Steigt die Temperatur weiter an, nehmen auch die Hitzetage zu. Auch ein Anstieg tropischer Nächte wird erwartet.
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Der französische Umweltminister Christophe Béchu startet am Dienstag eine nationale Debatte über die Folgen der Klimaerwärmung. Dazu aufgerufen sind Bürger, Verbände und Institutionen. Im Herbst sollen Strategien und konkrete Maßnahmen in einen nationalen Plan zur Anpassung an die Klimaerwärmung münden. Hier die wichtigsten Fragen dazu.

Frage: Von welchen Annahmen geht die Regierung aus?
Antwort: Minister Béchu erklärte, es gehe darum, "mit dem Leugnen aufzuhören". Die bisherige Annahme von zwei Grad Erwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts sei nur realistisch, wenn die Vorgaben im Pariser Abkommen von 2015 eingehalten würden. Das werde höchstwahrscheinlich nicht der Fall sein. Zu rechnen sei vielmehr mit einer globalen Erderwärmung um drei Grad. Das bedeute zwei Grad über den Ozeanen und vier Grad in Ländern wie Frankreich. In Paris sind sich Wissenschafter einig mit Béchu. "Vier Grad zusätzlich ist kein pessimistisches Szenario", erklärte der Klimatologe Vivian Dépoues. Sein Berufskollege Christophe Cassou hält bis 2100 eine Erwärmung um 5,6 Grad für möglich, wenn ein Beschleunigungseffekt einsetze.

Frage: Was wären die direkten Folgen?
Antwort: Ein Anstieg der Temperatur um vier Grad hätte gewaltige Konsequenzen, erklärte Béchu. Hitzewellen könnten im Sommer zwei Monate und mehr dauern; verschont würden in Frankreich nur wenige Regionen wie der Ärmelkanal, die Alpen oder die Pyrenäen. In den hauptbetroffenen Regionen – Mittelmeer, Rhonetal, Garonne-Tal – rechnet der Wetterdienst Météo France mit bis zu 90 "tropischen Nächten", in denen die Temperatur nicht unter 20 Grad sinkt. Gesundheitliche Schäden gingen damit einher. Da es fast nirgends mehr schneien dürfte, würde der gesamte Wasserzyklus gestört. Trockenphasen ohne jeden Regen könnten neun Monate von Frühling bis Herbst dauern. Die Waldbrandgefahr stiege in gefährdeten Regionen von 40 auf 97 Prozent. Dazwischen wäre mit sintflutartigen Niederschlägen zu rechnen. 50.000 Wohnungen und Häuser am Atlantik und vor allem am Ärmelkanal müssten wegen der Küstenerosion evakuiert werden. Bei einer Erwärmung um zwei Grad wären "nur" 15.000 Gebäude betroffen.

Frage: Wie will sich Frankreich auf den Klimaschock vorbereiten?
Antwort: Das französische Umweltministerium rechnet auch mit massiven Infrastrukturausgaben: Bewässerungssysteme für Landwirtschaft, Entschädigungen für stillgelegte Skiorte, Ausbau der Kanalisationen gegen plötzliche Überschwemmungen – oder auch Hilfen für Besitzer von Häusern, die zunehmend Risse bekommen. Die Eisenbahngesellschaft SNCF muss das Schienensystem auf tausenden Kilometern anpassen, um Hitzeexplosionen zu vermeiden. Schulen sollen den Asphalt ihrer Pausenplätze entfernen. Städte müssen Schattenzonen schaffen und Bäume pflanzen. Auf den Champs-Elysées könnten die Platanen durch Palmen ersetzt werden, wie die Lokalzeitung "Le Parisien" am Montag berichtete.

Frage: Wie hoch werden die Kosten sein?
Antwort: Das französische Umweltministerium schätzt die öffentlichen Mehrausgaben für die Vorbereitung auf das Vier-Grad-Szenario auf 45 Milliarden Euro – und zwar nicht als einmalige Ausgabe, sondern jedes Jahr. Das wäre mehr als das Verteidigungsbudget Frankreichs (40 Milliarden Euro). Mehrausgaben für Landwirte, Telekomprovider oder die Staatsbahn sind darin nicht enthalten.

Frage: Wer soll dafür bezahlen?
Antwort: Die politische Debatte über die Finanzierung der Schutz- und Vorbeugungsmaßnahmen hat bereits begonnen. Der Ökonom Lucas Chancel, Mitarbeiter des "Weltlabors für Ungleichheit", rechnet vor, dass das wohlhabendste Prozent der Weltbevölkerung mehr CO2 als die ärmere Hälfte verursache. Das müsse in einer "klimatischen" Steuerreform seinen Niederschlag finden, fordert Chancel. Die grüne Partei verlangt zudem ein Verbot von Privatjets in Frankreich.

Frage: Wie will die französische Regierung vorbeugen?
Antwort: Premierministerin Elisabeth Borne hat am Montag Maßnahmen vorgestellt, um die CO2-Emissionen in Frankreich bis 2030 im Einklang mit den EU-Zielen um 45 Prozent zu senken. Die Regierungschefin von Präsident Emmanuel Macron subventioniert das Stilllegen von Öl- und Gasheizungen und fördert Elektrofahrzeuge sowie Autobahnspuren für Fahrgemeinschaften. (Stefan Brändle aus Paris, 23.5.2023)