Von Grazer Germanisten ins Visier genommen: unser Wortschatz und seine Redewendungen, die dem Rittertum viel verdanken.

Illustration: DER STANDARD/Walli Höfinger

Ein Grazer Germanisten-Team hat sich auf die Suche nach den Ursprüngen sprachlicher Bilder und Redewendungen gemacht. Eine Expedition in die Geschichte unserer Alltagssprache, die mancherlei Erstaunliches zutage bringt.

Wer hat nicht schon einmal ein Auge riskiert und sich dann aus dem Staub gemacht?! Ein alltäglicher Vorgang, dessen bildhafte Versprachlichung aus einer reichhaltigen kriegerischen Erfahrung schöpft. So geht die Redensart "Ein Auge riskieren" – also einen kurzen (heimlichen) Blick irgendwohin werfen – ursprünglich auf den Turnierbereich zurück.

Wenn ein Ritter schnell das Visier hob oder hinter dem Schild hervorblickte, um den Gegner zu mustern, lief er zu jener Zeit durchaus Gefahr, ein Auge zu verlieren. Da war es oft vernünftiger, sich gleich aus dem Staub zu machen, also den meist staubigen Turnierplatz zu verlassen.

"Zu unseren markantesten sprachlichen 'Erinnerungen' seit dem Mittelalter und davor zählen kriegerische Erfahrungen", sagt der Grazer Mediävist und Sprachforscher Wernfried Hofmeister. "Entsprechend hoch ist die Zahl der heute noch gebräuchlichen wehrhaft-martialischen Wörter und Wortverbindungen, die man speziell im Vokabular der Medien und der Politik antrifft."

Laufend werden hier Leute sprachlich ins Visier genommen, geraten unter Beschuss oder ins Kreuzfeuer der Kritik. Manche riechen Lunte, anderen steht ein Spießrutenlauf bevor. Dabei handelt es sich um Begriffe, deren Verbindung zu ihrem martialischen Entstehungskontext noch relativ offenkundig ist.

Etwas weniger deutlich ist die Herkunft etwa der Wendung "Mit jemandem anbandeln". Was heute gemeinhin als Versuch einer amourösen Beziehungsanbahnung gilt, bezeichnete ursprünglich unter anderem die ritualisierte Kontaktaufnahme der Kontrahenten beim Fechten. Scheitert die Annäherung und man lässt den Interessenten abblitzen, hat dieser – so die historische Entschlüsselung der bildhaften Redensart – sein Schießpulver wirkungslos verbrennen lassen.

Abstraktes verbildlicht

In dem von der Grazer Universität und dem Land Steiermark geförderten Projekt "Deutsche WortSchätze" haben Hofmeister und sein Team die historischen Wurzeln von bislang mehr als 1000 Redensarten und Ausdrücken aufgespürt und in einer allgemein zugänglichen Datenbank zusammengestellt.

"Der Drang, Abstraktes in vorstellbare Bilder zu übersetzen, ist offenbar ein Grundprinzip der menschlichen Sprache", so der Forscher. "Allerdings ist die wörtliche Bedeutung vieler dieser aus Fachsprachen stammenden Begriffe und Metaphern während der Jahrhunderte ihres Gebrauchs verblasst, so dass sie nur noch im übertragenen Sinn verwendet werden."

Neben dem sehr präsenten Themenfeld des Wehrhaften haben die Germanisten auch aktuelle Wendungen der metaphorischen Alltagssprache untersucht, die ursprünglich aus dem Bereich des Sports, der Musik oder des Religiösen stammen.

Aus Letzterem ging auch die im gesamten deutschsprachigen Raum verbreitete Arschgeige hervor. Wobei sich die Geige in diesem Fall vom umgangssprachlichen Ausdruck "geigen" für koitieren ableitet, der im 19. Jahrhundert in Anlehnung an die Hin- und Herbewegung des Geigenbogens geprägt wurde. Die Arschgeige spielte ursprünglich also auf den passiven Partner eines homosexuellen Paares an.

Erkennbar aus dem religiösen "Bildspendebereich" kommt etwa der Schweinepriester, ein ebenfalls im 19. Jahrhundert entstandener Begriff, mit dem die Schweinehirten im Klosterdienst bezeichnet wurden.

Einen reichen Fundus an sprachlichen Bildern bietet auch die Welt des Sports: So verweist beispielsweise die Schlagfertigkeit, mit der heute vor allem eine sprachlich-intellektuelle Qualität bezeichnet wird, auf die Fähigkeit eines Boxers, schnell und mit treffenden Schlägen zu reagieren.

Bewusstseinsarbeit

Um der historischen Entstehungsgeschichte der Begriffe auf die Spur zu kommen, werden von den Forschern an die 20 relevante Nachschlagewerke durchforstet. Wesentlich bei dieser Arbeit ist es natürlich auch, die aktuelle Verwendung der Begriffe nachzuweisen: "Zu diesem Zweck recherchieren wir nicht nur quer durch die Zeitungsarchive, sondern auch im Parlamentsserver", erklärt Hofmeister. "In den – meist etwas 'geglätteten' – stenografischen Protokollen finden wir die Belege für tatsächlich gebrauchtes Wortgut der österreichischen Standardsprache."

Mit ihrem "WortSchatz"-Projekt wollen die Grazer Germanisten nicht nur einen Beitrag zur Sprachforschung leisten, sondern auch einen Bewusstseinsprozess in Gang setzen.

"Indem wir die Ergebnisse unserer Arbeit in unterschiedlichster Form auch an die Schulen bringen", so Wernfried Hofmeister, "können die Kinder spielerisch ein Gefühl für Sprache entwickeln. Rund 4000 Schüler und ihre Lehrer haben sich bis jetzt schon mit den ,WortSchätzen' beschäftigt. Sie erkennen, dass Worte mit bestimmten Denkstrukturen verbunden sind und dass die sprachliche Kommunikation von diesen Zusammenhängen bestimmt wird."

Mittlerweile sei die Vermeidung von Sexismen oder Rassismen in gewissen Kreisen bereits Usus. "Vielleicht werden irgendwann auch die martialischen Begriffe aus der Welt des Krieges und des Kampfes dazukommen." Kann doch die Wahl der Worte je nach Kontext durchaus verletzend sein bzw. ein bestimmtes emotionales Klima schaffen. "Letztlich geht es darum, sprachlich bewusst und adäquat auf eine Situation reagieren zu können."

So sollte man etwa einen Muslim nicht unbedingt zu Kreuze kriechen lassen – außer man möchte diesen Menschen demütigen. Auch oft unbemerkte sprachliche Fehltritte wie "Durch den Rost gefallene Personen" oder der beinamputierte Sportler, von dem wir uns ein Stück abschneiden können, würden durch einen bewussteren Umgang mit den Versatzstücken unserer Sprache womöglich etwas seltener passieren. (Doris Griesser/DER STANDARD, Printausgabe, 8. August 2007)