Das Spiel kombiniert geschickt den alten mit dem neuen Stil.
Capcom

Aus Fehlern lernt man, sagt man. Während dieser weise Spruch bei weitem nicht auf alle Gaming-Firmen zutrifft, gehört Capcom offenbar zu den Lernenden. Während  "Street Fighter 5" anno 2016 mit instabilen Online-Servern und mangelnden Inhalten aufwartete, verspricht man sieben Jahre später, alles besser zu machen. Und tatsächlich ist Teil 6 der Serie alles, was man sich von einem modernen Fighting-Game erwarten darf. 

Schuster, leiste mal was Neues

Im Story-Modus bereisen wir die Welt und lernen neue Kampfmanöver.
Capcom

Bevor wir auf das eigentliche Gameplay zu sprechen kommen, reden wir doch ein wenig über die größte Neuerung: den Story-Modus, im Spiel "World Tour" genannt. Hier darf zunächst ein Kämpfer oder eine Kämpferin nach eigenem Gutdünken erschaffen werden. Groß, klein, muskulös oder sehr muskulös, grüne Haare, dicke Nase – fast alles ist möglich. Einmal fertiggestellt, wird der Charakter nach Metro City entlassen, jener Stadt also, die im Capcom-Universum eine gewisse Historie hat.

Als namenloser Jungspund treffen wir gleich zu Beginn auf den Kampfmeister Luke, der uns die Steuerung des Spiels näherbringt und die ersten Möglichkeiten erklärt, die man in der Großstadt erleben kann. Es folgen Straßenkämpfe, bei denen wir mit noch wenigen Moves erste Siege einfahren, um mit Level-ups stärker zu werden und neue Fähigkeiten freizuschalten. Neue Kampfstile erlernen wir bei den Hauptfiguren der Fighting-Serie, also Blanka, Chun Li und wie sie alle heißen. Später im Spiel warten auch noch kleinere Nebenquests und Minispiele, etwa das Belegen einer Pizza. Umfang à la "Shenmue" sollte man sich nicht erwarten, aber die Vorbilder sind dennoch klar erkennbar.

Natürlich dürfen auch kosmetische Dinge für unseren selbstgebauten Individualisten nicht fehlen, denn der Kämpfer darf nicht nur im Story-Modus gespielt, sondern auch in Onlineduelle geführt werden. Dazu kommen wir aber gleich. Der World-Tour Modus ist in jedem Fall eine schöne Bereicherung, die vor allem jene ansprechen wird, die sich nicht gleich in fordernde Onlineduelle werfen, sondern vielleicht langsam in die Welt eintauchen wollen. Da man mit den Leistungen in diesem Modus allerdings auch ein Alternativkostüm für die 18 Hauptfiguren des Spiels freischalten kann, wird man in jedem Fall ein paar Stunden in Metro City verbringen. 

Das Kämpferfeld besteht aus 18 Figuren, mehr kommen im Lauf der Zeit hinzu.
Capcom

Modi Mayhem

Kommen wir gleich zur bereits angesprochenen Online-Arcade – im Spiel Battle Hub genannt. Dort treffen wir auf andere Spieler, die sich ebenfalls mit ihrer Figur – sei sie selbst erstellt oder aus den 18 verfügbaren Charakteren gewählt – messen wollen. Dazu setzt man sich ganz Spielhallen-like an einen Automaten und fordert das Gegenüber. Alternativ kann man auch anderen beim Kämpfen zusehen oder sich für die nächste Runde ansagen. Da steigt dann der Adrenalinspiegel ähnlich wie vor 20 Jahren in der Spielhalle, als man zehn Schilling oder einen etwas geringeren Wert in Lire auf das Kabinett legte und sich damit als neuer Herausforderer outete. 

Bevor man sich allerdings online verprügeln lässt, sollte man ein paar Stunden in die Trainingsschuhe investieren, die man im Menüpunkt Fighting Ground findet. Dort gilt es Moves zu üben kann oder dank eines Charakter Guides Schritt für Schritt erklärt zu bekommen, wie man die jeweilige Figur am besten spielt. Wer genug geübt hat, kann sich auch hier in Online-Matches wagen, ohne das Battle Hub aufsuchen zu müssen.

