikt. Auf die Forderungen der Lotsen wurde weitestgehend eingegangen. Dieses Beispiel darf allerdings nicht dazu verführen, den Bogen bei der Bahn zu überspannen: Über ein Angebot überhaupt nicht zu reden - damit schaden sich die Lokführer selbst. (Johanna Ruzicka, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 07.08.2007)