"Vertrauen kommt zu Fuß und geht zu Pferd", sagt ein niederländisches Sprichwort. Diesen Sinnspruch zitierte Isidoros Karatzas, Leiter der Abteilung für Ethik und Forschungsintegrität der Europäischen Kommission, auf der Jahrestagung der Österreichischen Agentur für wissenschaftliche Integrität (ÖAWI) vergangene Woche in Wien. Der hiesige Forschungsbetrieb kann davon ein Lied singen. Die Wissenschaftsskepsis hat seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie vielerorts zugenommen, und insbesondere Österreich ist eines jener EU-Länder, wo sie laut verschiedenen Studien besonders ausgeprägt ist.

Die ÖAWI ist hierzulande seit 2008 die zentrale Institution zur Untersuchung von Vorwürfen wissenschaftlichen Fehlverhaltens. Ihr Vorstand, unter Leitung des Wissenschaftsfonds FWF, umfasst Mitglieder der Österreichischen Universitätenkonferenz, der Akademie der Wissenschaften, des Austrian Institute of Technology, der Universität Wien sowie der Medizinischen Universität Innsbruck. Die Einrichtung will jedoch nicht bloß Vergehen wie Plagiate oder Datenmanipulation aufdecken und so zur Maßregelung der dafür verantwortlichen Wissenschafterinnen und Wissenschafter beitragen, sondern darüber hinaus einen wesentlichen Beitrag zur gesellschaftlichen Vertrauensbildung leisten. Damit sei die Agentur Karatzas zufolge ganz auf der Linie der Europäischen Kommission.

Fehlverhalten in der Wissenschaft wiegt selbst dann schwer, wenn entsprechende Vorwürfe entkräftet werden können. Oft sind Karrieren dann schon beschädigt.
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Richtschnur guter Praxis

Er widersprach zudem der weithin verbreiteten Ansicht, dass die inzwischen detailliertere Prüfung von Forschungsarbeit und strengere Fokussierung auf wissenschaftliches Fehlverhalten eine jener bürokratischen Überreglementierungen sei, die man der EU häufig vorwirft "Wir müssen zusammen diesen Mythos zerstreuen. Ethik und Integrität machen Forschung besser. Sie können keine exzellente Forschung bekommen, ohne sich mit dieser Thematik zu befassen", sagte Karatzas. Die Wahrung der Integrität durch Einrichtungen wie die ÖAWI und entsprechende Prüfungsverfahren seien häufig schmerzhaft – vor allem für Institutionen und Personen, die mit Vorwürfen konfrontiert werden.

Deshalb könne man die Prüfung entsprechender Hinweise aber nicht außer Acht lassen: "Eine offene Wissenschaft bedeutet auch, nichts unter den Teppich zu kehren." Da sich aber viele derartige Vorwürfe immer wieder als falsch erweisen, haben die prüfenden Stellen neben einer akribischen Untersuchung auch die Verantwortung, Beschuldigte zu schützen, bis ihr Fehlverhalten erwiesen ist.

Im Zweifel für den Angeklagten

Somit gilt hier ebenfalls der Rechtsgrundsatz: im Zweifel für den Angeklagten. Folgerichtig referierte anschließend mit Nikolaus Forgó, Professor für Technologie- und Immaterialgüterrecht der Universität Wien, der juristische Experte innerhalb der ÖAWI-Kommission. Er verwies darauf, dass es keine einheitliche Definition für wissenschaftliches Fehlverhalten gebe, weshalb die ÖAWI sie in ihren Richtlinien bewusst nicht eindeutig festgenagelt habe. "Die gute wissenschaftliche Praxis wurde nicht per se definiert, was wahrscheinlich auch klug ist, weil es eben ein so ambivalenter Begriff ist", erklärt Forgó.

Stattdessen werde beispielhaft angeführt, was gute wissenschaftliche Praxis sei. "Denn nicht jedes Abweichen von der guten wissenschaftlichen Praxis ist ein wissenschaftliches Fehlverhalten", fügt er hinzu. Aus Sicht der ÖAWI ist wissenschaftliches Fehlverhalten jeder Verstoß gegen die gute wissenschaftliche Praxis, der vorsätzlich, grob fahrlässig oder wissentlich stattfand. Geklärt sei damit aber noch nicht viel: "Das sind sehr komplizierte Rechtsbegriffe. In einer Vorlesung zum Beispiel im Schadenersatzrecht würde man wahrscheinlich über jeden dieser Begriffe mindestens 20 Minuten lang reden." Forgó betonte dabei, dass die Arbeit der ÖAWI auch so komplex sei, weil die Kommission anders agiere und nicht über dieselben rechtlichen Instrumente verfüge wie ein staatliches Gericht.

Ein solches vereidige etwa Zeuginnen und Zeugen, wodurch Lügen zum Meineid und somit zur Straftat werden können. Aber auch wenn die Kommission nicht zu rechtlich bindenden Urteilen komme, haben ihre Einschätzungen eine hohe Komplexität und eine enorme individuelle Bedeutung – vor allem deshalb, da man Entscheidungen fälle, die manchmal Karrieren zerstören. Das kann auch jenen Forschenden passieren, die sich im Nachhinein als integer herausstellen, etwa wenn Verdacht und Verfahren vorzeitig öffentlich werden – etwa im Fall von selbsterklärten Plagiatsjägern, die ihre eigene Prüfung frühzeitig öffentlich machen. Deshalb betonte die Koordinatorin der Kommissionsangelegenheiten, Eva Korus: "Es geht uns um den Schutz aller Beteiligten. Vorverurteilung ist etwas, was wir in jedem Fall vermeiden wollen, weil wir auch Schwierigkeiten haben, dem entgegenzutreten – das setzt sich sehr schnell fest."

Heikler Balanceakt

Die Prüfungsarbeit wird daher erst nach einer direkten Meldung bei der ÖAWI aufgenommen. Jede Initiative werde äußerst vertraulich behandelt – vor allem, weil sich auch die Informantinnen und Informanten häufig in akademischen Abhängigkeitsstrukturen befinden. Langfristiges Ziel ist dabei aber offenbar nicht, die Anzahl der Verfahren und damit den Betrieb für nachträgliche Prüfungen wachsen zu lassen.

Vielmehr soll die Arbeit der ÖAWI dafür sorgen, eine Wissenschaftskultur zu etablieren, die gerade weniger solcher Untersuchungen notwendig macht. Korus: "Wir wollen präventiv arbeiten. Wir wollen Bewusstseinsbildung schaffen für wissenschaftliche Integrität, für die Sicherstellung der guten wissenschaftlichen Praxis." (Johannes Lau, 26.5.2023)