Seit Montag steigt der Konsum von Kaffee und Energydrinks in Israels Parlament mit jeder Stunde, die vergeht. Ein Debattenmarathon, in dem sich die Redner bemühten, mit möglichst gekonnten Formulierungen die Aufmerksamkeit der ermüdeten Abgeordneten zu gewinnen, mündete Dienstagabend in einen Abstimmungs-Langzeitlauf. Es geht wieder einmal ums Budget. Bis Montag muss der Finanzplan des Staates Israel beschlossen werden. Gelingt das nicht, gibt es automatisch Neuwahlen. Es ist ein besonderer Spannungsmoment in der Dramaturgie jeder israelischen Legislaturperiode – und für jede Koalition ist es von Neuem eine schwierige Kraftprobe, die es zu bestehen gilt.

Israels Premier Benjamin Netanjahu kämpft mit und um das Budget.
AP/Gil Cohen-Magen

Die Gefahr eines vorzeitigen Zerfalls haben die Regierungsparteien erst einmal gebannt: Trotz aller Drohungen, die Regierung zu verlassen, werden in den Abstimmungen, die vielleicht am Donnerstag, vielleicht auch erst am Sonntag beendet werden, alle Koalitionsparteien brav auf Linie sein. Möglich wurde das, weil sie ihre Wünsche nach zusätzlichem Geld zeitgerecht präsentiert hatten und erfüllt bekamen – manche von ihnen erst in letzter Sekunde.

In letzter Sekunde

Der größte Brocken entfällt dabei auf die ultraorthodoxen Parteien, die 13 Prozent der israelischen Bevölkerung vertreten. Sie erhalten umgerechnet rund 3,5 Milliarden Euro für ihre religiösen Schulen und Ausbildungsstätten, darüber hinaus Essensgutscheine und Stipendien für Bibelschüler. Als besonders umstritten gilt, dass die religiösen Privatschulen keiner Kontrolle durch den Staat unterliegen und auch ihre Lehrpläne nicht vorlegen müssen. Zuvor hatte der Staat öffentliche Förderungen an diese Schulen noch daran geknüpft, dass bestimmte "Kernfächer" – beispielsweise Englisch, Mathematik und naturwissenschaftliche Fächer – auch tatsächlich dort unterrichtet werden. Das neue Budgetgesetz sieht diese Kernfächer ausdrücklich nicht vor.

Oppositionsführer Jair Lapid wirft der Regierung vor, die Ultraorthodoxen "dafür zu bezahlen, dass sie nicht arbeiten". Er ist mit dieser Kritik nicht allein. Zuletzt wandten sich rund 300 Ökonomen, darunter auch rechtskonservative, an die Regierung und riefen sie auf, die Pläne zu überdenken. Ganze Kohorten künftiger Arbeitskräfte würden an den Bedürfnissen des Arbeitsmarkts vorbei ausgebildet, kritisieren sie.

In Tel Aviv wurde gegen das neue Budget demonstriert.
REUTERS/Corinna Kern

Warnung der Ökonomen

Sogar im Finanzministerium selbst sahen sich die Beamten veranlasst, ihre Kritik an der Politik öffentlich zu machen. Der Chef der Budgetabteilung im Ministerium, Jogev Gardos, warnte vor einem "Exodus" der Ultraorthodoxen aus dem Arbeitsmarkt und in der Folge auch vor einer niedrigeren Kaufkraft und Steuerleistung dieser Gruppe. Derzeit sind rund 50 Prozent der ultraorthodoxen Männer nicht erwerbstätig, sie leben von öffentlichen Zuschüssen. Sollte sich daran nichts ändern, werde die Regierung die Steuerquote in den nächsten dreißig Jahren um 16 Prozent erhöhen müssen, um weiterhin die nötigen Ausgaben bewältigen zu können, heißt es in einem Bericht des Finanzministeriums. Israel drohe seinen Platz unter den wirtschaftsstärksten Nationen zu verlieren, warnen die Ökonomen.

Dazu kommt, dass die Ultraorthodoxen die am schnellsten wachsende Bevölkerungsgruppe sind. In sieben Jahren wird ihr Bevölkerungsanteil laut Schätzungen bei 16 Prozent liegen, heute beträgt er 13 Prozent. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 23.5.2023)