Als die Briten den indischen Subkontinent 1947 nach jahrzehntelangem Widerstand in die Unabhängigkeit entließen, menetekelte Winston Churchill: "Indien wird ziemlich schnell wieder in die Barbarei und Not des Mittelalters zurückfallen." Er sollte sich in diesem Fall geirrt haben. An diesem Mittwoch feiert die "größte Demokratie der Welt" ihren 60. Geburtstag. Und strotzt vor Selbstbewusstsein. Anders sieht es im Bruderstaat Pakistan aus, der am Dienstag - einen Tag früher - sein Jubiläum begeht. Von "60 bitteren Jahren" spricht dort die Zeitung Daily Times.

Indiens legendärer Nationalheld Mahatma Gandhi hatte den gewaltlosen Widerstand gegen die Kolonialherren angeführt, der 1942 in der Bewegung "Quit India" - "Verlasst Indien" - gipfelte. 1947 gaben die Briten schließlich nach, aber sie teilten den Subkontinent in das mehrheitlich hinduistische Indien und die Islamische Republik Pakistan, zu der damals noch das heute unabhängige Bangladesch gehörte. Die Geburt der Zwillingsstaaten mündete in eine gewaltige Völkerwandung und in ein Blutbad. Sieben Millionen Hindus und Sikhs flohen nach Indien, etwa ebenso viele Muslime nach Pakistan. Eine Million Menschen wurde getötet. Die Flüchtlingszüge waren voller Leichen. Die Teilung gehört bis heute zu den traumatischen Erinnerungen der Älteren. In Indien wurde Ghandis Weggefährte Jawaharlal Nehru erster Regierungschef, verankerte die Trennung von Staat und Religion und kämpfte für Demokratie und Bürgerrechte. Lediglich für 21 Monate verließ Indien den Pfad der Demokratie - als Indira Gandhi 1975 den Ausnahmezustand verhängte.

Der Vielvölkerstaat erbringt eine beispiellose Integrationsleistung, von der sich auch Europa einiges abschauen könnte - findet das Magazin India Today. Denn die Bevölkerung sei weitaus diverser mit viel mehr Religionen, Sprachen und Kulturen. Bei Reformen kommt Indien allerdings nur langsam vorwärts, obwohl Studien davon ausgehen, dass das Land 2050 nach China die zweitgrößte Weltwirtschaft sein wird. Noch ist der Subkontinent das Armenhaus der Welt. Ein Drittel der Inder lebt von weniger als einem halben Dollar pro Tag. 200 Mio. leiden Hunger, und die Hälfte der indischen Kinder ist mangelernährt. Auch innenpolitisch bleibt es brisant: In Kaschmir begehren Extremisten gegen Delhis Herrschaft auf, im Norden und Osten haben Maoisten ganze Landstriche unter ihre Kontrolle gebracht.

Trotzdem, Pakistan ist daneben ein Kunstprodukt ohne gewachsene Identität. Die Klammer der Religion reicht nicht, um die tiefen ethnischen Risse zu kitten. Das Land schlitterte in den vergangenen Jahrzehnten von einer Krise in die nächste. Zur Zeit tobt ein Machtkampf zwischen radikalen Islamisten, bürgerlichen Parteien und dem Militärregime von Präsident Pervez Musharraf.

Auch Delhi blickt mit wachsender Sorge auf das Nachbarland. Denn das Schicksal der ungleichen Zwillinge ist miteinander verwoben. Drei Kriege haben die Bruderstaaten seit der Unabhängigkeit gegeneinander geführt, zwei davon um die Himalaya-Region Kaschmir. Zuletzt standen die Atommächte 2002 am Rande eines Krieges. In Delhi sorgt der Gedanke für Alpträume, dass Extremisten in Islamabad die Macht - und damit auch die Kontrolle über die Atomwaffen - übernehmen könnten. (Christine Möllhoff aus Neu-Delhi/DER STANDARD, Printausgabe, 14./15.8.2007)