Alfred Gramatzky leitet den Seniorenvollzug in der Justizanstalt Suben.
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Linz/Wien – Eine 91-Jährige, die für Mord und Brandstiftung zu zwölf Jahren Haft verurteilt wird. Vier Jahre Gefängnis wegen absichtlicher schwerer Körperverletzung für einen 69-Jährigen. So lauteten zwei Urteile am Landesgericht für Strafsachen Wien in den vergangenen Wochen. Doch wie geht die Justiz eigentlich mit alten und gebrechlichen Häftlingen um? Tatsächlich wird das Problem aufgrund der alternden Gesellschaft größer, seit knapp zehn Jahren gibt es in der Justizanstalt Suben im oberösterreichischen Schärding sogar eine eigene Abteilung für ältere Häftlinge aus ganz Österreich. "Derzeit haben wir 31 Insassen in drei Wohngruppen, das ist eher ein Überbelag", sagt Justizwache-Abteilungsinspektor Alfred Gramatzky, der seit 2014 für die Betreuung der Senioren hinter Gittern zuständig ist.

Begonnen habe es damals mit einer Wohngruppe, demnächst werde die vierte eröffnet, kündigt er an. Was die Haft für ältere Delinquenten in dem denkmalgeschützten früheren Augustiner-Chorherren-Stift von den rund 250 anderen Verurteilten unterscheidet? "Es gibt einen Lift in den Trakt, das ist nicht selbstverständlich. Die Hafträume sind alle barrierefrei, im Vergleich zu anderen Hafträumen gibt es auch in den Duschen eine Notrufleine, falls jemand zusammenklappt", sagt Gramatzky. Bei den Toiletten seien Haltegriffe in die Wand eingelassen. Grundsätzlich gibt es auch einen eigenen Seniorengarten für die Hofgänge, derzeit ist dieser aber wegen Bauarbeiten aber geschlossen.

Das denkmalgeschützte ehemalige Chorherren-Stift in Suben beheimatet neben der Justizanstalt auch die Polizei und die örtliche Pfarrkirche.
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Wie sich die Generation 65 plus im Vergleich zu jüngeren Insassen gibt? "Grundsätzlich sind sie ruhiger, brauchen aber auch mehr Medikamente und mehr Betreuung", weiß Gramatzky. Er selbst hat sich ab 2014 beim Katholischen Bildungswerk des Landes ob der Enns zum SelbA-Trainer ausbilden lassen. Der Landessprache nicht Kundigen entgeht möglicherweise das Wortspiel: Die Abkürzung für "Selbstständig im Alter" ist auch das umgangssprachliche Wort für "selbst". Mit Gedächtnistrainings und Motorikübungen soll die Selbstständigkeit der Älteren erhalten oder verbessert werden, erklärt Gramatzky. Zweimal im Monat bietet er die freiwillige Teilnahme daran an.

Von sieben bis 19:30 Uhr sind die Zellentüren offen, und die Insassen können sich im Trakt frei bewegen. Zwischen den Wohngruppen liegt jeweils eine kleine Küche samt Sitzmöglichkeit, wo die Häftlinge auch rauchen können. "Zigaretten sind das Hauptthema", beschreibt Gramatzky das Einkaufsverhalten – einmal pro Woche kommt ein mobiler Kaufmann mit seinem Angebot hinter Gitter. Das nötige Geld verdienen die Insassen bei der Arbeit. Obwohl sie eigentlich schon das Regelpensionsalter erreicht haben? "Ja, im Gesetz ist keine Ausnahme vorgesehen", weiß der Abteilungsinspektor. "99 Prozent wollen aber auch arbeiten, da ihnen sonst langweilig wird."

In den Räumlichkeiten des früheren Stiftes gibt es für die Insassen auch eine Bibliothek mit knapp 9.000 Werken.
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Einer von ihnen ist Herr W., der in der wochentags geöffneten Gefängnisbibliothek unter einer stuckverzierten Decke sitzt. Er bekommt die Karten, die die Insassen in ihren Hafträumen ausfüllen, und stellt die Bücherlieferungen zusammen. Wie viele Werke er im Angebot hat? "8.900 Bücher in 16 Sprachen", hat er sofort die Antwort parat. 50 bis 60 Werke liefert er pro Woche aus. Ob es von Vorteil ist, dass Bücher nur schwer verschwinden können? "Manchmal muss man schon hartnäckig sein, aber wir bekommen alle wieder", sagt der ältere Herr, der voraussichtlich noch drei Jahre seiner Strafe verbüßen muss.

