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Von Mai 1975 bis April 1977 dauerte der Prozess in Stammheim. In den Kellerräumen des Gerichtsgebäudes tauchten jetzt Tonbandaufnahmen von Jan-Carl Raspe, Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Ulrike Meinhof auf (von links oben).

Fotos: AP, APA
Für Recherchen zu seiner RAF-Dokumentation stieß "Spiegel"-Chefredakteur Stefan Aust auf Originaltonbänder der Stammheim-Prozesse. Ein historischer Fund, berichtet Doris Priesching.

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4. Mai 1976, Gerichtssaal Stuttgart-Stammheim. Die Angeklagte Gudrun Ensslin beschreibt die RAF-Anschläge auf die US-Hauptquartiere in Heidelberg und Frankfurt. Dann die folgenschwere Passage: "Insofern sind wir sicher auch verantwortlich für Aktionen von Kommandos, zum Beispiel gegen das Springer-Hochhaus, deren Konzeption wir nicht zustimmen und die wir in ihrem Ablauf abgelehnt haben."

Schlüsselstellen

Damit ist es ausgesprochen: Ensslin distanziert sich öffentlich vom Anschlag auf das Hamburger Verlagshaus, an dem auch Ulrike Meinhof beteiligt war. Knapp einen Monat später erhängt sich Meinhof, zermürbt von Prozess, Isolationshaft und zuletzt von den Anfeindungen ihrer Haftkollegen Andreas Baader und Gudrun Ensslin, in der Zelle.

Es ist dies eine Schlüsselstelle in der RAF-Geschichte und dem Bruch, der sich während dieser Zeit zwischen den inhaftierten RAF-Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe und ihrer einstigen Gefährtin Ulrike Meinhof ereignete und dadurch letztlich wohl zum Selbstmord Meinhofs führte. Bisher gab es diese Aussage nur schriftlich.

Für Recherchen zu seinem für Herbst geplanten ARD-Zweiteiler begab sich der Spiegel-Chef und RAF-Chronist Stefan Aust gemeinsam mit seinem Kollegen Helmar Büchel in die Kellerräume des Gerichtsgebäudes und fand Mitschnitte mit Aussagen von allen vier Angeklagten während des Stammheimer Verfahrens zwischen Mai 1975 und April 1977. Der Großteil der Tondokumente wurde wie vorgesehen vernichtet.

Chaotische Szenen

21 blieben über, "die besonders wichtigen", wie Aust überrascht feststellt (siehe Interview).

Der Fund ist von historischer Bedeutung. Außer Stammheim wurden nur die Nürnberger und Auschwitz-Prozesse mit Tonbändern aufgenommen. Das Verfahren in Stammheim erregte großes Aufsehen, es gab chaotische Szenen. Die Gefangenen lieferten sich wilde Wortgefechte mit dem Richter und klagten über die Haftbedingungen.

Die Bänder kommen zur richtigen Zeit, jährt sich doch "der deutsche Herbst" um die "Landshut"-Entführung und die Ermordung Hanns-Martin Schleyers demnächst zum dreißigsten Mal.

Das lockt die Unterhaltungsindustrie: Die RAF kommt bald wieder ins Kino: In "Der Baader-Meinhof-Komplex" spielt Moritz Bleibtreu Baader. Vorlage ist Stefan Austs 1985 erstmals erschienenes Buch. Die ARD zeigt Austs Dokus am 9. und 10. September. Aufmerksamkeit ist ihnen mit dem spektakulären Fund sicher. (DER STANDARD, Printausgabe, 11./12.8.2007)