Siedlungen unweit großer Industriegebiete leiden unter Luftverschmutzung, was häufig marginalisierte Gruppen trifft. Besonders bekannt ist das Problem aus den USA.
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Es ist kein Zufall, ob jemand neben einer Grünfläche oder einer rauchenden Fabrik aufwächst – Umweltqualität ist nicht gerecht verteilt. Minderheiten wie ausländische Staatsangehörige leben meist in sozial benachteiligten Nachbarschaften und sind Umweltgefahren wie Luftverschmutzung dadurch stärker ausgesetzt.

Umweltungleichheit

In der Forschung wird dieses Phänomen als Umweltungleichheit bezeichnet. "Umweltungleichheit herrscht dann, wenn wir einen ungleichen Zugang zur Umweltqualität oder eine ungleiche Belastung durch Umweltgefahren beobachten", sagt Klara Zwickl, assoziierte Professorin an der Wirtschaftsuniversität Wien. Die Ökonomin und ihr Team stellen in einer aktuellen Studie nun erstmals Daten für Österreich vor. Forschende unterscheiden grundsätzlich zwischen prozeduraler und distributiver Umweltungleichheit, sagt Zwickl. "Bei der prozeduralen Umweltungleichheit geht es um Prozesse. Es wird beispielsweise untersucht, welche Einkommens- und Bevölkerungsgruppen in umweltpolitische Entscheidungsprozesse eingebunden sind."

Distributive Umweltungleichheit ist ergebnisorientiert und beschäftigt sich mit der Frage, wie ungleich Umweltqualität tatsächlich in der Bevölkerung verteilt ist. Zwickl untersucht in diesem Kontext die Feinstaubbelastung in Österreich. "Bisher gibt es für Österreich keine Untersuchungen zu Ungleichheit in Bezug auf Luftqualität, das wollen wir mit unserer aktuellen Studie ändern."Das Problem der Umweltungleichheit ist keineswegs neu, global sind viele Menschen betroffen.

Globales Phänomen

Der Ursprung des Forschungsfelds liegt in den USA: Im Zuge der Bürgerrechtsbewegung in den frühen 1980er-Jahren wurde Kritik laut, dass Giftmülldeponien auffällig oft in Vierteln mit hohem Anteil an afroamerikanischer Bevölkerung zu finden sind. Das Phänomen der ungleich verteilten Umweltqualität wird dort folglich bereits seit über 40 Jahren wissenschaftlich untersucht. Inzwischen steht fest: Die damaligen Beobachtungen gelten nicht nur für die afroamerikanische Community und Giftdeponien, sondern sind auf viele Minderheiten und Umweltgefahren in den USA übertragbar.

Zwickl bestätigt: "Es gibt kaum eine wissenschaftlich untersuchte Umweltgefahr, bei der dieser Zusammenhang nicht gefunden wurde." Außerhalb der USA ist die Studienlage zur Umweltqualität noch dünn. Erste Untersuchungen in verschiedenen europäischen Ländern legen jedoch nahe, dass die Ergebnisse weitgehend übertragbar sind. Es existieren allerdings auch regionale Unterschiede. Während in den USA vor allem die zahlreichen toxischen Industriestandorte für Aufruhr sorgen, stellt in Europa die hohe Feinstaubbelastung – bedingt durch die Siedlungsdichte – eine der größten Umweltgefahren dar. Aus diesem Grund entschied sich Zwickl dafür, in ihrer Österreich-Studie den Fokus auf Luftverschmutzung durch Feinstaub zu legen: "Länder mit Meerzugang haben eine bessere Frischluftzufuhr. Binnenländer wie Österreich kämpfen hingegen flächendeckend mit einem ernstzunehmenden Feinstaubproblem."

Für ihre weitreichende Analyse haben die Wissenschafterin und ihr Team Daten von der Europäischen Umweltagentur (EUA) ausgewertet. "Durch einen Datensatz der EUA sind feingliedrige Feinstaubwerte für Österreich frei einsehbar. Wir haben die Daten auf Gemeindeebene aggregiert und dann mit der soziodemografischen Zusammensetzung des jeweiligen Ortes zusammengeführt."

Ost-West-Gefälle

Durch die Analyse konnten die Forschenden zunächst – wenig überraschend – ein klares Ost-West-Gefälle feststellen. Die vor allem durch Industrie und Verkehr verursachte Feinstaubbelastung ist demnach im Osten des Landes und in Beckenlagen höher als im gebirgigen Westen. "Wir interessieren uns aber vor allem für Unterschiede innerhalb von Bundesländern oder politischen Bezirken", sagt Zwickl. "Wir finden Umweltungleichheit in Bezug auf Feinstaubbelastung in Österreich insgesamt wie auch innerhalb von Regionen." So weisen Gemeinden mit einem höheren Anteil an ausländischen Staatsangehörigen im Vergleich mit allen anderen Gemeinden eine höhere Feinstaubbelastung auf. Das zeigt sich auch, wenn die betroffenen Gemeinden mit anderen Gemeinden innerhalb desselben Bundeslandes oder Bezirks verglichen werden.

Wer dahinter eine reine Ableitung der Einkommensschere vermutet, macht es sich laut Zwickl aber zu einfach: "Vergleichen wir zwei Gemeinden mit gleichem Einkommen, weist jene mit höherem Anteil an ausländischen Staatsangehörigen immer noch die höhere Feinstaubbelastung auf." Der Effekt ist österreichweit konsistent, in Städten, sprich dort, wo ein Großteil der ausländischen Staatsangehörigen lebt, aber noch stärker zu sehen.

Forschende hegen verschiedene Vermutungen für die Gründe hinter diesem Ungleichgewicht. Grundsätzlich haben Menschen mit niedrigem Einkommen – zu denen ausländische Staatsangehörige überproportional zählen – meist nicht die finanziellen Mittel, um in eine Gegend mit höherer Umweltqualität zu ziehen. Allerdings können auch ganz andere Faktoren eine Rolle spielen. Zwickl führt aus: "Die Untersuchungen aus den USA legen nahe, dass neue Industriestandorte teils bewusst in Gegenden geplant werden, in denen der geringste Widerstand der Bevölkerung erwartet wird. Meist sind das Viertel mit sozioökonomisch benachteiligten Bevölkerungsgruppen." Diese Beobachtung könnte auf Europa übertragbar sein, was zukünftige Studien zeigen sollen.

Aktive Klimapolitik

Unabhängig von der Ursache deuten die Ergebnisse aber auf ein gesamtgesellschaftliches Problem hin: Minderheiten leben in Regionen mit höheren Umweltbelastungen, weil sie meist geringere Einkommen aufweisen. Dies kann zu einer höheren Gesundheitsbelastung und zu schlechteren Leistungen in Schule und am Arbeitsplatz führen, was wiederum ein niedrigeres Einkommen für zukünftige Generationen zur Folge hat – ein Teufelskreis, der nur durch eine verbesserte Verteilung von Umweltqualität durchbrochen werden kann.

Um diesem Trend in Zukunft entgegenzuwirken, braucht es eine aktive Klimapolitik, ist sich Zwickl sicher: "Eine Abkehr von fossilen Energieträgern würde nicht nur zum Klimaschutz beitragen, sondern kann auch die lokale Luftqualität verbessern und Umweltungleichheit reduzieren. Für Letzteres ist es wichtig, dass wir transparent vorweisen können, wo die Hotspots für Umweltgefahren liegen. Dazu ist weitere Forschung dringend nötig." (Anna Tratter, 4.6.2023)