Scientists-for-Future-Mitgründer Volker Quaschning.
"Die E-Fuel-Story hat man nur aufgebaut, damit das Verbrennergeschäft weiterläuft", sagt Volker Quaschning.
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Die mangelnde Innovationsbereitschaft der Wirtschaft und unambitionierte politische Vorgaben werden Europa noch teuer zu stehen kommen, prophezeit Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Berlin. Nächste Woche kommt der Wissenschaftskommunikator als Keynote-Speaker zur Featuring Future Conference der Wiener Boku.

STANDARD: Wie beurteilen Sie Österreichs Fortschritte in Sachen Energiewende?

Quaschning: Die CO2-Emissionen sind in Österreich zwischen 1990 und 2020 kaum gesunken. Deutschland ist ein bisschen besser unterwegs, was zum Teil aber an der deutschen Wiedervereinigung liegt. In der Corona-Krise ging der CO2-Ausstoß zwar runter. Dieser Rückgang müsste sich kontinuierlich fortsetzen – wovon wir aber weit entfernt sind. Möchte man die Pariser Klimaziele erreichen, reicht das verfügbare CO2-Budget Österreichs maximal bis zum Jahr 2043, wenn man die Berechnungen des deutschen Sachverständigenrats für Umweltfragen auf Österreich überträgt. Man hat dort das global verbleibende CO2-Budget entsprechend des nationalen Pro-Kopf-Verbrauchs auf die Länder aufgeteilt. In Deutschland ist der Pro-Kopf-Ausstoß eine Spur höher, hier ist das Budget schon 2039 erschöpft. Nach dieser Frist kann man aus eigener Kraft keinen Beitrag mehr leisten, das Pariser Abkommen einzuhalten.

STANDARD: Es gibt auch gute Nachrichten. Der Photovoltaikausbau boomt gerade. Hilft das nicht?

Quaschning: Es ist noch immer viel zu wenig. Wir erwarten in Deutschland 2023 einen Ausbau von zehn Gigawatt. Wenn Deutschland in den 2030er-Jahren klimaneutral werden möchte, müssen wir aber jährlich 30 bis 40 Gigawatt bauen. In Österreich sieht es bei den Erneuerbaren noch ein wenig besser aus. Das liegt im Wesentlichen am höheren Ausmaß an Wasserkraft und an der stärkeren Biomassenutzung. Der Vorsprung ist aber keineswegs dramatisch. Das Schlimme an der Situation in Österreich: Seit 2000 hat sich der Anteil der fossilen Energie kaum verändert. Die Erneuerbaren, die ausgebaut wurden, haben nur Bedarfssteigerungen ausgeglichen.

STANDARD: Der nun höhere Ausbau bei Erneuerbaren hat mit der Energiekrise zu tun. Wie bewerten Sie die Auswirkungen des Ukrainekriegs?

Quaschning: Bei Gas hatten wir zeitweise eine Verzehnfachung der Preise. Dadurch wurde vor allem in der Industrie viel Energie eingespart. Mittlerweile ist der Gaspreis wieder unter das Vorkriegsniveau gesunken. Das nimmt den Druck raus, und die Unternehmen gehen einfach wieder zum Tagesgeschäft über. Da braucht es klare politische Vorgaben, damit sich etwas ändert. Wir sehen in Deutschland, dass die Diskussion aber in eine ganz andere Richtung geht. Vor einem Jahr haben wir uns noch überlegt, wie wir über den Winter kommen, weil das Gas knapp war. Die Regierung schlägt nun vor, Gasheizungen möglichst schnell aus dem System zu nehmen. Und plötzlich sagen alle: Lassen wir uns Zeit, das geht nicht so schnell! Man sieht, dass die Lehren aus der Krise schon wieder vergessen sind.

STANDARD: Offenbar gibt es in der Wirtschaft große Angst vor Veränderung. Welche Folgen sind abzusehen?

