Ein Mann im Rollstuhl im Altersheim.
Das zweite Paket sieht auch Verbesserungen für ausländische Pflegekräfte vor– deren Abschlüsse werden nun leichter anerkannt.
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Die Situation in der Pflege ist alles andere als rosig – und diese Tatsache dürfte mittlerweile jeder und jedem bekannt sein: Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht von desaströsen Zuständen, Gefährdungsanzeigen, gesperrten Betten, und überfordertem Personal berichtet wird. Und das hat einen Grund: Allein in Österreichs Spitälern und Einrichtungen fehlen derzeit 2.200 Pflegekräfte. 

Eine "Stabilisierung des Pflegesektors" verspricht sich Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) nun mit dem zweiten Teil der im vergangenen Jahr gestarteten Pflegereform, der am Mittwoch durch den Ministerrat beschlossen wurde – und in Summe 18 Maßnahmen umfasst.

Unter anderem sieht das Paket mehr Geld für die 24-Stunden-Betreuung, für pflegende Angehörige und eine schnellere Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen für Pflegekräfte vor, wie Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) im Pressefoyer nach dem Ministerrat am Mittwoch ausführte. Die wichtigsten Eckpunkte:

  • Mehr Geld für die 24-Stunden-Betreuung

Es war eine Forderung, die Sozialorganisationen immer wieder stellten: die Erhöhung der Förderung bei der 24-Stunden-Betreuung, die seit ihrer Einführung im Jahr 2007 nie valorisiert wurde. Nun gleich zweimal: Im Jänner 2023 wurde die Förderung zunächst von 550 Euro monatlich auf 640 Euro erhöht. Nun kommen ab September 2023 noch 25 Prozent dazu, in Summe erhalten Pflegebedürftige also 800 Euro pro Monat – sofern zwei selbstständige Personenbetreuerinnen zum Einsatz kommen und die pflegebedürftige Person Pflegestufe drei erreicht. 

Werden die Betreuerinnen angestellt – was zurzeit die Ausnahme ist, da die meisten als selbstständige Betreuerinnen arbeiten –, dann gibt es künftig statt 1.280 nun 1.600 Euro Förderung. Eine Änderung soll es zudem beim Betreuungssetting geben: Künftig sollen 24-Stunden-Betreuerinnen auch mehrere Personen in einem privaten Haushalt betreuen, auch wenn diese nicht miteinander verwandt sind. Dies eröffne neue Möglichkeiten der Betreuung im gemeinsamen Wohnen, hieß es. 

Laut Gesundheitsministerium sollen auch zusätzliche Hausbesuche dafür sorgen, dass die Qualität sichergestellt werde – vier Besuche von qualifiziertem Personal sind dafür pro Jahr vorgesehen. 

  • Leichtere Anerkennung ausländischer Abschlüsse

Um dem Fachkräftebedarf im Pflegesektor in den Griff zu bekommen, setzt Österreich seit Längerem auf die Rekrutierung im Ausland: Dort soll es nun ebenfalls Erleichterungen geben. Bei ausländischen Pflegekräften werden künftig Gesamtqualifikation und Berufserfahrung beurteilt und nicht mehr das Stundenausmaß der Fächer in der Ausbildung. Dies ermögliche laut Gesundheitsministerium einen schnelleren Berufseinstieg in Österreich.

Auch bei der Pflegeassistenz gibt es hier Änderungen: Im Ausland ausgebildete Pflegeassistentinnen und Assistenten (PA) dürfen in Zukunft unter Anleitung und Aufsicht auch während der Nostrifikation in ihrem Beruf arbeiten. Zwei Jahre haben diese Zeit, ergänzende Ausbildungen zu absolvieren. 

Mehr Kompetenzen soll es generell für Gesundheits- und Krankenpflegeberufe geben: In Zukunft können diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerinnen Medizinprodukte wie etwa Inkontinenzbedarf nicht nur weiter-, sondern auch erstmalig verordnen.

  • Angehörigenbonus wird erweitert

Derzeit haben pflegende Angehörige, die im gemeinsamen Haushalt mit den pflegebedürftigen Personen wohnen, Anspruch auf einen Angehörigenbonus in Höhe von 750 Euro für 2030. Im nächsten Jahr gibt es für diese 1500. Hier entfällt nun die Bedingung des gemeinsamen Haushalts: In Zukunft können auch jene Angehörige einen Bonus beziehen, die woanders leben. In Summe sollen 80.000 Angehörige von diesem Bonus profitieren. 

