Einst vollendete Gérard Mortier seine Ära konsequent mit einer Tumulte auslösenden Fledermaus, nachdem er jahrelang als konfliktfreudiger Intendant wenig unterlassen hatte, um für Wirbel zu sorgen. Sei es durch politische Scharmützel, sei es, indem er sich zum Kämpfer wider das Konservative in der Oper hochstilisierte.

Etwas stiller wurde es unter seinem introvertierten Nachfolger Peter Ruzicka. Jedoch auch da fand sich (zu Recht) manch Aufregungsgrund. Man wunderte sich, dass jemand, der in seiner intelligenten Eröffnungsrede die kommerziellen Seiten des Festivalbetriebes geißelte, dann zusah, wie dieser Bereich zu dominieren begann. Man diskutierte, ob der Intendant auch Chef eines anderen Festivals, der Münchner Biennale, sein dürfe und ob er überhaupt ausreichend in Salzburg anwesend war. Und bevor es ganz still wurde, erkor man Ruzickas Idee, im Mozartjahr alle Werke des Jubilars aufzuführen, zum Erregungsthema.

In der nun noch sehr jungen Ära von Jürgen Flimm war es bisher eher kuschelig-leise; der Vorverkauf lief ja gut. Und obwohl 2009 Einbußen von 1,5 Millionen Euro drohen, wollte Flimm bis dato die Festivallaune nicht durch Krisenbeschwörung vermiesen. Auch nicht mit einem fordernden Opernprogramm: Der freundliche Intendant, der ein Post-Mozartjahr-Menü präsentiert, das bunt zusammengewürfelte Raritäten unter dem Motto "Nachtseite der Vernunft" anpreist, setzt im Regiebereich auf solide bis elegante Routine (Armida und Eugen Onegin). Nur beim Freischütz hatte er das Pech einer etwas oberflächlichen Werkmodernisierung.

So weit lässt sich nach drei Premieren also bilanzieren: Flimm will seinem Publikum keine Kopfzerbrechen bereiten, vielmehr jedem etwas bieten und keinesfalls so viel Risiko eingehen, dass das Unternehmen in finanzielle Schieflage gerät. So finden sich neben den sanften Opernbefragungen im Konzertbereich Moderne und Tradition intelligent vermischt. Und natürlich sind auch prominente Namen Teil des Angebots. Hier hatte er etwas Pech. Nach Elina Garanca sagte Neil Shicoff ab; hinzu kamen Vesselina Kasarova, Rolando Villazón und sogar Anna Netrebko.

Das ist zwar ärgerlich, in der Häufung sehr auffällig und für ein Skandälchen instrumentalisierbar. Aber eine Katastrophe ist es nicht. Schließlich: Die Salzburger Festspiele müssen mehr sein als die Summe ihrer Stars. Sie sind selbst der Star. Und sie bleiben es durch die Qualität herausragender Produktionen und durch die einzigartige Quantität von Künstlern, deren Substanz dadurch, dass sie nicht in Klatschspalten vorkommen, keineswegs geschmälert wird. Und: Gerade im Umgang mit Ausfällen zeigen die Festspiele ihre Möglichkeiten.

Hier sieht es gut aus, es ist genug personelles Potenzial zu Gast. Statt Netrebko singt Christine Schäfer. Statt Garanca Andras Scholl. Sie sind keine Substituten. Sie sind Vertreter einer anderen Ästhetik, die locker eine Lücke füllen können, die nur nach Kriterien des Boulevards eine ist. Die Ausfälle können aber auch als Warnung zur rechten Zeit verstanden werden.

Erstens bieten sie die Möglichkeit, sich auf das Wesentliche zu besinnen. Nämlich auf die eigene Substanz. Zweitens wird man in Hinkunft bei Künstlern wie Netrebko und Villazón entscheiden müssen, ein bisschen vorsichtiger zu sein. Sie sind zwar gut, aber sie führen längst eine Art Doppelleben. Im normalen Opernbereich zu Recht berühmt geworden, füllen sie längst mit wenig anspruchsvollen Potpourri-Programmen große Hallen und sind offenbar auch einem Termindruck ausgesetzt, der sie langsam an den Rand ihrer Möglichkeiten bringt.

Man soll das nicht überbewerten. Auch ein Plácido Domingo hatte Krisen. Man wird die Netrebkos aber fragen müssen, was ihnen wichtiger ist - Quantität oder Qualität. Und die weitere Zusammenarbeit von deren Antwort abhängig machen. Für Aufregung aber sollen interessante Produktionen sorgen. (Ljubisa Tosic, DER STANDARD/Printausgabe, 08.08.2007)