Vor allem bei Demonstrationen wird der Polizei immer wieder übertriebene Härte vorgeworfen.
APA/TOBIAS STEINMAURER

Polizistinnen und Polizisten haben die gesetzliche Lizenz, Zwangsgewalt auszuüben, gleichzeitig aber auch den gesetzlichen Auftrag, beim polizeilichen Einschreiten immer die Verhältnismäßigkeit abzuwägen und, wenn möglich, gelindere Mittel einzusetzen. Dennoch wurden im Vorjahr rund 300 Verdachtsfälle überzogener Polizeigewalt gemeldet. Vor allem bei Demonstrationen gibt es immer wieder entsprechende Vorfälle, zuletzt sorgte ein Video für Diskussionen, auf dem zu sehen ist, wie in Wien ein Mann auf dem Boden fixiert und sein Kopf dabei mehrmals gegen den Asphalt gestoßen wird. Die Polizei wirft ihm vor, er habe die Aufforderung, sich von der Nähe eines Tatorts zu entfernen, ignoriert. Dort wollte er Geld abheben, was eine Frau zuvor durfte.

Hat die Polizei ein Problem mit überschießender Gewalt? Aktuell ist eine neue Meldestelle für Opfer von Polizeiübergriffen geplant. Insgesamt gab es 2022 23.200 polizeiliche "Zwangsmittelanwendungen". Jeden Tag greift die Polizei also durchschnittlich über 60-mal härter durch.

In heiklen Situationen zu deeskalieren wird bei der Polizei von der Grundausbildung bis hin zu Fortbildungen in der Führungsebene geschult. Es gebe Aus- und Fortbildungsinhalte in Bezug auf Deeskalation, Persönlichkeitsbildung, Psychologie und Problembewältigung, heißt es im Innenministerium auf Anfrage des STANDARD. Dazu gehörten auch Techniken des gesprächsgenerierenden Nachfragens, Metaverständnis von Beschwerden sowie theoretische Inputs.

Kein Geld für Beratungsstelle

In der Theorie sind Polizisten also gut ausgebildet. Bei Misshandlungsvorwürfen gegen die Polizei komme es aber fast nie überhaupt zu einer Anklage, kritisiert die Anti-Rassismus-Stelle Zara. Laut einer Studie des Austrian Center for Law Enforcement Sciences (ALES) gab es zwischen 2012 und 2015 insgesamt 1518 Misshandlungsvorwürfe gegen die österreichische Polizei, in nur sieben Fällen davon folgten Gerichtsverfahren. Verurteilung gab es gar keine. Immer wieder fallen auch Vorwürfe wegen rassistisch motivierter Amtshandlungen. Offizielle Statistiken dazu existieren nicht.

Der Bund stellte unter der türkis-blauen Regierung Förderungen für Beratungen in Rassismusfällen bei Zara ein. Diese dokumentiert Verdachtsfälle rassistischer Polizeigewalt. Daher finanziert Zara nun, anders als beim Thema Hass im Netz, die Beratungen nur noch über die Gelder der Stadt Wien. Durch die Finanzierungsprobleme mangelt es an Personal, was lange Wartezeiten für Betroffene zur Folge habe, sagt ein Sprecher.

Alfred Schön, Leiter des Referats für Diversität bei der Polizei Wien, setzt sich für eine Polizeiarbeit auf Augenhöhe ein: "Ich merke, wenn ich mit Menschen aus marginalisierten Gruppen, die öfter kontrolliert werden, rede, dass das etwas mit ihnen macht. Das können sich Leute nicht vorstellen, die nie kontrolliert werden. Deswegen muss man umso sensibler vorgehen." Es sei wichtig, Betroffene nicht zu duzen, und, sofern das möglich sei, eine Situation zu schaffen, in der kontrollierte Personen nicht bloßgestellt werden. Auch sei es ratsam zu erklären, warum jemand kontrolliert werde. Grundsätzlich dürfe das Aussehen allein kein Grund für eine Kontrolle sein.

Bodycams?

Immer wieder wird debattiert, Beamte zum Einsatz von Bodycams zu verpflichten, um Fälle besser nachvollziehen zu können. Bis 2024 soll die heimische Polizei flächendeckend Geräte erhalten, die Verwendung ist aber freiwillig. Eine verpflichtende Einschaltung würde zwar Einsätze nachvollziehbarer machen, Kritiker bemängeln aber, dass dadurch auch die polizeiliche Videoüberwachung im öffentlichen Raum erhöht würde.

Das Image der Polizei ist anhaltend gut: In Vertrauensindizes ist die Polizei Jahr für Jahr auf Platz eins, während etwa die Regierung und das Parlament über die Zeit an Vertrauen eingebüßt haben.

Im Blickfeld der Öffentlichkeit

Die Polizei "steht immer im Blickfeld der Öffentlichkeit", meint der frühere Topkriminalist Ernst Geiger, der sich seit Ende 2017 im Ruhestand befindet. Das gelte für früher wie heute gleichermaßen und liege in der Natur der Sache. Die Polizei habe immer schwierige Aufgaben: "Das beginnt bei Verkehrssündern und endet bei Schwerkriminellen." Geiger kam 1978 zur Polizei, er war im Wiener Sicherheitsbüro und im Bundeskriminalamt.

Was sich im Lauf der Zeit geändert habe: "Die private Dokumentation mit Videos", weist Geiger auf die ständige Verfügbarkeit von Smartphones hin. "Bilder vermitteln viel stärkere Eindrücke, auch wenn sie oft nur Ausschnitte zeigen und nicht das gesamte Geschehen. Die Kontrolle ist damit größer." Auch steige die Gewalt gegen die Polizei, sagt er. Im Jahr 2021 wurden laut dem Innenministerium 970 Beamte verletzt, im Corona-Jahr 2020 waren es 871. Den Höhepunkt in den vergangenen zehn Jahren markierte aber 2017 mit 1025 Verletzten. Im Verlauf der vergangenen zehn Jahre schwanken die Zahlen immer wieder. (Muzayen Al-Youssef, Anna Giulia Fink, Michael Simoner, 24.5.2023)