Außerdem gibt es noch den Arcade-Modus, bei dem man eine in wenigen Schnipseln erzählte Story zu jedem Charakter erleben kann, während man zwischendurch Kämpfe bestreitet. In Versus spielt ihr eins gegen eins oder in Team Kämpfen mit bis zu vier Teilnehmern pro Team – hier treten die Figuren dann hintereinander gegeneinander an. Ergänzend dazu gibt es noch den "Extremen Kampf", wo man ausgewählte Umstände festlegen kann, die den Kampf beeinflussen oder diesen frühzeitig beenden. Wenn diese Matches wohl nie Kern des Spiels sein werden, bringen sie für Vielspieler in jedem Fall ein wenig Abwechslung.

Mit kleinen Talentbäumen kann man den eigens geschaffenen Kämpfer punktuell verbessern.
Capcom

Alles neu macht der Mai

Haben wir schon über das vorhandene Kämpferfeld gesprochen? Ich glaube nicht. Mit Ryu, Ken, Chun Li, Guile, Zangief, Honda, Blanka und Dhalsim bietet der Roster von "Street Fighter 6" altbekannte Gesichter. Diese werden durch die zurückkehrenden Favoriten Cammy, Juri, Dee Jay und Luke ergänzt. Völlig neu sind Lily, Jamie, Kimberly, Manon, Marisa und JP. 

Damit ergibt sich erneut ein sehr, sehr bunter Mix an Figuren, die es zu meistern gilt. Vor allem die wendige Kimberly und der bösartige JP scheinen sich als Newcomer online bereits zu etablieren. Man darf gespannt sein, wie sich das in den ersten Wochen und Monaten nach Release entwickeln wird. Nach den ersten kurzen Betaphasen ist das noch nicht einzuschätzen. Was man sehr wohl bewerten kann, sind zwei neue Features, über die wir noch reden müssen.

Da wäre zunächst einmal das innovative Drive-System, das die Art des Blockens im Spiel sowohl für Neueinsteiger als auch für Veteranen gleichermaßen fordernd macht. Mit dem Drive Parry kann man richtig getimte Konter ausführen, die den Gegner kurz verwundbar machen. Der Parry Drive Rush ist ein aus dem eben gennnten Move angehängter Doppelschritt nach vorne, um die Distanz zum Gegner zu verkürzen. Schließlich sorgt der Drive Impact für einen optisch bunten Konter, der einen gegnerischen Angriff ignoriert und zusätzlich selbst eine Attacke startet. 

Ganz ohne Nachteil kommen diese neuen Manöver natürlich nicht aus. Die Ausdauer, die sich langsam selbst regeneriert, wird durch diese Spezialbewegungen aufgebraucht. Sinkt sie auf null, könnt ihr nicht mehr blocken. 

Ebenfalls einen Blick wert sind die unterschiedlichen Steuerungsvarianten, die Capcom diesmal anbietet. Neben der klassischen Steuerung wird auch der Modus "Modern" angeboten. Hier werden Spezialangriffe mit simplen Tastendrücken ausgelöst, genau wie beim Steuerungstyp "Dynamisch". Diese Modi gleich als Simplifizierung des Spielkonzepts abzutun, tut dem Konzept wohl unrecht. Im Netz formieren sich erste Profis, die ebenfalls mit dem Setup "Modern" spielen und damit versuchen ganz eigene Stile zu entwickeln. Da das Spiel auch im E-Sport eine nicht unwesentliche Rolle spielt, werden Profis hier sicher noch zeigen, was mit den unterschiedlichen Modi alles möglich ist. Abseits davon, können sich auch Einsteiger mit diesen Vereinfachungen schneller ins Spiel einleben, während das große Mittelfeld wohl weiterhin bei den klassischen Viertelkreisen und Zwei-Sekunden-Moves bleibt, die man seit Jahren gewohnt ist.

