Wer wissen will, worin sich die zwei verbliebenen roten Vorsitzanwärter Hans Peter Doskozil und Andreas Babler inhaltlich unterscheiden, wird aus ihren Aussagen oft nicht schlauer. Im Gegenteil. "Schauen Sie", sagte Burgenlands Landeschef Doskozil etwa am Dienstagabend in der "ZiB 2": "Ich habe mich mit dem inhaltlichen Programm von Andreas Babler sicher nicht bis ins letzte Detail auseinandergesetzt." 

Anders sah es vor einigen Wochen auch bei Babler nicht aus. Danach gefragt, wie weit sich der Traiskirchner Bürgermeister eigentlich von Doskozils Politik entfernt sieht, antwortete Babler: "Wir werden uns in 80 Prozent der Überschriften treffen. Die Frage ist, was dahintersteht."

Was bringt der SPÖ-Parteitag und mit wem wäre die SPÖ bei der kommenden Nationalratswahl besser aufgestellt? Es antwortet Politikberater Thomas Hofer.
DER STANDARD

DER STANDARD hat sich die Gedankenwelten von Doskozil und Babler noch einmal näher angesehen. Eine gute Richtschnur dafür bietet die sogenannte Vorsitzbefragungs-Kabine der Jungen Generation, eine roten Nachwuchsorganisation. 

Hans Peter Doskozil
Der knappe Sieg bei der Mitgliederbefragung war für Burgenlands Landeschef Hans Peter Doskozil am Ende nicht mehr als eine erste Etappe Richtung Parteivorsitz.
APA/TOBIAS STEINMAURER

Mindestlohn vs. 32-Stunden-Woche

Hier stehen die beiden Kontrahenten einander eigentlich recht nahe, vertreten aber einen anderen Zugang. Doskozil drängt auf einen gesetzlichen Mindestlohn von 2.000 Euro netto für alle. Es ist sein Prestigeprojekt als Landeshauptmann, das er im burgenländischen Landesdienst bereits umgesetzt hat – wenn auch in etwas niedrigerer Form. Einen Mindestlohn kann sich zwar auch Babler vorstellen. Allerdings soll dieser von den Gewerkschaften verhandelt werden. Eine gesetzliche Variante sei zu stark davon abhängig, wer gerade die politischen Geschicke des Landes leite. 

Babler macht sich eher für eine 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich stark. Doskozil ist dem zwar nicht abgeneigt, will aber "zuallererst" für höhere Löhne sorgen. "Eine Verringerung bei diesem Lohnniveau zu fordern, damit tun wir uns keinen Gefallen", sagte Doskozil einmal in einem Interview mit News

Beide sind jedenfalls dafür, dass das Arbeitslosengeld deutlich hinaufgesetzt werden soll. Einig sind sich Doskozil und Babler in der Ablehnung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Aus Bablers Sicht würde eine solche Geldleistung den Ausbau des Sozialstaats gefährden. 

Vermögenssteuern

Etwas deutlicher als Doskozil wird Babler, wenn es darum geht, ob und wie hohe Vermögen besteuert werden sollen. Der ehemalige Kader der Sozialistischen Jugend tritt sogar für ein Maximalvermögen von beispielsweise 100 Millionen Euro ein. Die "Konzentration hoher Vermögen" gefährde die Demokratie, befindet Babler. Finanziell potente Spender könnten sich Gesetze "kaufen" und würden immer weniger zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben beitragen. Diese "Macht" müsse mit Vermögens- und Erbschaftssteuern "zurückgedrängt" werden. 

Vorstellbar ist für Babler eine Millionärssteuer ab einer Million Euro und eine Abgabe für "besonders hohe Erbschaften". Doskozil bleibt in dieser Frage kryptisch. Er fordert bisher bloß "faire Steuern auf hohe Vermögen". 

Andreas Babler
Rechnet sich im roten Führungskampf noch Chancen aus: Traiskirchens Bürgermeister Andreas Babler.
APA/ROLAND SCHLAGER

Asyl und Migration

Sucht man nach den größten Bruchlinien, wird man wahrscheinlich hier fündig. Babler will "gefährliche Fluchtwege" durch eine "glaubwürdige" Verteilung von Flüchtlingen reduzieren. Doskozil plädiert vehement dafür, dass Asylverfahren bereits an den EU-Außengrenzen durchgeführt werden. Der Burgenländer lehnte in der Vergangenheit außerdem eine Aufnahme von Flüchtlingskindern ab, als das Camp im griechischen Moria abbrannte. Ebenso konnte er sich eine Sicherungshaft für gefährliche Asylwerber vorstellen, "wenn sie der Verfassung entspricht". Bei beidem kann Babler nicht mit.

