Gundi Wentner, Christian Havranek nehmen Abschied
Sie haben die Personalmanagement-Beratung wesentlich geformt und mitgestaltet: Gundi Wentner und Christian Havranek.
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Zwei einflussreiche Personalberater und Talenteschmiede für ihren Bereich nehmen nun, nach 30 Jahren im Fach, ihren Abschied. 1992, in einer Aufbruchphase der Branche, hatten sich Wentner & Havranek auf Banken spezialisiert, 2002 haben sie ihr Geschäft in Deloitte Human Capital eingebracht. Damals waren 1200 Expertinnen und Experten in diesem Bereich des Beraterhauses global tätig – heute sind es 18.000.

Die beiden haben Vorstands- und Aufsichtsgremien in Österreich wesentlich mitgestaltet, Gehaltsmanagement professionalisiert und auch über Beratungsprojekte des Arbeitsmarktservice und dem Europäischen Sozialfonds Gleichstellung und Altersdiversität in der heimischen Wirtschaft zum Thema gemacht. Jetzt beenden sie ihre Arbeit bei Deloitte, noch vor dem festgesetzten Alterslimit.

STANDARD: Wieso jetzt? Die Personalfrage stand noch nie so im Zentrum.

Havranek: Aufhören, wenn es am schönsten ist!
Wentner: Nicht aufhören zu können ist ja keine nachhaltige Nachfolgeplanung – unsere Next Generation ist jetzt um die 40.          
Havranek: Es zwingt zum Nachdenken ...  
Wentner: ...ja, darüber, welche Rollen nicht mehr passen.

STANDARD: Steht der totale Rückzug ins Private auf dem Plan?

Havranek: Nein, wir werden unsere Erfahrung und Expertise nützen und gemeinsam, auch in Verbindung mit Deloitte, etwas in unserem Bereich weiter tun.

STANDARD: Was hat Sie über die Jahrzehnte getragen, was hat Ihre Businesspartnerschaft getragen?

Wentner: Wir sind vollkommen komplementär. Und wir konnten das, was wir gemacht haben, immer in voller Überzeugung tun.
Havranek: Gundi ist die Vorangehende. Ich bin verhaltener. So gesehen, sind wir ein gutes Beispiel, wie wichtig Diversität im Vorstand ist – wenn es im Team crasht, dann meistens, weil alle gleich sind.

STANDARD: Es hat sich enorm viel verändert in 30 Jahren, Covid hat alles beschleunigt – was sind die wesentlichen Dreh- und Angelpunkte?

Havranek: Ja! Faszinierend, dass sich in den vergangenen drei, vier Jahren mehr verändert hat als in den 27 Jahren davor.
Wentner: Personal ist vom Rand in die Mitte gerückt. Personalexpertise muss jetzt im Vorstand verankert sein. Und Personalverantwortliche müssen etwas vom Business verstehen.
Havranek: Da sehen wir eine sehr dynamische Entwicklung – raus aus der Psychoecke. Es ist jetzt klar: Das ganze Workforce-Ökosystem ist zu bedienen: Gäste auf Zeit im Unternehmen, Fixangestellte, Expertinnen und Experten für Projekte. Am schnellsten entwickelt sich jetzt eigentlich die HR-Tech, die Digitalisierung – Datenqualität steht im Zentrum für die Wirtschaftsprüfung. Vor ein paar Jahren wurden noch Excel-Listen hin- und hergeschickt.
Wentner: Das hat Anforderungen und Ansprüche an Führungskräfte enorm verändert: Wer kann Führung, welche Kompetenzen sind zu entwickeln? Das hängt auch mit Remote Work zusammen und der Herausforderung: Wie schaffe ich es, dass die Leute Sinn in ihrer Arbeit sehen?

STANDARD: Das alles macht Ihr Geschäft doch umso interessanter, oder?

Wentner: Zweifellos! Die Personalberatung hat sich von der Suche hin zur Aufgabe entwickelt: Wie können wir sicherstellen, dass diese Personen das wirklich können? Suche ist eigentlich keine Leistung mehr, es geht um den Check der Kompetenzen und der Passung. Das birgt auch einen Konflikt in der Personalberatung, sie will ja einen Abschluss. Es war der wahrscheinlich größte transformative Prozess in unserer Branche, vom Personalberater hin zu Experten für Besetzungsentscheidungen.

STANDARD: Verbreitern sich durch all diese Entwicklungen die Chancen und Zugangsmöglichkeiten zu Top-Jobs, oder haben sich lediglich neue Zirkel und Milieus gebildet, die helfen?

Havranek: Ja, es ist leichter geworden, Karriere zu machen. Die Zeiten, in denen sich alles im Rotary Club abgespielt hat, sind weitgehend vorbei. Die Frage heute ist: Welche Kompetenzen brauchen wir? Was kann und muss dazugelernt werden? Der Begriff der guten, alten "Stelle", in die Menschen eingepasst werden, stirbt aus.

STANDARD: Apropos: Wohin entwickelt sich Arbeit gerade, was bedeutet Flexibilität?

Wentner: Wir nehmen eine große Offenheit für neue Zeitmodelle wahr. Geschuldet dem Mangel an Personal und geschuldet den Wünschen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Auch die Erwartung der Veränderungen durch künstliche Intelligenz spielt da hinein. Wir erwarten ein branchenweises Vorgehen – und natürlich wird das auch zu einer neuen Verteilungsfrage werden. Einiges wird teurer werden, nicht nur die Pflege.       °
Havranek: Der Fach- und Arbeitskräftemangel bringt sehr viel in Bewegung, das ist gut!

STANDARD: Deloitte hat sich selbst den Beitrag zum Diversitätsthema verordnet, gezielt Frauen gesucht und eingeladen. Es hat sich viel verändert – aber was tut besonders weh?

Wentner: Wir sind auf einer relativ hohen Flughöhe beim Frauenthema: viele Initiativen, Quoten, Anstrengungen für Equal Pay. Gleichzeitig haben wir immer noch nicht die Rahmenbedingungen, die es Frauen überhaupt ermöglichen, sich für eine Karriere zu entscheiden. Dieser Gap tut weh und wird kaum adressiert – wir brauchen eine massive Veränderung der Rahmenbedingungen. Kindergärten, Ganztagsschule. Wir erleben einerseits eine große Sensibilität und ein hohes Bewusstsein der Jungen dafür, gleichzeitig haben wir aber deutliche konservative Gegenbewegungen.

STANDARD: Haben es Junge heute schwerer – oder stehen sie auf den Schultern ihrer Ahninnen und Ahnen und glauben nur, dass es schwerer ist? Grund zur Sorge?

Wentner: Junge haben es heute schwerer. Wir waren die glücklichste Generation: Wirtschaftswachstum, Friede, Bildungsboom, und wir waren uns sicher, dass es die nächste Generation besser haben wird. Jetzt ist Klimawandel, der Krieg ist sehr nah, wir haben die höchste Teuerung, Abstiegsängste und Angst vor Wohlstandsverlust bestimmen das Lebensgefühl. Gleichzeitig scheint es so, als gäbe es fast unendlich viele Wahlmöglichkeiten. Und wir haben ein Bildungssystem, das alles noch schwerer macht mit dem Aussortieren schon in den Volksschulen.

Havranek: Mir macht Sorgen, dass der Spalt zwischen oben und unten so groß geworden ist, noch größer wird.

STANDARD: Noch einmal zurück zu Ihrer künftigen Arbeit: Gibt’s schon einen neuen Firmen­namen?

Wentner: Es wird klar beschrieben, was wir anbieten und: Es wird innovativ!