Es gibt eine Frage, die sich selbst Menschen oft gestellt haben, die lange mit ihr gearbeitet haben, aber auf die niemand so recht eine Antwort gefunden hat: Warum tut sie sich das eigentlich an? Pamela Rendi-Wagner war in ihrer politischen Karriere zigfach angezählt. In den vergangenen viereinhalb Jahren ging mehrfach das Gerücht um, Rendi-Wagner wolle hinschmeißen. Die Gerüchte kamen direkt aus ihrer Partei. Sie haben sich nie bewahrheitet.

Pamela Rendi-Wagner verkündete am Dienstag ihren Rückzug.
Heribert Corn

Rendi-Wagner blieb. Eisern, fast stur. Obwohl ihr ständig abgesprochen wurde, für das geeignet zu sein, was sie tat: SPÖ-Chefin zu sein. "Wenn wir sie einmal loswerden wollen, müssen wir sie aus der Löwelstraße tragen", hat einst ein SPÖ-Politiker gesagt.

Die Stellungnahme von Pamela Rendi-Wagner zum Ausgang der Mitgliederbefragung in voller Länge.
APA

Raustragen ließ sich Rendi-Wagner nicht. Mit ihrem dritten Platz bei der SPÖ-Mitgliederbefragung zog sie aber den Schlussstrich. Es ist Dienstagmorgen, der Medienraum im Parlament. In viereinhalb Minuten beendet Rendi-Wagner ihre Karriere an der Spitze der SPÖ. Dort stand sie als erste Frau. Kein Einziger ihrer Vorgänger wurde als Parteichef offen herausgefordert.

Fragte man Rendi-Wagner, warum sie sich das eigentlich antut, ist die Antwort recht klar und irgendwie trotzdem nicht greifbar: Sie habe die Aufgabe übernommen. Vor Augen hatte Rendi-Wagner aber doch, dass sie irgendwann doch noch die erste sozialdemokratische Bundeskanzlerin Österreichs wird. Es ist ein Wunsch, der, seit Montagnachmittag das Ergebnis des Mitgliedervotums verkündet wurde, schlagartig unerreichbar wurde. Das neue Ziel: "Wieder eine sozialdemokratisch geführet Bundesregierung zu haben", gibt Rendi-Wagner am Tag darauf aus. Doch es ist mittlerweile ein Ziel, das die SPÖ nur noch ohne sie erreichen könnte. Denn auch wenn das Ergebnis "arschknapp" sei, sie werde nicht mehr als SPÖ-Chefin kandidieren, sagt Rendi-Wagner.

SPÖ-Mitglied erst als Ministerin

Rendi-Wagners Weg in die Politik war alles andere als vorgezeichnet. Erst an dem Tag, bevor sie Gesundheitsministerin wird, tritt sie der SPÖ überhaupt bei.

Das geschieht im März 2017. Der damalige Kanzler Christian Kern holt Rendi-Wagner als Nachfolgerin der verstorbenen Sabine Oberhauser in sein Regierungsteam. Im Ministerium ist Rendi-Wagnerbereits seit sechs Jahren als "Generaldirektorin für öffentliche Gesundheit" tätig. Die promovierte Medizinerin wird von der Parteispitze als Expertin hochgeschätzt. Über den Gesundheitsbereich hinaus fällt sie lange nicht auf. Auch als Ministerin sind ihre politischen Positionen abseits ihres Kernthemas nicht wirklich bekannt.

Trotzdem übernimmt sie schließlich die SPÖ. Wieder ist es Kern, der die gebürtige Wienerin vorschlägt – diesmal soll sie seine eigene Nachfolgerin werden. Die SPÖ war davor – bei der Nationalratswahl 2017 – aus der Regierung geflogen. Rund ein Jahr führt Kern die SPÖ von der Oppositionsbank aus, bevor er hinschmeißt. Rendi-Wagner ist zu diesem Zeitpunkt Parlamentarierin und rote Gesundheitssprecherin. Dass sie ausgewählt wird, missfällt einem ganz besonders: Hans Peter Doskozil, der sich selbst Chancen auf den Chefsessel ausgerechnet haben soll.

Quereinsteigerin sucht Rückhalt

An einem Bundesparteitag im Jahr 2018 wird Rendi-Wagner mit 97,8 Prozent der Delegiertenstimmen gewählt. Als Quereinsteigerin fehlt ihr allerdings der Rückhalt in der Partei. Sie findet ihn in Wien. Bürgermeister Michael Ludwig wird ihr parteiinterner Schutzherr und größter Befürworter. Mit Ludwig stellt sich auch die zweite Nationalratspräsidentin, SPÖ-Urgestein Doris Bures, an Rendi-Wagners Seite. Der erfahrenen Politikerin wird ein fast mütterlich-freundschaftliches Verhältnis zur Parteichefin nachgesagt.

