Dass der Bregenzer Bahnhof auf Google mit 3,9 Sternen abschneidet, überrascht. Denn regelmäßig ist er im Ranking der hässlichsten Bahnhöfe Österreichs ganz vorn dabei. Wer in die Suchmaschinenbewertungen reinliest, merkt aber schnell: Die Sternevergabe und die Begründung dazu passen nicht ganz zusammen – beziehungsweise schwingt eine große Portion Sarkasmus mit. So gibt ein Besucher beispielsweise fünf Sterne und schreibt: "Bahnhof hat bei den Dächern überall Löcher, perfekt zum Duschen." Ein anderer gibt vier Sterne und meint, der Bahnhof "sollte mal erneuert werden", denn an jeder Ecke habe es "Schimmel oder Spinnennetze ohne Ende" gegeben. Und eine andere schreibt: "Für Treppenliebhaber super! Für Personen, die funktionierende Rolltreppen bevorzugen, eher abzuraten."

Kübel als Symbol
Ebenfalls keine Fünf-Sterne-Bewertung gibt es auch von Daniel Zadra (Grüne), Landesrat für öffentlichen Verkehr, der den Bahnhof vergangene Woche als Schandfleck bezeichnet hat. Da stimmen ihm auch Pendlerinnen und Passanten zu. "Ich muss hier jeden Tag vorbei. Leider", sagt eine Frau auf dem Weg zur Arbeit. "Bregenz macht gern auf kosmopolitische Kulturstadt. Und ausgerechnet dieser trostlose Ort soll das Eingangstor zur Stadt sein?" Ein Schüler auf dem Skateboard meint kurz angebunden: "Die Kübel nerven schon ziemlich." Die gelben oder blauen Plastikbehälter und die daneben stehenden gelben Schilder, die auf Rutschgefahr hinweisen, sind zum Symbol für den Bregenzer Bahnhof geworden. Die Kübel fangen das Regenwasser, das durch das kaputte Dach tropft, auf. Die ÖBB sehen den Bahnhof als nicht mehr zu erhalten, er solle deswegen geschlossen werden und durch Container ersetzt werden.
Außenstehende werden sich fragen: Wieso wird ein Bahnhof, der nicht nur hässlich, sondern offensichtlich auch kaputt ist, nicht saniert? Oder erneuert?
Alte und neue Umbaupläne
In Bregenz dürfte diese Frage für einen langen Seufzer sorgen. Denn 2019 wurde ein Umbau beschlossen, die Finanzierung dafür zwischen Stadt, Land und ÖBB war geklärt, etwa zehn Jahre lang war verhandelt worden. 2021 hätten die Bagger anrollen sollen. Dem kam ein Wechsel im Rathaus dazwischen: Im Herbst 2020 setzte sich SPÖ-Mann Michael Ritsch mit 51,7 Prozent in einer Stichwahl gegen den bisher amtierenden ÖVP-Bürgermeister Markus Linhart durch. Der Bahnhofsumbau spielte im Wahlkampf eine gewichtige Rolle. Denn Ritsch war von Linharts Plänen nicht überzeugt und warb für einen großen Wurf. Ihm geht es nicht nur um den Bahnhof, sondern um das ganze Viertel, samt einer Landesstraße, die am Bahnhof vorbeigeht.
Ritsch will am liebsten Bahnhof und Straßenverkehr unter die Erde verlegen, damit mehr Frei- und Wohnraum über der Erde entsteht. Die in einer Lenkungsgruppe befragten Expertinnen und Experten bevorzugen hingegen ein Modell mit einer begradigten Landesstraße – die ebenfalls mehr Platz bringen würde. Vergangene Woche trat Ritsch vor die Presse und spielte den Ball Land, Grundstückseigentümern und ÖBB zu: Nun sei die Zeit gekommen, sich zu entscheiden.