Der derzeit älteste Insasse ist laut Gramatzky ein 83-Jähriger, der noch ein Jahr vor sich hat. In diesem Punkt gibt es keinen Unterschied zwischen den Generationen: "Die Senioren warten trotzdem auf die Entlassung", weiß er. Problematisch sei es allerdings bei Österreichern, die keine Angehörigen mehr haben. Sie werden nicht einfach vor die Anstaltstür in dem nur mäßig an das öffentliche Verkehrsnetz angebundenen 1.500-Einwohner-Ort Suben gesetzt, stellt Gramatzky klar. "Sie kommen dann meistens nach Wels in eine Wohngemeinschaft, da gibt es eine Kooperation." Bei ausländischen Staatsbürgern sei das schwieriger.

Fernsehen, sporteln oder Tischfußball spielen: Im Seniorenvollzug gibt es einige Möglichkeiten der Freizeitgestaltung.
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Jeweils vier Personen sind in einem Haftraum untergebracht, den Insassen wird auch die Möglichkeit gegeben, den Raum zu wechseln, wenn es zu Reibereien kommt. Die entstünden "wegen Kleinigkeiten", sagt das Personal, gewalttätig gehe es aber nicht zu. Um für Ablenkung zu sorgen, gibt es Fitnessgeräte, einen Wuzler und einen Tischtennistisch im Aufenthaltsbereich, wo auch ein Fernseher an der Wand hängt.

Die Kommunikation mit der Außenwelt kann auf mehreren Kanälen erfolgen: Zwei Festnetztelefone hängen an den Wänden, jemand hat rund um sie die typischen englischen roten Telefonhäuschen an die Wand gemalt. Auch einen Computer gibt es, auf Antrag sind auch Videotelefonate möglich. Und der Briefverkehr ist natürlich eine Option.

Suben ist zwar nicht London, telefonieren können die Insassen aber dennoch.
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Die ersten neun Jahre scheinen die Beschäftigungsmöglichkeiten ausgereicht zu haben – bisher gab es noch keinen Ausbruchsversuch eines Senioren. Und lediglich ein Todesfall war bisher zu verzeichnen: Ein 75-Jähriger verstarb nach einem Herzinfarkt. "Da war nichts mehr zu machen", erinnert Gramatzky sich, selbst der in der Justizanstalt stationierte Arzt habe nicht mehr helfen können.

Zwei Sonderkrankenanstalten

Was passiert aber mit Häftlingen, wenn sie krank oder gebrechlich werden? Einerseits gibt es die Möglichkeit, einen Antrag auf Vollzugsunfähigkeit zu stellen, um auf freien Fuß gesetzt zu werden. Bis ein Ergebnis vorliegt, kann es aber Monate dauern. Deshalb gibt es auch die Außenstelle Wilhelmshöhe der Justizanstalt Wien-Josefstadt. Seit einem Jahr wird die im Wienerwald bei Pressbaum gelegene Einrichtung von Chefinspektor Andreas Diemt geleitet. Einst wurde sie von den Wiener Kaufleuten als Erholungsheim für verarmte Berufskollegen erbaut, mittlerweile ist sie eine von zwei Sonderkrankenanstalten der Justiz in Österreich.

Sowohl "normale" Verurteilte als auch Betroffene aus dem Maßnahmenvollzug kommen hierher, um genesen zu können. "Es ist fast ein Luftkurort", ist Anstaltsleiter Diemt von der Lage angetan. Stolz ist er auch auf die Einrichtung der Zimmer und die Personalausstattung: "Jedes Bett ist elektrisch verstellbar, jeder hat seinen eigenen Fernseher und Kühlschrank", schildert er. Da ein Schwerpunkt auf der Behandlung von Lungentuberkulose liegt, sind einige Räume auch mit Luftschleusen ausgestattet, um eine Verbreitung des Erregers zu verhindern.

Gutes Betreuungsverhältnis

Neben vier Ärzten gibt es sieben Krankenschwestern, dazu kommen noch Ergotherapeuten, Physiotherapeuten und Psychotherapeuten, die sich um die derzeit 45 Insassen kümmern. "Ein Insasse wollte vor Jahren nach seiner Entlassung in ein Pflegeheim unbedingt wieder hierher zurück, da die Betreuung besser war", erinnert Diemt sich. Die Zufriedenheit der Insassen sei mittlerweile überaus groß, selbst in den Berichten der Volksanwaltschaft finden sich in den vergangenen Jahren keine Beschwerden mehr. Dazu tragen möglicherweise auch Inspektor Eins, Inspektor Zwei und Inspektor Drei bei – die anstaltseigenen Katzen, die sich größter Beliebtheit erfreuen.

Auch die eingangs erwähnte 91-Jährige hat ihre Untersuchungshaft in der Wilhelmshöhe verbracht, die Strafhaft verbüßt die Seniorin derzeit ebenso dort. Wann sie entlassen wird, ist noch offen. Diemt gibt aber zu, dass manche Häftlinge bei ihm sterben: "Es gibt einige Dauerinsassen, die bis zum Ende hier sind." Haben diese, was mitunter vorkommt, keine Angehörigen mehr, übernimmt dann die Gemeinde die Begräbniskosten. (Michael Möseneder, 12.6.2023)