Kinder spielen vor einem Haus.
Ein Doppelhaus in Purkersdorf wurde zum Prototyp für ein neues Heizungskonzept, das klimaneutrale Technologien mit smarten Prognosetools kombiniert.
CHRISTOPH TREBERSPURG

Bauteile aus Beton, etwa Deckenbau-Elemente, sollen in Zukunft immer mehr zur Wohnraumheizung genutzt werden. Der Heizungseinbau erfolgt dabei schon früh auf der Baustelle: In die Betondecken werden Kunststoffschläuche verlegt, durch die später, so wie bei einer Fußbodenheizung, warmes Wasser fließt. Der Fachbegriff dafür lautet Bauteilaktivierung. Die Wohnungsdecke wird so zu einem einzigen, großen Radiator. In Kombination mit einer Wärmepumpe können die Wohnräume mit dieser Betonheizung im Winter erwärmt, im Sommer aber auch klimafreundlich gekühlt werden.

Die eher träge Wärmespeicherung – Beton braucht lange, um Wärme aufzunehmen, gibt sie aber auch wieder langsam ab – ließ Bauherrinnen und Bauherren in der Vergangenheit vor diesem Wärmeregulierungskonzept zurückschrecken. Ihre Sorge: Die Temperatur könne nur mit Zeitverzögerung reguliert werden. Damit würde die Raumtemperatur zu spät steigen, wenn es draußen kalt wird, oder die Bauteile zu lange Wärme abstrahlen und die Wohnung überheizen, wenn es draußen längst wieder warm geworden ist. Was aber, wenn die Betonheizung mit einer smarten Steuerung ausgerüstet wird, die vorausblickend die Wetterdaten der nächsten 48 Stunden verarbeitet? In einem Doppelhaus in Purkersdorf hat das Architekturbüro Treberspurg vor zwei Jahren genau solch ein Konzept umgesetzt.

Algorithmus denkt Wetter mit

Die Deckenbauteile des optimal isolierten und nach Süden ausgerichteten Gebäudes (solares Passivhaus) wurden aktiviert und mit einer Erdwärmepumpe plus einer Fotovoltaikanlage auf dem Hausdach kombiniert. Reguliert wird die Betonheizung mit einem Steuerungsalgorithmus, der sich aus den Daten der Kurzfristvorhersage des lokalen Wetters speist. Begleitet wurde das Projekt im Rahmen einer Studie von Magdalena Wolf vom Institut für Verfahrens- und Energietechnik von der Universität für Bodenkultur. "Die ersten Datenanalysen zeigen, dass das Konzept im Prinzip funktioniert", sagt sie.

Der sommerliche Kühlbetrieb der Wärmepumpe wurde wegen eines innovativen Lüftungssystems zwar nie verwendet. Während der Heizperiode konnte die Raumtemperatur mit der prognosebasierten Steuerung jedoch exakt im Bereich der Komfortzone zwischen 20 und 24 Grad gehalten werden. Wurde zum Beispiel an einem nasskalt-nebeligen Tag, während die Wärmepumpe auf Hochtouren lief, vom Prognosetool um zehn Uhr ein sonniger Tag in 24 Stunden prognostiziert, wurde die Heizleistung (Wärmeeintrag) durch die Steuerung bereits am selben Abend automatisch reduziert. Das sparte zum einen Strom für den Betrieb der Wärmepumpe. Die im Beton gespeicherte Wärme reichte zum anderen aber dennoch aus, um die Temperatur auch am nächsten Tag bis zum Wärmeeintrag durch Sonneneinstrahlung in der Komfortzone zu halten.

Neue Projekte

Fürs klimafreundliche und sparsame Heizen und Kühlen scheint die Bauteilaktivierung mit Wärmepumpen plus Wetterprognosetool jedenfalls eine interessante Option zu werden. Einige Projekte sind bereits im Entstehen. So hat das Architektenbüro Treberspurg damit bereits das Frauen-Generationen-Wohnheim "Volkshilfe Hafen" in Wien-Döbling ausgerüstet, und im 22. Wiener Gemeindebezirk entsteht das Leuchtturmprojekt "Campo Breitenlee". Dieses Bauprojekt, das 2024 fertiggestellt werden soll, ist Teil des Forschungsprojekts zur Umsetzung von urbanen Zukunftsquartieren "ZQ3Demo" und wird von der Forschungsförderungsgesellschaft FFG im Rahmen der Ausschreibung "Stadt der Zukunft" als Demonstrationsprojekt gefördert.

Die 320 Wohnungen werden mit aktivierten Bauteilen ausgerüstet und über zwei Erd-Wärmepumpen-Zentralen, die mit vorausschauender Steuerung mittels Kurzfristwetterdaten angesteuert werden, mit Wärme versorgt. Stammt der Strom für die Wärmepumpen zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen, können die Wohnungen mit niedrigen Kosten fossilfrei und im Betrieb klimaneutral beheizt und gekühlt werden.

Ein grauer Häuserblock steht neben einer Brücke, daneben eine Straße mit Straßenbahnschienen.
Klimafreundliches und sparsames Heizen war auch beim Frauen-Generationen-Wohnheim "Volkshilfe Hafen" im Wiener Bezirk Döbling eines der Kernthemen.
CHRISTOPH TREBERSPURG

Klimaneutraler Zement bis 2050

Völlige Klimaneutralität erreicht die "Betonheizung" aber noch nicht. Dafür müsste auch die CO2-Bilanz der Betonbauwerke selbst eine glatte Null ergeben. Durch den Zement, der im Beton als Bindemittel fungiert, ist das aber derzeit noch nicht möglich. Für die Zementproduktion muss Kalkstein bei hohen Temperaturen zu Klinker gebrannt werden. Bei diesem thermischen Prozess setzt Kalk große Mengen an CO2 frei, und zwar bei einer Tonne Zement Kohlendioxid in der Größenordnung von 500 Kilogramm aufwärts. Zwar liegt der Zementanteil im Beton nur bei circa zehn bis zwölf Prozent. Weil Beton aber der Baustoff Nummer eins ist, ist die Zementindustrie für fünf Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich.

Zum Vergleich: Der globale Flugverkehr setzt insgesamt 3,1 Prozent der Treibhausgase frei. In Österreich liegt der CO2-Anteil des Zements an den Gesamtemissionen bei 3,3 Prozent, weil man bereits CO2-reduzierende Technologie bei der Zementproduktion einsetzt, sagt Sebastian Spaun vom Verband der Österreichischen Zementindustrie (VÖZ): "An weiteren CO2-Einsparungen arbeiten wir." 2022 hat die Zementindustrie zudem einen Fahrplan in Richtung "Zero Emission" vorgestellt. "Bis 2050 wollen wir Zement klimaneutral produzieren," erklärt Spaun, "mithilfe von CO2-Speicherung und -weiterverwendung." (Norbert Regitnig-Tillian, 27.5.2023)