Der ORF hat einiges zu tun, wenn das neue ORF-Gesetz mit einem ORF-Beitrag von allen beschlossen ist, mahnt Heinz Lederer im Gespräch mit dem STANDARD. Der von der SPÖ entsandte Stiftungsrat erwartet "Offensiven" zu Personal, Transparenz und Nebenjobs sowie vor allem zum Programm: "Sonst können wir die ORF-Schlüssel gleich Herbert Kickl übergeben."

"Todesstoß für öffentlich-rechtlichen Rundfunk"

FPÖ-Chef Herbert Kickl hat angekündigt, er würde in Regierungsverantwortung den ab 2024 geplanten ORF-Beitrag gleich wieder streichen, Mittel für den ORF kürzen und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk aus dem Bundesbudget finanzieren – was die Unabhängigkeit der Finanzierung eher nicht erhöht. Lederer geht "felsenfest" davon aus, dass Kickl den ORF "absolut zusammenstutzen" würde. "Das wäre ein Todesstoß für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk", erwartet der SPÖ-Stiftungsrat und Kommunikationsberater.

ORF-Stiftungsrat Heinz Lederer (SPÖ) warnt vor dem "Todesstoß" für den ORF.
APA/GEORG HOCHMUTH

Was empfiehlt Lederer dem ORF und seinem Generaldirektor Roland Weißmann also, um einem so drastischen Szenario vorzubeugen?

Publikum verloren

Der ORF bekommt mit dem neuen ORF-Gesetz aus dem neuen ORF-Beitrag von allen, auch Streaminghaushalten, in den nächsten drei Jahren jeweils 710 Millionen Euro nach für 2023 geplanten 676 Millionen aus der GIS. Im Gegenzug sollen Werbebeschränkungen bei Ö3 und online den ORF laut Medienministerium rund 25 Millionen Euro kosten. Der ORF erhält zudem zunächst 100, dann jährlich 70 Millionen Euro aus dem Bundesbudget. Das ist definiert vor allem als Abgeltung für den Entfall des Vorsteuerabzugs, wenn der Bund auf Mehrwertsteuer auf den Beitrag verzichtet. 

"Wenn der ORF das Geld bekommt, muss er es raschest einsetzen, um neues Programm machen", sagt Lederer. "Wo sind die Programmoffensiven von TV und Radio für 2024?", fragt er. Der ORF müsse mit seinem Programm auch jene zurückgewinnen, die er in den vergangenen Jahren zu wenig angesprochen oder gar verloren habe.

Lederer verweist auf die jüngste STANDARD-Umfrage des Linzer Market-Instituts, in der nur die Hälfte der Sympathisantinnen und Sympathisanten von ÖVP und Neos Beiträge für den ORF gerechtfertigt findet, weniger als die Hälfte der SPÖ-Anhänger. Die anderen müsse der ORF zurückgewinnen. In der FPÖ finden 88 Prozent solche Beiträge nicht gerechtfertigt – "und das ist keine Kleinpartei", erinnert Lederer. Sondern die derzeit in den Umfragen stärkste Partei.

Der ORF-Stiftungsrat sieht etwa während der Pandemie, aber auch durch "zu exzessive" ökologische ORF-Schwerpunkte wie "Mutter Erde" Publikum verloren. "Programminitiativen werden sich mit diesen Zielgruppen beschäftigen müssen", findet Lederer: "Ich orte da große Probleme." Es fehle an Breite, etwa Interessen von Arbeitnehmern und Wirtschaft. 

"Massiven" Handlungsbedarf sieht der SPÖ-Stiftungsrat in der ORF-Information, insbesondere bei Diskussionssendungen. Zugleich warnt er davor, beim Auftragsvolumen für Programmproduktion zu sparen. "Wir bekommen das Geld, um Programm zu machen", sagt er. Und beobachtet im Gegenteil, dass der ORF "Programmentwicklung zurückschraubt".

Das ist für Lederer auch ein Personalthema. Er warnt davor, anstehende 500 bis 600 Pensionierungen in den nächsten Jahren praktisch nicht nachzubesetzen: "Wer soll dann das Programm machen?"

Gehälter offenlegen

Mit anderen Fraktionen im Stiftungsrat will der rote Rat darauf drängen, den Transparenzverpflichtungen des geplanten ORF-Gesetzes mit einer "Transparenzoffensive" zuvorzukommen – im Rahmen datenschutzrechtlicher Bestimmungen und geregelt von der ORF-Ethikkommission. Lederer plädiert für eine Offenlegung von Einkünften nach dem Vorbild von Nationalratsabgeordneten – die allerdings weniger detailliert ist, als das ORF-Gesetz es ab 2024 vorschreibt. Transparenz sei keine Rechtsfrage, "sondern eine Haltungsfrage", sagt Lederer.

Das ORF-Gesetz sieht vor, dass der ORF künftig offenlegt, wie viele seiner Beschäftigten in welchen Gehaltsklassen – von bis 1.151 Euro monatlich bis mehr als 12.000 monatlich brutto – entlohnt werden. Ab 170.000 Euro pro Jahr müssen Einkommen künftig namentlich veröffentlicht werden – was Lederer zuletzt massiv als "Pranger" kritisierte. Nebeneinkünfte muss der ORF ebenfalls in Kategorien und ab 170.000 Euro Jahreseinkommen namentlich offenlegen.

Lederer ist "für ein absolutes Verbot von Nebeneinkünften", als Kompromiss könne er mit einem Verbot im Infobereich und strengeren Regelungen für andere Bereiche wie Sport und Unterhaltung leben. 

"Die Nebentätigkeiten müssen in eine Balance gebracht werden zur Haupttätigkeit – nämlich als ORF-Journalist und ORF-Journalist zu arbeiten", erklärt Lederer. Er rechnet diesfalls "mit einem intensiveren Output von manchen", ohne Namen zu nennen. "Wie viele Bücher kann man nebenbei selbst recherchieren und schreiben, sich in Diskussionen und bei NGOs engagieren? Man muss sich entscheiden, ob man unabhängiger ORF-Experte sein will oder Aktivist. Alles geht nicht."

Auch Aktivitäten von ORF-Personal auf Social Media würde Lederer "verbieten oder enger regulieren". Denn: "Die öffentlich-rechtliche Visitenkarte gilt als Credit." Er findet, ohne Beispiele zu nennen: "Da ist etwas aus dem Ruder gelaufen." 

"Alle Beraterverträge prüfen"

Das ORF-Gesetz verlangt auch vom ORF, externe Beratungsdienstleistungen offenzulegen. Der ORF und sein Stiftungsrat müssten "alle Beraterveträge anschauen", verlangt Lederer nicht alleine in diesem Zusammenhang – sondern auch mit Blick auf anstehende Programmoffensiven.

ORF-Radiodirektorin Ingrid Thurnher hat im September 2022 im STANDARD-Interview angekündigt, dass eine neue Flottenstrategie für die ORF-Radios im ersten Halbjahr "entscheidungsreif" sein soll und sie auf hörbare Veränderungen Mitte 2023 hoffe.

Direktorin Thurnher verweise auf Nachfragen auf ORF-Berater Stefan Ströbitzer, der an dieser Flottenstrategie arbeite, sagt Lederer im STANDARD-Gespräch. Er schätze Ströbitzer, lange selbst ORF-Führungskraft sehr, sagt der Stiftungsrat, er erwartet aber "bald ein Ergebnis". Die Radiodirektorin sei "gut bestallt" und könnte eine neue Radiostrategie "mit ihrem Team durchaus selbst erarbeiten", findet Lederer. (fid, 25.5.2023)