Das gilt ebenso, wenn es um eine Sanktionierung der Bundesländer geht, die weniger Geflüchtete aufnehmen, als der nationale Verteilungsschlüssel vorgibt. Babler ist dafür. Schutzsuchende sollen nicht länger als "Spielball" missbraucht werden. Doskozil spricht sich dagegen aus. Aus dieser Verantwortung solle sich niemand "freikaufen" können.

Staatsbürgerschaft

Hier tut sich ebenfalls eine Kluft zwischen Doskozil und Babler auf. Der Traiskirchener Bürgermeister ist dafür, dass es für Migrantinnen und Migranten einen leichteren Zugang zur österreichischen Staatsbürgerschaft geben sollte – etwa bei der erforderlichen Mindestaufenthaltsdauer in Österreich von zehn Jahren. Doskozil ist vehement dagegen. Aber zumindest in einem Punkt stimmt er mit Babler überein: Eine Senkung der hohen Kosten für den Erwerb der Staatsbürgerschaft kann aus Doskozils Sicht zumindest diskutiert werden. Sowohl Doskozil als auch Babler würden übrigens Doppelstaatsbürgerschaften erlauben. 

Frauen

Dass es Frauen in der Politik schwieriger haben, darin sind sich Doskozil und Babler einig. Beide versprechen, ein Regierungsteam aufbauen zu wollen, das zur Hälfte aus Frauen bestehen würde, sollten sie Kanzler werden. Im Gegensatz zu Babler sieht Doskozil die Genossinnen in der Partei aber eher nicht benachteiligt. Der Burgenländer betont jedoch, dass die "weiblichen Talente" der SPÖ künftig in die Funktionen kommen sollen, "die ihnen gebühren". 

Inhaltlich sprechen sich Doskozil und Babler zum Beispiel dafür aus, dass der Schwangerschaftsabbruch gratis werden und aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden soll.

Klimapolitik

Auch im Klimabereich gibt es Überschneidungen. Doskozil und Babler sehen die Klimakrise als das größte Problem des Jahrhunderts an. Beide empfinden es als legitim, dass sich Aktivistinnen und Aktivisten deshalb schon seit Monaten auf die Straße kleben. Ebenso sprechen sie sich dafür aus, Kurzstreckenflüge einzuschränken.

Ein Unterschied wird bei der Frage deutlich, ob auf der Autobahn generell Tempo 100 gelten soll. Doskozil ist dagegen. Als notwendiger erachtet er etwa den Ausbau der erneuerbaren Energien oder den Ausbau des öffentlichen Verkehrsnetzes. Babler sieht in der Temporeduktion hingegen durchaus eine Chance, um CO2-Emissionen kurzfristig senken zu können, würde das aber etwa mit der Pendlerpauschale für die Benützung des öffentlichen Verkehrs oder mit einer Lkw-Maut auf allen Straßen verknüpfen. 

Bildung

In der Bildungspolitik finden Doskozil und Babler ebenfalls zusammen. Sie fordern etwa eine gemeinsame Schule der Zehn- bis 14-Jährigen in ganz Österreich und die Abschaffung der "Deutschförderklassen", die Expertinnen und Experten als missglücktes Relikt aus türkis-blauen Zeiten betrachten. 

Babler mahnt zwar im Gegensatz zu Doskozil auch eine Lehrstellen beziehungsweise Ausbildungspflicht für größere Unternehmen ein. Aber eines schlussfolgern die beiden ident: Jene Betriebe, die keine Lehrlinge ausbilden, sollen überbetriebliche Lehrwerkstätten mit einem "solidarischen Betrag" mitfinanzieren müssen.

Legalisierung von Cannabis

Das lässt sich recht flott beantworten: Doskozil ist dagegen. Babler dafür. 

Einbindung der roten Basis

Die aktuelle Mitgliederbefragung könnte erst der Anfang gewesen sein. Sowohl Doskozil als auch Babler würden als Parteichef die rote Basis in Zukunft noch öfter einbinden. Aus Sicht beider soll der SPÖ-Vorsitz künftig verpflichtend durch einen Mitgliederentscheid bestimmt werden. Auch einem Koalitionsabkommen könnte vielleicht ja schon bald eine Abstimmung des roten Anhangs vorangehen.  

Gretchenfrage FPÖ

Da ist Babler eindeutig. Der Niederösterreicher will für eine Mehrheit jenseits von ÖVP und FPÖ sorgen. Den Freiheitlichen macht er zum Vorwurf, zu hetzen und zu spalten. Doskozil hingegen scheint sich eine Hintertür offen zu halten. Er lehnt eine Koalition mit der FPÖ nur mit Herbert Kickl als blauem Frontmann ab. An anderer Stelle sind sich Doskozil und Babler aber einig: Beide bevorzugen ein Ampelbündnis mit Neos und Grünen. (Jan Michael Marchart, 24.5.2023)