Die Debatte rund um die mögliche Unterstützung der Ukraine bei der Entminung hat die Frage ins Zentrum gerückt: Wie sieht Österreichs Hilfe für das von Russland attackierte Land aus? Ginge mehr? Einordnungen in einer Sache, die die Staatsspitze entzweit.

Anders als viele glauben, wird Entminung in der Regel nicht von Soldaten, sondern von darauf spezialisierten Zivilisten von NGOs und privaten Unternehmen durchgeführt.
APA/AFP/SERGEY BOBOK

Frage: Wer hat überhaupt genau was gefordert? Und warum?

Antwort: Ins Rollen gebracht hat" die aktuelle Debatte eine STANDARD-Recherche. 30 Prozent der ukrainischen Landfläche gelten als vermint oder mit explosiven Kampfmittelrückständen kontaminiert – das ist ein Gebiet, das zweimal so groß ist wie Österreich. Die Nachfrage im Verteidigungsministerium, ob die Regierung in Wien jener in Kiew bei den Räumungsarbeiten helfen könne, ergab eine Absage. Schon zuvor hatte Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) gesagt, sie könne sich eine Unterstützung durch das Bundesheer vorstellen – allerdings erst nach Ende des Krieges. Auch Räumungsarbeiten abseits der Front, also im zivilen Bereich in befreiten Gebieten, seien aktuell nicht möglich: Denn es sei nicht möglich, "zwischen einer humanitären und einer militärischen Entminung zu unterscheiden". Österreich könne daher "indirekt in Kriegshandlungen involviert werden, und als militärisch neutraler Staat ist dies undenkbar".

Frage: Und wer sieht das anders?

Antwort: Präsident Alexander Van der Bellen: Er verstehe nicht, warum die Regierung in der Frage "immer noch zögert". Der Präsident, der Oberbefehlshaber des Bundesheeres ist, sprach dabei dezidiert von der "Unterstützung bei der Entminung ziviler Bereiche wie Wohnhäusern, Schulen, Kindergärten oder landwirtschaftlichen Gebieten". Auf STANDARD-Nachfrage wiederholte er am Montag zwar, dass es ihm "natürlich" nicht um akutes Kriegsgebiet gehe und dass eine rein zivile Mission "sicher nicht der militärischen Neutralität" widerspreche. Wie aber der österreichische Beitrag konkret aussehen solle, ließ er erneut offen. Ob er damit also die Unterstützung bei der Finanzierung und Ausbildung für Räumungsarbeiten von Kräften vor Ort meinte oder gar die Entsendung von österreichischen Soldaten, präzisierte er auch weiterhin nicht. Genau Letzteres lehnte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) inzwischen klar ab: "Es wird kein österreichischer Soldat für so einen operativen Einsatz ukrainischen Boden betreten, solange das ein Kriegsgebiet ist."

Frage: Der Streit dreht sich also vor allem um die Frage der Entsendung österreichischer Soldaten?

Antwort: Hauptsächlich. Dabei heißt es sowohl vom grünen Regierungspartner als auch vonseiten des Bundesheeres, dass sie die Worte des Präsidenten gar nicht so interpretiert hätten. Mehrere Mitglieder der Regierung haben inzwischen angekündigt, die finanzielle Unterstützung von Räumungsarbeiten in nicht mehr umkämpften Gebieten der Ukraine zu prüfen. In den Details spießt es sich offenbar – zumindest in der Kommunikation. Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler ortete im Gespräch mit der Presse ein Missverständnis zwischen Kanzler und Präsident. Er selbst forderte nicht explizit einen österreichischen Einsatz vor Ort, sagte Kogler. Ob Van der Bellen einen solchen gemeint haben könnte? "Das habe ich noch nicht mit ihm besprochen." Der Vizekanzler äußerte keine Bedenken, so es sich um eine "humanitäre Aufgabe" handle. Wie diese nun genau aussehen soll, darüber herrscht offenbar keine Einigkeit. David Stögmüller, grüner Wehrsprecher, ging hingegen gedanklich einen Schritt weiter: Im Falle eines etwaigen EU-Mandats könne diese "humanitäre Aufgabe" auch von österreichischen Soldaten übernommen werden.

