Der Gedanke, sich zum Herrscher über magische Welten aufzuschwingen, hat schon etwas. Als Meister über eine ganze Domäne den Blick aus dem riesigen Zauberturm genießen und sich die huldigenden Gesänge der glücklichen Untertanen anhören. Wäre da bloß nicht die lästige Konkurrenz.

Dem Ziel, der mächtigste Anführer der Welten zu werden, kann man in "Age of Wonders 4" (Windows, PS5, Xbox Series S/X) nacheifern. Entgegen der Benennung handelt es sich um den fünften oder sechsten Teil der 1997 begonnen Serie. Die genaue Zählung hängt davon ab, ob man "Age of Wonders: Shadow Magic" als Standalone-Add-on zu Teil 2 oder doch als eigenständiges Spiel verstehen will. Definitiv eine Nummer für sich ist das nicht nummerierte "Age of Wonders: Planetfall", das anstelle von Mittelalter-Fantasy allerdings Sci-Fi-Laser-Dinosaurier und dergleichen serviert.

Aber das sind alte Hüte. Teil 4 hingegen ist brandneu. Und es spart sich jeden Versuch, eine Geschichte zu erzählen und widmet sich umso mehr seiner Rolle als Bau- und Sandkasten, damit man das selbst tun kann. Eine Kampagne gibt es nicht, gespielt wird entweder in vorgefertigten Reichen mit unterschiedlichen Eigenschaften, oder auf Zufallskarten, die gemäß der eigenen Einstellungen generiert werden. Die Palette reicht vom Wald- und Wiesen-Gelände über arktische Landschaften, Wüstengebiete bis hin zu "instabilen" Landschaften, die sich laufend verändern oder solchen, die an der Oberfläche derart feindselig sind, dass man im kargen Untergrund sein Auskommen finden muss.

Age of Wonders 4: Story Trailer
Paradox Interactive

Volksbaukasten

Der Kartengenerator, der wunderschöne Fantasiewelten erschafft, ist aber nicht das Highlight. Das große "Ding" des vierten Teils ist es, dass man sich nun nicht mehr bloß seinen eigenen Anführer erschafft, sondern auch gleich das eigene Volk nach Lust und Laune konfiguriert. Das ermöglicht, wenn man will, das Ausbrechen aus gängigen Fantasyklischees. Hochwohlgeborene Lichtbringer-Orks mit Faible für Wissenschaft kann man hier ebenso erschaffen, wie kannibalische Sumpfkatzen. Auch die Äußerlichkeiten der eigenen Zivilisation darf man recht detailreich konfigurieren.

Als Anführer muss man auch nicht ins Schema passen, auch ein Zwerg darf hier Elfen anführen. Zudem steht zur Wahl, ob man als Volksheld zum Anführer geworden ist, oder als machtstrebender Magier. Das hat nicht unwichtige Implikationen dafür, wie man sein Spiel anlegen kann.

Die Grundlagen gibt einem das Spiel auf Wunsch über einen geschriebenen und vertonten Ratgeber mit, der einen auf den ersten Schritten begleitet und erklärend zur Seite steht, wenn man das erste Mal einen neuen Menüpunkt verwendet.

Age of Wonders 4 - Screenshot
Age of Wonders 4

"Age of Wonders 4" unterscheidet sich nicht grundlegend von vielen anderen Rundenstrategiespielen, wobei man hier aufgrund des Umfangs durchaus schon von einem (vergleichsweise zugänglichen) Grand Strategy Game sprechen darf. Man baut oder erobert Städte, lässt sie wachsen – neuerdings mit der selbst bestimmten Annexion angrenzender Provinzen und nicht mehr durch automatische Ausweitung der Stadtgrenzen.

Neben landschaftlichen Ressourcen entscheiden die Verbesserungen, die man baut, darüber, welche Einnahmen an Gold, Wissen und Mana eine Stadt erbringt und welche Einheiten man produzieren kann. Daneben erforscht man neue Zauber, die man auf der Weltkarte oder während Kämpfen wirken kann. Mit dem Öffnen verschiedener Zauberbücher schaltet man außerdem einmalige oder dauerhafte Verbesserungen für das eigene Reich auf verschiedenen Ästen eines Skilltrees frei.

