Der Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ) sieht das geplante ORF-Gesetz im Widerspruch zu EU-Bestimmungen insbesondere über verbotene staatliche Beihilfen. Das geht aus der Stellungnahme des VÖZ zum Entwurf im Rahmen der parlamentarischen Begutachtung hervor. Mit einer EU-Beschwerde des Zeitungsverbands ist zu rechnen. Der Zeitungsverband verlangt neuerlich etwa eine Beschränkung des ORF auf öffentlich-rechtliche Angebote, online nur Videobeiträge mit Textbeschränkungen.

ORF-Gesetz "umgehend stoppen"

Der STANDARD appelliert in einer gesonderten Stellungnahme, das Gesetzesvorhaben "umgehend zu stoppen, um Österreich vor einem groben Schaden an der Medienlandschaft zu bewahren. Und eine wirklich breite Diskussion über die Finanzierung von Medien (öffentlich-rechtlicher und privater) zu starten und daraus ein Programm zur Förderung von Qualitätsmedien zu entwickeln, das der Gesellschaft zugutekommt, so das Ende vieler Medien abwendet, und die Medienvielfalt in Österreich nicht nur erhält, sondern stärkt."

Der Gesetzesentwurf in der vorliegenden Form "führt dazu, dass der ORF seine marktbeherrschende Stellung missbraucht, um private Medienunternehmen aus dem Markt zu verdrängen", heißt es in der Stellungnahme. Der STANDARD sieht wesentliche Widersprüche gegen EU-Beihilfenrecht sowie gegen Wettbewerbsrecht: "Durch das neue ORF-Gesetz wird der ORF gegen das Marktmissbrauchsverbot verstoßen und die Republik Österreich gegen das Verbot, öffentliche Unternehmen zu Marktmissbräuchen zu veranlassen". Der STANDARD verweist insbesondere auf die öffentliche Finanzierung durch den geplanten ORF-Beitrag von Haushalten und Firmen: "Insgesamt ergibt sich aufgrund der kostenfreien (ohne Abo, sogar ohne Registrierungspflicht) Zurverfügungstellung des Contents an Nutzer und der Möglichkeit diesen Content auch noch zu vermarkten, sogar eine doppelte, um nicht zu sagen 'exponentielle' Verzerrung zulasten des nationalen Wettbewerbs."

Sollte der Gesetzgeber das Vorhaben nicht stoppen, verlangt der STANDARD in seiner Stellungnahme wie der Zeitungsverband eine Reduktion des ORF auf den öffentlich-rechtlichen Auftrag, alleine Audio- und Videobeiträge mit maximal 300 Zeichen Text sowie etwa Onlinebeiträge nur mit Sendungsbezug, Werbebeschränkung und eine "ganzheitliche Reform der Medienfinanzierung" - also Mittel aus der Haushaltsabgabe auch für öffentlich-rechtliche Inhalte privater Medien. 

EU-Prüfung "unausweichlich"

Der Zeitungsverband sieht eine "unionsrechtswidrige Quersubventionierung von ORF-Presseberichterstattung mit Rundfunkentgelten". Zeitungsähnliche Onlineangebote sind schon nach dem heutigen ORF-Gesetz verboten, das auf einem EU-Beihilfenverfahren von vor 2010 basiert. "Andernfalls läge nämlich eine Quersubventionierung des nicht dem ORF zugewiesenen Pressebereichs mit Rundfunkgebühren vor", schließt der VÖZ aus dem damaligen Verfahren der EU-Kommission. "Tatsächlich wurde die Zusage gegenüber der EU KOM jedoch nicht umgesetzt, weil diese Regelung in der Praxis nicht eingehalten wird." 

Mit der Neufassung des ORF-Gesetzes werde diese Presseähnlichkeit aber "auch noch erweitert und für die Zukunft festgeschrieben", heißt es in der VÖZ-Stellungnahme: "Aus diesem Grund ist jedenfalls eine erneute Befassung der EU-Kommission nunmehr unausweichlich.