Frage: Steht die im Raum?

Antwort: Nein. Hilfe beim Entminen der Ukraine durch Spezialdienste aus EU-Staaten oder den USA findet bereits seit dem Jahr 2014 – seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim – statt. Die Notwendigkeit dafür ergab sich durch den Krieg in der Ostukraine, wo russische Einheiten die Separatisten im Kampf gegen die ukrainischen Truppen unterstützen. Weite Landstriche im Frontgebiet in Donezk oder Luhansk wurden vermint. Allerdings wird die Arbeit, wie in anderen Teilen der Welt, nicht von Soldaten von EU-Armeen, sondern in der Regel von Zivilisten durchgeführt. Es gibt dafür spezialisierte Unternehmen wie den Halo-Trust und NGOs, die im Rahmen von UN-Programmen oder auch der OSZE tätig wurden. Finanziert wird das durch Spenden oder staatliche Zuwendungen. Auch die EU unterstützt Kiew finanziell. 25 Millionen Euro wurden zuletzt für Entminung gewidmet.

Frage: Und spielt die Neutralität hier eine Rolle?

Antwort: Sowohl EU- wie auch Nato-Staaten unterstützen die Ukraine wirtschaftlich, militärisch, politisch. Sie achten jedoch darauf, keine eigenen Soldaten in das kriegsführende Land zu entsenden, weil ein solcher Schritt von Russland als Kriegserklärung interpretiert werden könnte. Allerdings helfen westliche Armeen der Ukraine insofern, als sie im Ausland ukrainische Soldaten beim Entminen ausbilden. So trainiert etwa das neutrale Irland auf Zypern ukrainische Kräfte. Auch die ebenfalls neutrale Schweiz beteiligt sich über ihr in Genf sitzendes Zentrum für Minenräumung, das der Staat finanziell unterstützt. Spezialisten der Schweizerischen Armee unterstützen die Ausbildung zudem.

Frage: Könnte Österreich mehr tun?

Antwort: Das ist Auslegungssache. Von politischer Seite werden bei der Frage der Unterstützung der Ukraine in manchen Fällen Neutralitätsbedenken geäußert, in anderen nicht. Mehrere Juristen und Politologen sprechen davon, dass Österreich sich bei der Entminung verstärkt engagieren könnte. Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) räumte in einem Datum-Interview ein, dass streng genommen die Ausbildung von Soldaten und selbst die Lieferung von Waffen vereinbar sei mit dem österreichischen neutralen Status: Es sei "letztlich eine politische Entscheidung, das nicht zu tun".

Frage: Welchen Beitrag könnte das Bundesheer überhaupt leisten?

Antwort: In den vergangenen Tagen hieß es von vielen Seiten, dass das Minenräumen zu den Stärken des österreichischen Bundesheers zählt. Oberst Michael Bauer, Sprecher des Verteidigungsministeriums, stellt dies im STANDARD-Gespräch in Abrede. "In einem Kriegsgebiet flächendeckend Minensprengfallen wegzuräumen ist nicht Aufgabe des Militärs", sagt Bauer. Das würden ausschließlich zivile Unternehmen machen, dafür sei nämlich kein Militär der Welt ausgebildet. Dass die Minenräumung zu den Stärken des Militärs gehört, sei "ein Märchen". Das würden jene sagen, "die wollen, dass das Militär das macht". Das österreichische Bundesheer habe wie jede andere Armee lediglich Geräte dafür, "um den Weg von A nach B der eigenen Gruppe sicherzustellen". Liegt also eine Mine im Weg, könne das Heer sie beseitigen. Für die flächendeckende Minenräumung brauche es ganz anderes Gerät, über das das Heer nicht verfüge. (Anna Giulia Fink, Thomas Mayer, Sandra Schieder, 23.5.2023)