"Hast du 'Zelda' schon durch?", fragt mich letztens ein Arbeitskollege. Tatsächlich habe ich "Tears of the Kingdom", das vor wenigen Tagen erschienene Nintendo-Highlight, für den STANDARD getestet. Nach rund 20 Stunden und meinem finalen Fazit musste ich allerdings die Segel streichen. Die Welt ist riesig, es gibt unendlich viele Dinge zu entdecken und vor allem zu basteln – das geht sich einfach bei mir nicht mehr aus.

VIDEO: "Tears of the Kingdom" ist "Breath of the Wild" zur Potenz
DER STANDARD

Ich arbeite Vollzeit in einem nicht unstressigen Job, und die Forumskommentare sorgen zusätzlich dafür, dass ich mich gelegentlich in den Schlaf weinen muss. Das kostet in etwa so viel Kraft, wie den dreijährigen Sohn in der verbleibenden Zeit vor dem Nervenzusammenbruch zu bewahren, weil man die Banane an der falschen Seite geöffnet oder unabsichtlich selbst die Taste zum Holen des Aufzugs gedrückt hat. Long story short: "Zelda" passt derzeit nicht in meine Lebensplanung.

Da schläft nicht nur das Gesicht von Link ein, wenn er sieht, wie groß die zu entdeckende Welt von Hyrule ist.
Screenshot, aam / Nintendo

Älter werden

Dass ich einmal zu wenig Zeit für umfangreiche Videospiele haben werde, hätte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht ausmalen wollen. Das ist unendlich schade, denn schließlich habe ich meinem stetig älter werdenden Umfeld genau diese "Ausrede" immer wieder vorgeworfen, wenn jemand aus unserem engeren Gamer-Zirkel ausgeschieden ist. Regelmäßig wurden stressigere Jobs oder Nachwuchs als Gründe genannt, warum Menschen aus dem Hobby "rauswuchsen". Nun gehöre ich selbst offenbar zu dieser graumähnigen Spezies, die nur noch maximal zwei Abende in ihr Lieblingshobby investieren kann und selbst dann manchmal zu müde dafür ist.

Wie schön wäre es, wenn ich mich acht Stunden lang mit Link in die Luft katapultieren und in Ruhe das neu inszenierte Hyrule erleben könnte? Wie befriedigend, noch viele weitere Schreine nach einigem Grübeln erfolgreich abzuschließen? Vom Stress begleitet immer wieder in 30-Minuten-Löchern schnell ein neues Gebiet aufdecken oder einen weiteren Berg erkunden, das ist gleichzeitig frustrierend und unbefriedigend – zumindest für mich. Wenn dann auch noch parallel das ideenarme, aber brachial inszenierte "Star Wars Jedi Survivor" erscheint, dann sprengt das mein aktuelles Lebenskonzept gleich mehrfach. Am Horizont dann noch "Street Fighter 6" und "Diablo 4" – wahrlich zermürbend für jemanden, der sehr viel Zeit in digitalen Spielen verbracht und es immer geliebt hat.

Unvergessliches Abenteuer

Aber irgendwann hole ich "Tears of the Kingdom" nach. Allein, was ich in den ersten 20 Stunden erleben durfte, war so einzigartig und mit Liebe zum Detail designt, dass ein völliges Den-Rücken-Kehren für mich nicht infrage kommt. Ständig sehe ich Videos auf den diversen Social-Media-Kanälen, in denen Leute verrückte Dinge mit der Bastelfunktion des Spiels erschaffen. Andere erzählen von unvergesslichen Abenteuern, auch wenn es sich um eine einfache Nebenaufgabe handelte.

Mit dem neuen "Zelda" hat Nintendo mit Sicherheit eines der Top-drei-Spiele in diesem Jahr geschaffen – vielleicht sogar das Spiel des Jahres. Verkaufstechnisch werden andere vorbeiziehen, allen voran "Diablo 4", aber was der japanische Konzern aus der angestaubten Hardware herausgekitzelt hat, beweist einmal mehr, dass man mit Kreativität und der nötigen Liebe zum Detail unglaubliche Videospiele erschaffen kann. 

Ein Leben ohne Videospiele kann ich mir nicht vorstellen, auch wenn sie derzeit nicht ganz oben auf meiner Prio-Liste stehen können. Mein Kind mit Essen versorgen, das dessen Ausdauer erhöht, oder es warm anziehen, damit ich mit ihm durch den kaltem Regen laufen kann, sind mit Sicherheit ebenfalls unvergessliche Abenteuer, denen ich in einem späteren Lebensabschnitt sicher genauso mehrere Tränen nachweinen werde. (Alexander Amon, 17.5.2023)