Wobei: Ritsch sieht das anders. "Ich spiele niemandem einen Ball zu. Die Stadt hat in zwei Jahren akribischer Planungsarbeit alles Erforderliche getan, um eine Entscheidung in Bezug auf die Straßenführung und die Bebauung zu ermöglichen. Nun sind wir an einem Punkt angelangt, an dem wir aber keine Entscheidungskompetenz mehr haben", sagt er dem STANDARD. Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) habe er bereits eine Woche vorher über sein Vorhaben informiert.
Kritiker sehen Kindesweglegung
Bei den Parteien in der Stadt dürfte keine diesbezügliche Info angekommen sein. Grüne und ÖVP kritisieren die Vorgehensweise des roten Stadtchefs jedenfalls. Es gebe nun keine Chance mehr auf eine Eröffnung vor 2030. Die grüne Vizebürgermeisterin Sandra Schoch meint, Ritsch "torpediere" den zweiten Anlauf für den Bahnhof. Verhandlungen zu führen sei viel Arbeit, schreibt sie auf Twitter. Dass Ritsch dazu nicht bereit seit, lässt sie unausgesprochen. Sie sieht die Interessen der Stadt nicht mehr vertreten. Es gebe noch sehr viele Fragen zu klären, gerade was die Straßenverlegung betreffe, sagt die Vizebürgermeisterin. Etwa wie man die 15.000 Autos rausbekomme, die dafür weichen müssten, oder wofür die durch die Verlegung frei werdenden 10.000 Quadratmeter Fläche genau genutzt werden würden. "Sorry, aber so wird es mit der Bahnhofseröffnung noch weit über 2030 dauern."
Kritiker wie Schoch oder auch die ÖVP, die natürlich auf die alten Pläne verweisen, sehen im Vorgehen Ritschs eine Art Kindesweglegung. Der Bürgermeister habe erkannt, dass seine Vision erstens nicht rasch umsetzbar und zweitens viel zu teuer sei – und wolle nun nicht als Totengräber seiner eigenen Vision übrigbleiben.
"Nochmals: Was wir wollen, ist eine Entscheidung, wie es weitergehen soll. Diese können wir als Stadt nicht treffen, weil uns die Flächen, über die es zu bestimmen gilt, nicht gehören", sagt Ritsch.
Landesrat mit klarem Nein
Das Land winkt bezüglich der Straßenverlegung aber ab. 163 Millionen Euro würde eine unterirdische Führung der Straße kosten, die oberirdische Lösung wird mit Kosten von 27 Millionen Euro beziffert. Verkehrslandesrat Marco Tittler (ÖVP) antwortete Ritsch: "Die Straße ist so, wie sie jetzt da ist, intakt. Das heißt, aus Sicht des Landes gibt es keinen Grund, zu investieren."
Ritsch nehme das zur Kenntnis, "allerdings muss dem Landesrat auch klar sein, dass er mit seinem Nein, dem Vorhaben, welches die Mitglieder der Lenkungsgruppe befürworten und das von international renommierten Büros empfohlen und erarbeitet wurde, einen Riegel vorschiebt".
Architekten mit Einspruch
Mit dem Prozess vertraute Architekten verweisen allerdings wiederum darauf, dass im Wettbewerbsverfahren die Variante der bestehenden Trassenführung L 202 gar nicht bearbeitet werden durfte. Die Verlegung an die Bahntrasse sei Vorgabe von der Stadtplanung gewesen. Aber der Verweis Ritschs passe zu den zweifelhaften Prozessen, die es im Wahlkampf und nach dem Wechsel im Rathaus gegeben habe.
Die Situation scheint also verfahren. Bis tatsächlich Bagger anrollen, dürfte noch viel Wasser in Kübeln landen. Ein renommierter Experte, der in der Lenkungsgruppe zuletzt referierte, rechnet mit mindestens weiteren zehn Jahren notwendiger Planung. Auf Google gibt es Pragmatismus: "Ich musste dieses Elend 20 Monate über mich ergehen lassen, ehe ich mir endlich ein Auto geholt habe." (Lara Hagen, 25.5.2023)