Ausstellung
Zahlreiche Bedienelemente sorgen bei der Ausstellung "Erlebnis Europa" für Interaktivität.
Gerald Schubert

In neun Städten der Europäischen Union gibt es bereits vergleichbare Einrichtungen, in Wien kommt am Freitag eine zehnte hinzu: "Erlebnis Europa" heißt die Dauerausstellung in der Innenstadt, die den Besucherinnen und Besuchern auf drei Etagen die Funktionsweise der EU näherbringen soll. "Wir möchten Brüssel und Straßburg näher an die Menschen heranführen", sagt Frank Piplat, Leiter des Verbindungsbüros des Europäischen Parlaments in Österreich. An der Eröffnung nehmen unter anderem Bundespräsident Alexander Van der Bellen sowie EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola teil. Im Rahmen ihres Wien-Besuchs hat Metsola bereits am Donnerstagvormittag eine Rede im Österreichischen Nationalrat gehalten.

Mit den Leuten ins Gespräch kommen, ohne dass diese in die inoffizielle EU-Hauptstadt Brüssel oder zum Europäischen Parlament im französischen Straßburg reisen müssen: Das ist laut Piplat das Hauptanliegen der Schau. Entsprechend niederschwellig gibt sich die neue Institution. Die Lage an der zentralen, stark von Fußgängern frequentierten Rotenturmstraße, die täglichen Öffnungszeiten von 10 bis 18 Uhr, der kostenlose Eintritt – all das soll Interesse wecken und die mögliche Scheu vor einem Besuch nehmen: "Hier kann man mehrere Stunden verbringen oder auch nur ein paar Minuten – und dann ein anderes Mal wiederkommen", erklärt Piplat.

Europäische Machtbalance

Im Erdgeschoß wird auf mehreren interaktiv gestalteten Multimedia-Panels das Zusammenspiel der drei wichtigsten EU-Institutionen erklärt, also der Europäischen Kommission, des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rats. An anderer Stelle kommen Menschen aus verschiedenen Mitgliedsländern zu Wort, deren Alltag durch die EU – etwa infolge der Reisefreiheit oder der Schaffung eines gemeinsamen Rechtsrahmens in vielen Bereichen – wesentlich beeinflusst wurde. Wer mag, kann sich per Selfie-Automat verewigen und via Monitor auch gleich bei den Schwesterausstellungen in anderen Städten aufpoppen. Solche gibt es derzeit in Berlin, Helsinki, Kopenhagen, Ljubljana, Paris, Rom, Stockholm, Straßburg und Tallinn. Bald soll das Konzept in allen 27 Mitgliedsstaaten umgesetzt sein.

Auf zahlreichen Bildschirmen kann man sich zudem über die aktuelle Agenda der EU und über laufende Debatten informieren sowie interaktive Karten und Infos zu den einzelnen Mitgliedsländern abrufen. Währenddessen läuft in einem 360-Grad-Kino im Untergeschoß ein kurzer Film über die Union in Dauerschleife – abwechselnd auf Deutsch und auf Englisch. Wer Kopfhörer verwendet, kann aber jede der 24 EU-Amtssprachen wählen – wie bei allen anderen Teilen der Ausstellung auch.

Detailreiches Rollenspiel

Ein detailreich ausgetüfteltes Highlight befindet sich im ersten Stock. Hier können Besucherinnen und Besucher in die Rolle von Abgeordneten schlüpfen und ein Gesetzgebungsverfahren von Anfang bis zum Ende durchspielen – etwa zu Themen wie Wassersolidarität oder Mikrochips im Körper. Debatten in den Fraktionen sowie Reden im Plenum gehören ebenso dazu wie Beratungen in den Ausschüssen oder eine Abstimmung und eine Pressekonferenz am Schluss. Zwischendurch melden sich dabei per Mail oder Telefon schon mal Lobbyisten zu Wort, um die geplanten Regelungen in ihrem Sinn zu beeinflussen.

Für das Rollenspiel stehen verschiedene Räumlichkeiten und eine umfassende technische Infrastruktur zur Verfügung, ein selbsterklärendes Programm führt durch den gesamten Legislativprozess. Täglich gibt es zwei zweistündige Termine. Das Rollenspiel ist der einzige Bereich, zu dem man sich vorab anmelden muss, geeignet sind Gruppen von 15 bis 32 Personen. 

Das empfohlene Mindestalter für die Teilnahme ist 14 Jahre. Interesse haben bereits Schulklassen und Studierende bekundet, aber auch bestimmte Berufsgruppen, zum Beispiel Juristen.

Monatlich wolle man rund 10.000 Besucherinnen und Besucher in die Ausstellung bekommen, also etwas mehr als 300 pro Tag, sagt EU-Parlamentsvertreter Piplat. Das sei "ambitioniert, aber zu schaffen". Der Umbau des vom Europäischen Parlament angemieteten ehemaligen Geschäftslokals und die Einrichtung der technischen Infrastruktur schlugen ihm zufolge bisher mit etwa 4,6 Millionen Euro zu Buche. Umgesetzt wurde das Konzept vom Stuttgarter Architekturbüro Brückner, das auch das Besucherzentrum des österreichischen Parlaments gestaltet hat. (Gerald Schubert, 25.5.2023)