Viel Feind, viel Ehr'

Abseits menschlicher oder KI-gesteuerter Konkurrenten, die um die Dominanz auf der gleichen Karte rittern, findet man auch allerlei neutrale und feindselige Kleinparteien. Ressourcen – und davon gibt es auch abseits des Basisbedarfs einige - werden oft von Gegnergruppen bewacht und müssen freigekämpft werden. Immer wieder ziehen aber auch wildgewordene magische Kreaturen oder Banditen durch das Land, deren Ursprung man ausfindig machen und eliminieren kann. Das ermöglicht es, dem Anführer, anderen Helden und auch den einzelnen Einheiten, Erfahrung zu sammeln.

Age of Wonders 4


Gewöhnliche Armeemitglieder bekommen nach fixem Schema bei Levelaufstiegen mehr Lebenspunkte und andere Attributsverbesserungen, Anführer hingegen erhalten neben mehr Lebenspunkten auch frei wählbare Zusatzfähigkeiten oder -attribute. Sie können außerdem auch Ausrüstungsgegenstände anlegen, die nach Kämpfen übrig bleiben oder sich entdecken lassen. Diese Upgrade machen sich mit der Zeit bemerkbar, es zahlt sich aus, Einheiten bei Kämpfen nicht sinnlos zu verheizen.

Schließlich findet man auf der Karte auch noch freie Städte. Diese kann man einnehmen, oder aber in einem rudimentär gehaltenen System Beziehungen zu ihnen aufbauen. Investitionen in selbige und Handelsabkommen vertiefen diese bis zu einem Punkt, wo sich die Stadtstaaten schließlich dem eigenen Reich als Vasallen anschließen und in weiterer Folge auch komplett integrieren lassen, wenn man das möchte. Allerdings können auch die eigenen Rivalen versuchen, einem hier zuvorzukommen.

Vier Wege zum Ziel

Gespielt wird um vier Siegkonditionen. Man kann alle anderen Widersacher militärisch ausschalten, einen Großteil der Karte erobern, ein magisches Wunder errichten und verteidigen oder bei Ablauf eines festgelegten Zuglimits einen Gewinn nach Punkten einfahren. Konfliktfrei ist das alles nicht, aber sich auf eine starke Defensive zu konzentrieren und im gut abgesicherten Kernland ein Wunder hochzuziehen ist ein absolut gangbarer Weg zum Ziel.

Age of Wonders 4 - Screenshot
Age of Wonders 4


Wer lieber auf die brutale Unterjochung der Mitherrschenden setzt, findet auch dafür genug Optionen. Auch an Offensivzaubern für Welt und Schlachtfeld mangelt es nicht. Die Komposition der eigenen Armeen aus unterschiedlichsten in Städten rekrutierten oder beschworenen Einheiten bietet viel Platz für Spielereien. Die Bandbreite wächst auch mit der Zeit, denn mit der Übernahme anderer Städte lassen sich auch andere Völker ins eigene Reich integrieren.

Bewährte Taktikkämpfe

Ausgetragen werden die militärischen Machtkämpfe auf recht detaillierten und schön gestalteten Schlachtfeldern, die ebenfalls in Hexfelder unterteilt sind. Der Ablauf ist wesentlich komplexer und langwieriger als etwa im Genre-Pionier "Heroes of Might & Magic", dessen letzter Teil für den PC 2015 erschienen ist.

Dafür hat man auch mehr taktische Freiheiten und das Durchlesen der Einheitenattribute ist dabei eine hilfreiche Angewohnheit. Grundlegende Komfortfunktionen gibt es aber, das Spiel zeigt an, wenn ein Ziel etwas immun gegen die Schadensart eines Zaubers ist und bildet auch den wahrscheinlichen Schaden eines Angriffs ab. Armeen werden aus bis zu sechs verschiedenen Einheiten (inklusive Helden) gebildet, eine Schlacht wird von maximal 3 Truppenverbänden pro Seite bestritten. Dennoch können im Gefecht mehr als 36 Einheiten dabei sein, da manche Kämpfer Sidekicks haben und auch die Option von Beschwörungen existiert. Schlachten, deren Ausgangssituation nicht extrem einseitig ist, sollte man manuell ausfechten und nicht berechnen lassen, da bei der automatischen Durchführung tendenziell mehr eigene Einheiten das Zeitliche segnen.

