Eine radioaktive Wolke bewege sich in Richtung Europa, warnte letzten Freitag Nikolaj Patruschew, der Sekretär des russischen Sicherheitsrats. Es sei die Folge der Zerstörung von Munition mit "abgereichertem Uran", die der Westen in die Ukraine geliefert habe, so Patruschew. Nach einem Raketenangriff auf ein ukrainisches Munitionslager in Chmelnyzkyj berichteten russische Militärblogger, dass Strahlenschutztrupps in der Stadt unterwegs seien. Nachprüfen kann man das nicht. Und die Wolke? "Derzeit besteht auf dem Territorium Polens keine Gefahr für die Gesundheit und das Leben der Menschen sowie für die Umwelt", sagt die polnische Atomenergiebehörde.

Uranmunition Serbien
Panzerbrechende 30-mm-Munition mit abgereichertem Uran wie hier auf einem Archivfoto aus Serbien kommt auch in der Ukraine zum Einsatz.
AP/Hidajet Delic

Auch wenn an der angeblichen Nuklearkatastrophe wohl nichts dran ist, Uranmunition ist äußerst umstritten. Für Russlands Präsidenten Wladimir Putin sind Urangranaten Waffen mit einer "nuklearen Komponente". Das ist zwar richtig, mit Atomwaffen allerdings hat diese Munition nichts zu tun. Sie nutzt ein Abfallprodukt aus der Produktion von Kernbrennstoff und Atomwaffen, sogenanntes abgereichertes Uran. Es ist zu schwach radioaktiv, um eine Nuklearexplosion auszulösen. Eine andere Eigenschaft macht das Metall jedoch für die Militärs sehr interessant. Uran ist extrem schwer, Granaten mit Urankern haben eine enorme Durchschlagskraft.

Potenziell katastrophale Langzeitfolgen

Abgereichertes Uran ist als Abfallprodukt billig, zumindest in Ländern, die eigenen Kernbrennstoff herstellen. Dies gilt für die USA oder Großbritannien – aber auch für Russland, das gleichfalls Uranmunition in seinen Arsenalen hat. Laut dem britischen Verteidigungsstaatssekretär James Heappey hat Großbritannien bereits tausende Schuss Munition an die Ukraine geliefert. Für britische Kampfpanzer, die dort im Einsatz sind, darunter auch Urangranaten. Die Langzeitfolgen des Einsatzes dieser Munition könnten katastrophal sein, befürchten Wissenschafter.

Dies zeigen Erfahrungen aus dem Irakkrieg 1991. Über 300 Tonnen Uranmunition verschossen die USA damals. Viele Jahre nach dem Krieg fielen dem deutschen Arzt Siegwart-Horst Günther, der in einem Bagdader Krankenhaus für eine Hilfsorganisation tätig war, zunehmend Missbildungen bei Neugeborenen und unbekannte Krankheiten bei Kindern auf. In der Folge untersuchten weltweit Wissenschafter die Langzeitfolgen von Uranmunition. Studien deuten demnach "auf ein gewisses krebserzeugendes Potenzial hin". In Laborversuchen wurden "krebserregende Mutationen von menschlichem Bronchialgewebe" nachgewiesen, Tierversuche bewiesen "erhöhte Mutagenität".

Nach der Explosion von Urangranaten belastet Uranstaub über viele Jahre die Umwelt, schwach radioaktive, giftige Uranpartikel werden von den Menschen in ehemaligen Kampfgebieten eingeatmet. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (Unep) stuft abgereichertes Uran als giftiges und radioaktives Schwermetall ein. Nach Angaben der kanadischen Atomsicherheitskommission ist das gesundheitliche Hauptrisiko nicht die Radioaktivität, sondern die chemische Giftigkeit des abgereicherten Urans. Demnach kann die Aufnahme oder das Einatmen hoher Mengen die Niere beeinträchtigen und über längere Zeit das Lungenkrebsrisiko erhöhen.

Plutoniumspuren möglich

Hingegen sieht die Internationale Atomenergiebehörde keine signifikanten Risiken für Öffentlichkeit und Umwelt beim Einsatz abgereicherten Urans. Die US-amerikanische Umweltbehörde EPA dagegen warnt: "Wenn abgereichertes Uran eingenommen oder eingeatmet wird, stellt dies eine ernsthafte Gefahr für die Gesundheit dar." Hinzu kommt: Laut einer internen Studie des US-Verteidigungsministeriums vom Dezember 2000 kann abgereichertes Uran auch Spuren von Plutonium enthalten. Und Plutonium ist eines der gefährlichsten Gifte, die es gibt. (Jo Angerer aus Moskau, 23.5.2023)