Der Wecker schrillt um sieben Uhr – ach, egal, das Online-Meeting ist ja erst für zehn Uhr anberaumt. Lieber noch einmal die Augen zumachen. Um elf Uhr dann erst noch das neue Computerspiel ausprobieren, die Excel-Tabelle kann warten. Vermutlich jeder und jede Angestellte, der oder die im Homeoffice arbeiten kann, kennt diesen Reiz, einmal kurz nichts zu tun.
Na ja, es sieht ja auch niemand. Im Büro sieht das Team sofort, wenn sich der eine Kollege bereits zum fünften Mal am Vormittag ausgiebig eine Zigarette auf der Terrasse gönnt. Oder doch zu lange "etwas einkaufen" geht. Remote ist es theoretisch möglich, die Füße auf Balkonien hochzulegen und stundenlang die Aussicht zu genießen.
Irgendwann geht eine kurze Denkpause jedoch in Arbeitszeitbetrug über – vor allem, wenn die Aufgaben nicht rechtzeitig und auch nicht richtig erledigt werden. Vielleicht sind solche Szenarien der Grund dafür, warum bekannte Führungskräfte wie Elon Musk oder Sam Altman so heftig gegen die Arbeit von zu Hause wettern. Keine Anwesenheit im Office, für Musk ist das "Bullshit".
Aber verleitet Homeoffice wirklich zum "Owezahn"? Oder ist das Tachinieren im Homeoffice ein normales Übel, welches Arbeitgeber hinnehmen müssen? DER STANDARD hat sich unter einigen Arbeitnehmenden mit Homeoffice-Zeiten umgehört und gefragt, was sie zu Hause wirklich tun. Alle Befragten wollten – aus Gründen der Rückverfolgbarkeit – anonym bleiben und auch ihre Tätigkeit nicht detailliert bekanntgeben.
Katja, 30, Projektmanagerin
Caspar, 30, Führungskraft
Jennifer, 29, Büroleiterin
Vor allem seit der Corona-Pandemie gibt es zahlreiche Studien, die zeigen: Homeoffice macht generell produktiver. Das zeigten etwa auch zwei Untersuchungen des OECD Global Forum on Productivity. Allerdings gäbe es laut der Studienautoren freilich Grenzen. Den höchsten Output hätten Beschäftigte bei maximal ein bis zwei Tagen am eigenen Schreibtisch – dann sinke die umgedrehte U-förmige Produktivitätskurve.
Das effektive Arbeiten dürfte sich laut der Untersuchung ebenso steigern, wenn die Beschäftigten selbst entscheiden können, ob sie remote arbeiten oder nicht. Am sinnvollsten wäre demnach nicht das reine Homeoffice, sondern hybrides Arbeiten.
Rechtlich ist die Zeit das Geld
Kommt die Chefin drauf, dass eine Person während der Arbeitszeit einkaufen oder beim Sport war, gibt es zwei Situationen: Arbeitet die Person vorher oder nachher die Arbeitsstunden nach, ist das zwar noch kein Arbeitszeitbetrug, aber eine Verfehlung, denn sie oder er hat sich die Arbeitszeit auf eigene Faust selber eingeteilt. Beendet die Arbeitnehmerin aber einfach nach sechs Stunden den Tag und geht zum Yoga, kann das als Betrug gelten.
Aufpassen sollten Homeoffice-Tachinierer jedenfalls, dass der Arbeitgeber nicht draufkommt, dass sie weniger Zeit arbeiten, als sie sollten. Arbeitsrechtsexpertin Kristina Silberbauer erklärt, wie es rein gesetzlich aussieht: In der Wirtschaft sei die Währung immer noch: Geld gibt es für Zeit, und wenn jemand den Arbeitgeber anlügt, ist das ein Entlassungsgrund. "Arbeitsrecht ist ganz eindeutig 40 Wochenstunden versus Gehalt."
Würde diese Regelung aber aufgeweicht werden und rein nach Erledigung oder Erfolg bezahlt werden, könnten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer jedoch ihren Schutz verlieren. "Man schuldet rechtlich nicht nur die Zeit, sondern auch das Bemühen", erklärt Silberbauer. "Erfolg schuldet man jedoch nicht." Wenn jemand aber lange Zeit kaum Leistung erbringt, aber viele Arbeitsstunden in Anspruch nimmt, ist das wiederum schon ein Kündigungsgrund, sagt die Expertin.
Rechtliche Fälle hatte Silberbauer diesbezüglich aber kaum. Es sei sehr schwer, überhaupt draufzukommen, wenn die Personen trotz privater Tätigkeiten bis 19 Uhr noch E-Mails schreiben. In der heute stark vernetzten Welt könne sich privat viel leichter mit Arbeit vermischen.
Asynchrone Arbeitszeit soll helfen
Firmen wie Airbnb lösen die immer komplexer werdenden Angewohnheiten vieler Arbeitnehmer eben so: Sie bieten asynchrone Arbeitszeiten an. Statt Arbeit in ein strenges Zeitregime zu pressen, sollen Angestellte ihrem eigenen Tempo und Rhythmus folgen. Das bedeutet auch ein Aus für Konferenzmarathons und den Zwang, Zeit abzusitzen, wenn man eigentlich schon fertig ist.
Ein Merkmal von asynchronem Arbeiten ist auch, Aufgaben nicht mehr sofort über Messenger-Apps zu kommunizieren, sondern zeitversetzt beispielsweise über die Kommentarfunktion von Textprogrammen zu vergeben. Während der eine Mitarbeiter also Offline geht und mit dem Hund spazieren geht, werkelt die andere Kollegin am Projekt bei sich zu Hause weiter. Beide können also gewissenhaft arbeiten, müssen sich aber auch beim "Tachinieren" nicht schlecht fühlen – so die Idee. (Melanie Raidl, 5.6.2023)