Mangel an 24-Stunden-Betreuerinnen

Recht unterschiedlich fielen die Reaktionen auf die Reformen in der 24-Stunden-Betreuung aus: In einer Aussendung lobt die Wirtschaftskammer, die offizielle Interessenvertretung von 24-Stunden-Betreuerinnen und deren Vermittlungsagenturen, die Schritte, die "zur Absicherung der 24-Stunden-Betreuung in die Hand genommen werden". Man stünde hier im intensiven Wettbewerb mit umliegenden Ländern um Personenbetreuerinnen – es ist eine Herausforderung, die Betreuung von pflege- und unterstützungsbedürftigen Personen in Österreich für die Zukunft abzusichern. Die angekündigten Maßnahmen sorgen für bessere Leistbarkeit und tragen zur Qualitätssicherung bei, sie gehen absolut in die richtige Richtung."

Anders sieht das die Gewerkschaftsinitiative Vidaflex: "Wir haben einen Mangel an 24-Stunden-BetreuerInnen in Österreich, doch die Bundesregierung ist nicht bereit, die Arbeit für die Kolleginnen zu attraktivieren und ihnen gesetzliche Hürden aus dem Weg zu räumen“, schreibt Christoph Lipinski, der einen "hausgemachten Mangel" in der 24-Stunden-Betreuung sieht. Gefordert wird hier eine Erhöhung der Förderung auf 1.000 Euro und eine Sonderregelung hinsichtlich der Beiträge für die Selbstständigen-Sozialversicherung (SVS). Viele Betreuerinnen bringen diese Beiträge in eine Existenzkrise, wie DER STANDARD bereits berichtete.

Auch die IG24, eine Interessengemeinschaft für 24-Stunden-Betreuerinnen, die erst am Montag den Ute-Bock-Preis erhielt, sieht zwar die Erhöhung der Förderung positiv für die zu betreuenden Personen. Eine Verbesserung für die Betreuerinnen werde das aber nicht zur Folge haben, sagt Simona Durisova im STANDARD-Gespräch. "Wir wissen, dass in der Praxis die Vermittlungsagenturen die Honorare verhandeln und die Betreuerinnen hier wenig mitzureden haben." Durch die Möglichkeit, nun drei Personen betreuen zu können, erhöhe sich laut Durisova die Belastung für die Betreuerin enorm – und das, obwohl die Regierung ausdrücklich festhielt, die Arbeitsbedingungen der Betreuerinnen verbessern zu wollen. 

Strukturelle Reformen gefordert

Was die vorgestellten Einzelmaßnahmen betrifft, lobt die Caritas das "Tempo", das die Regierung im Pflegebereich an den Tag lege. "Wir sehen hier abermals, dass diese Bundesregierung die Dringlichkeit im Bereich Pflege und Sozialbetreuung erkannt hat und weiterarbeitet." Allerdings reiche das in ihren Augen nicht aus: Was es dringend brauche, sei eine strukturelle Pflegereform mit einer österreichweiten Harmonisierung und einer langfristigen Finanzierung der Pflege- und Betreuungslandschaft, heißt es in einer Aussendung von Caritas-Präsident Michael Landau.

Auch in der Politik riefen riefen die Ankündigungen gemischte Reaktionen hervor. Neos-Pflegesprecherin Fiona Fiedler übte Kritik am Angehörigenbonus, da Pflege "keine Privatsache" sei. Der richtige Weg wäre ein Ausbau der mobilen Pflege, befand sie in einer Aussendung. FPÖ-Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch begrüßte zwar, dass es für pflegende Angehörige mehr Geld geben soll. Allerdings betonte auch sie, dass man nicht "beinahe die gesamte Last der Verantwortung auf die Angehörigen abschieben und dann lediglich Brosamen verteilen" dürfe. Wiens Sozialstadtrat Peter Hacker (SPÖ) freute sich über die Erweiterung der Kompetenzen für Pflegekräfte und die Vereinfachungen bei den Nostrifikationen. Auch er forderte weitere Schritte. (Elisa Tomaselli, APA, 24.5.2023)