Bevor man sich in einen Kampf wagt, wird auch der Risikofaktor der Schlacht eingeschätzt. Da das allerdings ausschließlich auf Basis der Summierung eines Kampfwertes der verschiedenen Einheiten basiert, kann diese Bewertung trügerisch sein. Auch ein vermeintlich einfacher Kampf kann sehr teuer werden, wenn sich herausstellt, dass die eigene Truppe gegen die Schadensart des Gegners sehr anfällig sind.

Age of Wonders 4 - Screenshot
Age of Wonders 4

Das Einnehmen von Städten ist noch einmal etwas schwieriger, denn sobald diese minimale Befestigungen haben, müssen sie mehrere Runden belagert werden. Dabei kann man zwar "Projekte" unternehmen, um sich Vorteile für den kommenden Kampf zu verschaffen, in den meist drei bis vier Runden bis dahin kann aber auch der Widersacher noch reagieren. Gebäude bauen ist unter Belagerung zwar nicht möglich. Einheiten bauen oder von außen einrücken lassen, aber schon – ebenso auch magische Maßnahmen.

Bestreitet man ein vorgefertigtes Szenario erfolgreich, kann man den eigenen Helden ins "Pantheon" eingehen lassen. Das bringt eine kleine Chance, dass er in einem zukünftigen Spiel als ein hilfreiches Gastspiel gibt und ist gleichzeitig ein Incentive dafür, was Neues auszuprobieren. Mit der Zeit spielt man so auch neue und herausforderndere Welten sowie kosmetische Anpassungen frei.

Grafik, Sound, Technik

Grafisch gefällt das Spiel, die märchenhaft-zeichnerische Umsetzung entspricht der Tradition der Reihe und nimmt einen gut mit auf die Reise zwischen verschiedensten Biomen. Kenner der Serie werden sich schnell daheim fühlen. An der einen oder anderen Stelle könnte allerdings das Interface einfacher gestaltet sein.

Auch beim Sound hat man sich Mühe gegeben. Wer in die Karte hinein zoomt, hört stimmungsvolle Umgebungsgeräusche und in Kämpfen wird die Wucht schwerer Waffen und der Einschlag mächtiger Zaubersprüche ebenfalls ordentlich abgebildet. Der Soundtrack erfindet das Rad nicht neu, sondern setzt hauptsächlich auf Stücke, deren melodischer Aufbau schon in den Vorgängern hörbar war.

Auf der technischen Seite gibt es trotz zweier Hotfixes aber noch Nachholbedarf. Erstens neigt das Game selbst auf einem gut gerüsteten PC gelegentlich zu längeren Hängern. Zweitens kam es im Test in Online-Partien immer wieder vor, dass die Synchronisation zwischen den Spielern verloren geht. Passiert das während eines manuellen Kampfes, muss man sich dessen Ablauf bis zum aktuellen Zug von vorne ansehen, was selbst in beschleunigter Form eine gute Weile dauern kann.

Age of Wonders 4 - Screenshot
Age of Wonders 4

Fazit

Macht "Age of Wonders 4" bei so viel Detailarbeit auch Spaß? Ja, absolut. Es hat im Vergleich zum Vorgänger allerdings an Komplexität zugenommen und gerade wer mit den älteren Teilen nicht vertraut ist, sollte sich auf eine etwas längere Lernkurve einstellen. Dass die Entwickler der niederländischen Triumph Studios unter der Flagge des Strategie-Schwergewichts Paradox segeln, ist kein Zufall. Wer dessen Spiele kennt, findet in "Age of Wonders 4" eine Herausforderung, die sich vom Umfang her am ehesten mit "Stellaris" vergleichen lässt, noch bevor es gefühlt 100 Erweiterungen erhalten hat (tatsächlich sind es bisher 19).

Allen anderen sei gesagt, dass man hier selbst für eine "kürzere" Partie gegen Computergegner und weitgehend automatisiert ausgetragenen Kämpfen besser einen ganzen Abend einplanen sollte. "Schnell" und "Grand Strategy" vertragen sich nicht gut, das gilt auch für dieses Game.

Aber dafür wird man belohnt. Und zwar mit einer Heldengeschichte, die man sich selber schreibt, voller epischer Erfolge, herber Niederlagen und brenzligen Situationen. Und dem befriedigenden Gefühl, dass am Ende der eigene Plan einfach der bessere war. (gpi, 19.5.2023)