Quaschning: Das Verschleppen der Energiewende wird für Europa fatale ökonomische Auswirkungen haben. Man könnte beispielsweise angesichts der aktuellen Wärmepumpen-Debatte den Eindruck gewinnen, dass wir in diesem Bereich weit vorne sind. Aber das ist überhaupt nicht der Fall. In China hat man letztes Jahr 55-mal so viele Wärmepumpen eingebaut wie in Deutschland. Europäische Hersteller sind im Vergleich zu jenen in China Spielzeugbetriebe. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis chinesische Hersteller massiv bei uns in den Markt drängen.

Zwei Hände Klammern sich um die Zapfpistole an einer Tankstelle.
Als scheinbare Antwort auf umweltschädliche Kraftstoffe werden alternative E-Fuels gehandelt, die mithilfe erneuerbarer Energien hergestellt werden. Doch auch diese Produktion ist ressourcenintensiv, wie Fachleute immer wieder betonen.
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STANDARD: Mit welchen Folgen?

Quaschning: Es wird zu einem Preiskampf kommen. Die Anlagen werden massiv günstiger werden und Europas Unternehmen stark unter Druck geraten. Das Gleiche sieht man im Automobilbereich. In China wird man ab 2030 angesichts der strengen Grenzwerte nur noch schwer Verbrenner verkaufen können. 40 Prozent der Autos, die in Deutschland produziert werden, gehen aber nach China. Wenn dieser Markt wegbricht, hat das fatale Folgen. Wir verlieren technologisch den Anschluss.

STANDARD: Haben Sie Verständnis für Leute, die sich jetzt noch einen – im Vergleich zum E-Auto günstigeren – Verbrenner kaufen?

Quaschning: Ja. Aber man muss sich schon fragen, ob es noch Sinn macht, neue Verbrenner auf den Markt zu werfen. Autos sind 15 bis 20 Jahre im Einsatz. Wir wollen aber in Deutschland bis 2045 klimaneutral sein – für die Ziele von Paris ohnehin zu spät. Auf der Motormesse in Schanghai wurde heuer übrigens ein Kleinwagen des chinesischen Herstellers BYD vorgestellt: VW-Polo-Klasse, 400 Kilometer Reichweite, 13.000 Euro. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Autos dieser Art auch in Europa angeboten werden – vermutlich aber nicht von europäischen Herstellern.

STANDARD: Zuletzt ist eine Debatte zu E-Fuels, synthetischen Kraftstoffen aus erneuerbaren Energiequellen, als Kraftstoff für Verbrenner aufgekocht. Was halten Sie davon?

Quaschning: Das Argument mit den E-Fuels ist vollkommener Quatsch. Porsche hat eine Windkraftanlage in Chile aufgebaut und stellt da E-Fuels her. Mit einem Windrad können pro Jahr etwa 130.000 Liter Sprit gewonnen werden. In Deutschland haben wir einen Verbrauch von über 60 Milliarden Liter. Wir bräuchten also 500.000 solcher Windanlagen, um allein den deutschen Bedarf zu decken. Für Österreich wären es noch einmal 50.000 mehr. Wie soll das funktionieren? Wir haben in Deutschland in den letzten 30 Jahren insgesamt 30.000 Windräder gebaut. Die E-Fuel-Story hat man nur aufgebaut, um das Verbrenner-Geschäft weiterlaufen zu lassen.

STANDARD: Nur wenige Hochschul-Professoren wenden sich wie Sie via Youtube und Tiktok an eine breite Öffentlichkeit. Warum haben Sie sich entschieden, so einen Weg zu gehen?

Quaschning: In der Wissenschaft sehen wir, dass die Lösungen für die Klimakrise klar auf dem Tisch liegen. Gleichzeitig geht die öffentliche Debatte durch falsche Fakten und Desinformation aber oft in die falsche Richtung. Die Wissenschaft muss versuchen, die Diskussion zu versachlichen. Wenn ich einen wissenschaftlichen Vortrag halte, hört aber kaum jemand zu. Deshalb muss man die Fakten eben so verpacken, dass sie viele Menschen erreichen. (Alois Pumhösel, 31.5.2023)