Der Zeitungsverband: "Das Ergebnis aus quantitativ und qualitativ umfassender Aktuell-Berichterstattung einerseits und nahtloser Integration weiterer textbasierter Onlineangebote in das Nachrichtenangebot macht das öffentlich-rechtliche Onlineangebot ORF.at entgegen den Zusagen gegenüber der Europäischen Kommission zur reichweitenstärksten Onlinezeitung und zum reichweitenstärksten Onlinemagazin Österreichs. Dieser Umstand hat bei den Mitgliedern des VÖZ zu einem Auflagenrückgang und – damit verbunden – dem Verlust von Werbeeinnahmen geführt."

70 Seiten ORF.at-Zeitung

Der Zeitungsverband illustrierte die Zeitungsähnlichkeit von ORF.at schon in der bisherigen Form zuletzt mit einer Zeitungsversion der aktuellen ORF.at-Newsinhalte im Umfang von 70 Seiten, die der VÖZ Politikerinnen und Politikern schickte.

Der Zeitungsverband will, um gegen zeitungsähnliche ORF-Angebote vorzugehen, neuerlich die EU-Kommission einschalten.
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EU-Vorabprüfung gefordert

"Die geplante Neufassung des ORF-Gesetzes ist in der vorliegenden Form aus mehreren Gründen nicht mit dem europäischen Beihilferecht vereinbar und daher vorab bei der Europäischen Kommission zu notifizieren", heißt es in der Stellungnahme des Zeitungsverbands. Notifizierung ist die Prüfung von staatlichen Beihilfen auf ihre Vereinbarkeit mit EU-Recht, wonach diese den Wettbewerb in der Union nicht verzerren dürfen. Die bisherige GIS-Finanzierung des ORF war vor 2010 Gegenstand einer EU-Prüfung, ein Kompromiss mit der Republik Österreich darüber war die Basis des aktuell gültigen ORF-Gesetzes von 2010.

Das geplante ORF-Gesetz stellt die ORF-Finanzierung auf einen "ORF-Beitrag" von allen Haushalte und von Firmen unabhängig vom Empfang um. 525.000 Haushalte und 100.000 Firmen mehr als die GIS heute sollen künftig den Beitrag zahlen. Mit dem Beitrag fällt die bisher auf die GIS eingehobene Mehrwertsteuer weg. Der ORF erhält laut Gesetzesentwurf als Abgeltung für den damit ebenfalls entfallenden Vorsteuerabzug von der Republik jährlich zumindest 70 Millionen Euro. 

Die Mehrwertsteuer auf die GIS sei schon bisher gesetzwidrig eingehoben worden, argumentiert der Zeitungsverband. Der Verzicht auf die Bundesabgaben mit der Umstellung auf einen "ORF-Beitrag" sei "nichts anderes als die gebotene Abkehr von einer wohl schon bisher nicht mit dem Unions-Mehrwertsteuerrecht zu vereinbarenden Praxis".

Der Generalanwalt am EU-Gerichtshof sieht die bisher auf die GIS eingehobene Mehrwertsteuer allerdings in seinem am Donnerstag veröffentlichten Schlussantrag als mit dem EU-Recht vereinbar

Der Zeitungsverband verlangt, wie berichtet, eine grundlegende Neufassung des von ÖVP und Grünen vorgelegten Begutachtungsentwurfs. In einem bereits veröffentlichten Fünf-Punkte-Programm fordert der VÖZ etwa eine Evaluierung und Reduktion des ORF auf öffentlich-rechtliche Angebote, weitergehende Werbebeschränkungen online, ein Verbot öffentlich-rechtlicher Mittel für Social-Media-Formate, nur noch Video- und Audiobeiträge mit maximal 300 Zeichen Text auf ORF.at sowie eine Entpolitisierung der ORF-Gremien. (fid, 25.5.2023)