Pamela Rendi-Wagner hat in Wiens Bürgermeister Michael Ludwig ihren größten Unterstützer gefunden.
Heribert Corn

Der Dritte in Rendi-Wagners engstem Umfeld kommt aus der gleichen Ecke wie Ludwig und Bures: 2019 macht die Parteichefin Christian Deutsch zu ihrem Bundesgeschäftsführer. Auch Deutsch zählt zur sogenannten Liesinger-Partie – sie besteht aus früheren Unterstützern des damaligen Kanzlers Werner Faymann, der aus Wien-Liesing kommt.

Es sind auch die Menschen, die Rendi-Wager um sich versammelt, die ihr in der Partei Kritik einhandeln – insbesondere Deutsch, den viele in der SPÖ für eine Fehlbesetzung halten und das auch offen kommunizieren. Rendi-Wagner hält an ihm fest – so wie Ludwig und die "Liesinger" an ihr.

Begonnen hat das Gezerre an Rendi-Wagner aber bereits früher: direkt nach ihrem ersten ZiB 2-Interview als SPÖ-Chefin im Jahr 2018. Sie sitzt damals im Studio und erklärt, dass für Vermögenssteuern gerade nicht der richtige Zeitpunkt sei. Es gehe vorerst darum, dass die Menschen entlastet würden, sagt sie.

Pamela Rendi-Wagner bei einer Veranstaltung in Wien.
Heribert Corn

Mehr braucht es nicht. Sämtliche rote Parteigranden rücken über den Jahreswechsel aus, um Rendi-Wagner in die Schranken zu weisen: Für Sozialdemokraten gibt es keinen falschen Zeitpunkt, um Millionäre zu schröpfen, so der Duktus. Was Rendi-Wagner dadurch schnell und schmerzhaft lernen muss: lieber vorsichtig sein. Die Politik und auch ihre eigene Partei sind gnadenlos. Von da an wird sie in politischen Analysen häufig als "übercoacht" und unlocker beschrieben.

Vor allem nach Wahlen wird an ihr gezweifelt. Es kommt zum historischen Tiefstand bei der EU-Wahl, einem Debakel bei der Nationalratswahl und immer wieder schlechten Ergebnissen bei Landtagswahlen. Irgendwann werden die Querschüsse Rendi-Wagner zu viel. 2020 will sie es wissen. Schon damals stellt sie in einer Mitgliederbefragung die Vertrauensfrage: Soll sie Parteichefin bleiben? 71,4 Prozent bejahen das. Doch sie kann das Image der verunsicherten Verbissenen nie wirklich ablegen.

Die Unnahbare ist aufgetaut

Zumindest bis vor kurzem. Im Wahlkampf um den SPÖ-Chefsessel gewinnt Rendi-Wagner an Stärke. Sie wird selbstsicherer, formuliert weniger bedacht und gewählt. Manchmal wirkt sie beinahe gelöst. Das zeigt sie auch bei ihren Auftritten. Sie trägt jetzt Jeans und T-Shirts zu ihrem Blazer. Im letzten parteiinternen Gefecht ist sie aufgetaut.

Pamela Rendi-Wagner ist bei der Wiener Frauenkonferenz gelöst und locker.
Heribert Corn

Richtig nahbar ist Rendi-Wagner weiterhin nicht. Selbst viele, die sie gut kennen, tun sich schwer, sie zu charakterisieren. Was ihr aber selbst ihre größten politischen Feinde zusprechen, ist ihr Durchhaltevermögen. Das bringt die 52-Jährige von Kindheitstagen an mit. Als Tochter einer Alleinerzieherin wächst sie im Favoritner Gemeindebau auf und schafft, wie sie selbst gerne erzählt, mit viel Fleiß den Aufstieg. Sie studiert Medizin, lebt als Gastprofessorin in Israel.

Gereicht hat ihr Einsatz, ihr Durchhaltevermögen, nicht. "An der Spitze der Sozialdemokratie zu stehen, bedeutet große Verantwortung", sagt Rendi-Wagner am Montag im Parlament. Die Parteiführung und den Klub werde sie noch geordnet übergeben. An wen, ist noch nicht final geklärt. Dass gerade ihr größter Kritiker Doskozil die Basisbefragung gewonnen hat, erträgt Rendi-Wagner stoisch. Fragen beantwortet sie am Dienstag nicht. Oft genug musste sie über den Burgenländer reden. (Oona Kroisleitner, Katharina Mittelstaedt, 23.5.2023)