Der Ablagesessel
Die einen können nicht ohne ihn, die anderen ertragen den Anblick getürmter Wäsche nicht.
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Pro

"Der Sessel", wie ich ihn nenne, ist mein liebstes, weil auch wichtigstes Möbelstück. Mein eigenes kleines Eck Chaos. Er steht im Schlafzimmer, ist gepolstert, und ein Muster mit einem Märchenschloss ziert ihn. Nur ich darf meinen Kleiderstapel angreifen, selbst mein ordnungsliebender Freund hat hier keine Macht. Es stapelt sich manchmal meterhoch. Im Winter musste ich versuchen, meinen gesuchten Wollpulli wie bei Jenga herauszuziehen, ohne dass alles in sich zusammenfällt. Welches Möbelstück bietet sonst so viel Thrill?

Auf dem Sessel ist Platz für Schrödingers Gewand: Hosen und Pullis, die nach einmal Tragen weder verschwitzt noch dreckig sind. Wo sonst gibt man so etwas sonst hin? In den Kasten zum Frischen passt es nicht, same mit der Dreckwäsche. Mein Hoodie wurde eh vom Shirt drunter vor Ausdünstungen geschützt. Den kann man sicher noch zwei, drei Mal anziehen. Vielleicht sollte man den Sessel einfach als nachhaltig framen, weil nicht jeder Fetzen sofort gewaschen wird. Der Sessel rettet die Welt.

Kevin Recher ist Lifestyle-Redakeur. Er wartet noch, bis der Ablagesessel von Influencern als Must-have entdeckt wird.

Kontra

Vor zwei Jahrzehnten hat sich der Ablagesessel in mein Schlafzimmer geschlichen und seitdem die dortige Atmosphäre geprägt. Ein Bollwerk des Chaos, appellierte er an meine niederen Bedürfnisse der vermeintlichen Gemütlichkeit und suggerierte, dass er mein Leben erleichtere, indem er stets eine Hose oder ein T-Shirt griffbereit habe – egal ob dieses nun nach Schweiß stinkt oder nicht. Ein Umbau im Schlafzimmer zwang mich nun, Abschied vom stummen Begleiter zu nehmen.

Wäre er noch weiter dort gestanden, hätte ich selbst keinen Zugang zu meinem Bett mehr gehabt. Bereue ich den Abschied? Anfangs war es schwer, so wie bei jeder Trennung. Doch dann lernte ich, aus der Not eine Tugend zu machen: Denn wenn die zerknautschten Klamotten den blanken Fußboden verunstalten, dann ist der Anblick so fürchterlich, dass selbst ein Chaot wie ich sie nach kurzer Zeit wegräumt. Von dort wandert das dreckige Gewand in die Wäsche, das saubere in den Kleiderkasten. Wo es ebenso griffbereit ist wie zuvor auf dem Ablagesessel. (29.5.2023)

Stefan Mey leitet das Web-Ressort des STANDARD. Für Offline-Ordnung hat er noch keine App entdeckt.