Die Kämpfe geizen nicht mit Effekten, viel Zeit zum Bestaunen bleibt allerdings nicht.
Capcom

Augenweide

Wie schon punktuell erwähnt, ist "Street Fighter 6" ein optisches Feuerwerk. Moves werden von Graffiti-Bögen begleitet, die neuen Attacken leuchten in hellen Farben auf, um auch dem Gegner zu signalisieren, was da gleich auf ihn zukommt. Auch die Zwischensequenzen, der Einzug der Kämpfer in den Ring und sogar die Hintergründe – nie ein Steckenpferd der Serie y– weisen kaum Schwachstellen im Line-up auf. Der ganze Stil des Spiels ist zwar jugendlich aufgezogen, aber nicht so peinlich wie etwa in "Watch Dogs 2". Es passt einfach, wie die Figuren miteinander interagieren, und auch die vom Marketing abgesegneten Werbekampagnen, unter anderem mit Rapper Lil Wayne, passen irgendwie zum Gesamteindruck.

Ach, es gäbe noch so viel zu erwähnen. Die Live-Kommentar-Funktion etwa, die Onlinekämpfe auf Wunsch mit Stimmen bekannter Kommentatoren unterlegt, beispielsweise Steve "TastySteve" Scott oder auch Kosuke Hiraiwa. Dann könnte man noch erwähnen, dass laufend neue Charaktere dem Spiel hinzugefügt werden, sofern man sich den Season Pass sichert. Im Frühjahr 2024 wird etwa Akuma verfügbar sein, bereits diesen Sommer wird Rashid das Kämpferfeld erweitern.

Street Fighter 6 – Launch Trailer
"Kämpfen ist Kunst. Und dies ist unser Meisterwerk." Lil Wayne "Street Fighter 6" läutet für die ikonische Serie ein neues Zeitalter ein und bringt ein vielfältiges Fighter-Roster, bestehend aus neuen und wiederkehrenden Charakteren.
CAPCOM Germany

Auch der World-Tour-Modus soll mit regelmäßigen Erweiterungen, neuen Items und Missionen langfristig motivieren und die zugegebenermaßen seichte, aber auch unterhaltsame Story fortführen. Die aktuell verfügbaren Capcom-Klassiker, beispielsweise "Final Fight" oder "Street Fighter 2", werden über die kommenden Monate und Jahre mit anderen Klassikern auf den diversen Arcade-Plätzen im Battle Hub rotieren. 

"Street Fighter 6" erscheint am Freitag für PS4, PS5, Xbox Series und PC (Steam). Auf den Konsolen ist das Spiel ab rund 70 Euro zu bekommen, auf Steam kostet die Standard-Version 59,99 Euro, die Ultimate Edition 104,99 Euro. Die teureren Versionen des Spiels, es gibt auch noch die Deluxe Edition, enthalten unter anderem weitere Farben für die 18 Charaktere oder auch den Pass für alle neuen Charaktere im ersten Jahr des Spiels. 

Zahlreiche Trainingsmodi geben auch Anfängern eine Chance, ins Spiel zu finden.
Capcom

Fazit

"Street Fighter 6" hat sowohl eine harte Schale als auch einen harten Kern. Es knackt einfach an allen Stellen, sei es der neue Graffiti-Style, der sich wunderbar in die bekannte Optik einmischt, oder auch das fein nachjustierte Kampfsystem. Der Story-Modus ist keine epische Geschichte wie jene von "Mortal Kombat", aber die Anlehnung an Titel wie "Yakuza" und die zahlreichen freispielbaren Objekte motivieren ausreichend, um sich ab und zu in Metro City verlaufen zu wollen.

Die neuen Steuerungsarten laden auch Einsteiger ein, gezielt Knöpfe zu drücken, aber seien wir uns ehrlich, in wenigen Wochen werden online vor allem die Prügel-Experten darauf warten, uns eins auf die Mütze zu geben. Wer sich dem stellen will und Ausdauer beweist, zumindest einen der zahlreichen Charaktere zu meistern, der wird in den kommenden Monaten viel Freude mit "Street Fighter 6" haben. Sehr viel Freude. (Alexander Amon, 30.5.2023)