Im Mai 2018, also vor fünf Jahren, hat sich der Wiener Peter Stöger um Borussia Dortmund gekümmert.
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Peter Stöger wird es sich am Samstagnachmittag um 15.30 Uhr daheim vor dem Fernseher gemütlich machen. Der 57-Jährige verfolgt Fußballspiele gerne in der selbstgewählten Einsamkeit. Normalerweise ist er ein Fan der Konferenzschaltung, diesmal nicht, er gibt sich Borussia Dortmund gegen Mainz in voller Länge. Eventuell schaltet er kurz zu Köln gegen Bayern München um, das liegt an seiner Kölner Vergangenheit, mehr als vier Jahr war er dort Trainer.

Am 3. Dezember 2017 wurde er aus Deutschlands lustigster Stadt (Karnevalhochburg) rausgeschmissen, das war für Stöger aus Wien nicht wirklich zum Lachen. Sieben Tage später wurde er von Dortmund verpflichtet. Zur eigenen Verblüffung. Die Borussia hing in den Seilen, war Siebenter. Stöger schaffte den Turnaround, man wurde Vierter, doch noch Teil der Champions League. Nach ein paar Monaten war Schluss, das war so ausgemacht. "Es war extrem stressig, eine mentale Herausforderung, letztendlich konnte ich abliefern. Ich benötigte eigentlich schon davor eine Pause." Stöger wurde dann nach gut einjähriger Erholungsphase bei der Wiener Austria tätig, aber das ist eine völlig andere Episode.

Am Samstag, kurz vor 17.30 Uhr, sollte im deutschen Fußball vielleicht nicht das Ende, aber doch die Unterbrechung einer Ära vollzogen sein. Bayern München war zuletzt zehnmal hintereinander Meister, nun hat Dortmund zwei Zähler Vorsprung. Stöger sagt: "Zweifel gibt es immer im Fußball, aber es sollte sich doch ausgehen."

Die Borussia sei "ein unfassbarer Verein mit enormer Kraft. Das Fanpotenzial ist außergewöhnlich, die gelbe Wand im Stadion legendär. Gänsehaut pur." Der Ruhrpott ist kein touristisches Sehnsuchtsziel, Sightseeing in Dortmund ist enden wollend. "Die Stadt lebt Fußball."

Hohe Ansprüche

Die Dortmunder Welt wäre ohne die Bayern schöner. Man wird aufgrund dieser gemeinen Übermacht den eigenen hohen Ansprüchen nur selten gerecht. "Vor jeder Saison wird vom Titel geträumt, den Bayern der Kampf angesagt. Und dann scheitert man mit einer Verlässlichkeit, die überschaubar lustig ist." Die Bayern gelten ja als Intrigantenstadl, die Selbstzerfleischung ist quasi in den Vereinsstatuten verankert. "Und trotzdem gewinnen sie praktisch alles." Stöger sagt aber auch, "dass Dortmund sicher kein ruhiger Verein ist".

Was bei den Bayern Uli Hoeneß einmal war, ist in Dortmund immer noch Hans-Joachim Watzke. Der 63-Jährige hält seit 2005 als Geschäftsführer den Laden zusammen. Stöger: "Er ist der Macher, hat Ecken und Kanten, absolute Handschlagqualität. Ich schätze ihn, wir haben nach wie vor Kontakt."

Diesmal könnte (sollte) es mit dem neunten Meistertitel klappen. Ob es, Gelingen vorausgesetzt, an Dortmunds Stärke oder doch an Bayerns Schwäche lag, ist laut Stöger "Geschmackssache". Aus seiner Zeit kicken noch Marco Reus und Raphaël Guerreiro mit, als Schlüsselspieler bezeichnet er den Engländer Jude Bellingham. "Aber auch andere wie Donyell Malen waren da, als es darauf ankam. Man hat sich gegenseitig unterstützt. War einer schwach, wurde ein anderer stärker." Stöger führt den Ex-Salzburger Karim Adeyemi an. "Auf einmal ein Volltreffer."

Zudem sei entscheidend gewesen, an Trainer Edin Terzic festzuhalten. "Obwohl man zehn Punkte Rückstand hatte." Die schönste Geschichte sei die des Sebastien Haller. Im Sommer um rund 30 Millionen Euro von Ajax engagiert, wurde beim Ivorer noch vor dem ersten Einsatz Hodenkrebs diagnostiziert. Haller schritt durch ein tiefes Tal, zog sich raus, nun feiert er Tore vor der gelben Wand. Stöger: "Einfach nur berührend." Zur offiziellen Meisterfeier am Sonntag werden 200.000 Fans erwartet, vielleicht werden es 400.000. Stöger warnt: "Unterschätzt bitte Mainz nicht." (Christian Hackl, 26.5.2023)