Western Gartenbaukino El Topo
Ein finsterer Revolverheld zieht durch die Wüste und muss vier religiöse Meister besiegen: "EL Topo" läuft am kommenden Samstag im Gartenbaukino.
imago images/Ronald Grant

Wir schreiben das Jahr 1970. Es ist Mitternacht, und Mitte Dezember liegt die Temperatur um den Gefrierpunkt. Vor dem New Yorker Elgin Theater bildet sich dennoch eine lange Schlange. Gezeigt wird El Topo von Alejandro Jodorowsky. Zwei der Zuschauer sind John Lennon und Yoko Ono. Sechs Monate später läuft der Film immer noch täglich zur Geisterstunde. Ein Kultfilm ist geboren und mit ihm das Phänomen der Midnight Movies. Das Wiener Gartenbaukino begibt sich mit der Reihe Nachtblende auf die Spuren dieses Mitternachtskinos. Der Auftakt erfolgte bereits vor zwei Wochen mit David Lynchs Eraserhead. Zu später Stunde füllten 365 Filmbegeisterte den ­Kinosaal. Am kommenden Samstag reitet nun mit El Topo der Vater aller Midnight Movies am Parkring ein.

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Der mittlerweile 94-jährige Jodorowsky drehte mit seinem zweiten Langfilm einen der eigenwilligsten Western der Kinogeschichte. Ein Revolverheld zieht durch die Wüste und muss vier religiöse Meister besiegen. Der "atheistische Mystiker" und "Psychoschamane" Jodorowsky bringt hier schon die vielen spirituellen Motive ein, die seinen nächsten, von John Lennon finanzierten Film La Montaña ­sagrada dominieren. Filmisch ergibt das verschwenderische Tableaus und wild-surreale Szenen, die für ein halbes Dutzend anderer Filme reichen würden – oft genug mit einem Acid-Trip verglichen. Dementsprechend fasst der Meister auch seine Filmphilosophie zusammen: "Ich erwarte von Filmen, was die meisten Nordamerikaner von psychedelischen Drogen erwarten." Und auch bei den Happening-artigen Mitternachtsvorführungen der 70er wurden vom Counter-Culture-Publikum ausgiebig inspirierende Rauchwaren konsumiert.

Nicht ganz zur Geisterstunde

2023 ist das im Wiener Gartenbaukino nicht mehr drin. El Topo startet 53 Jahre nach seiner Premiere zwar nicht ganz zur Geisterstunde, das ist für die innere Wiener Uhr dann doch zu gruselig. Aber immerhin um halb elf, weit nach der Schlafenszeit aller braven Hochkulturkonsumenten. Denn genau davon sind die von Gewalt und Sex durchzogenen Mitternachtsfilme weit entfernt. Die Distanz zu allem Bürgerlichen macht sie geradezu aus. Auch die weiteren Midnight-Madness-Klassiker der ersten Nachtblende-Saison – The Harder They Come, Night of the Living Dead und Pink Flamingos – zeugen von dieser transgressiven, anarchischen Energie.

So wird das Kinoerlebnis eine Art ritueller ­Erfahrungsraum, der eine Antithese zur Philosophie des unsichtbaren Kinos bildet, wie es in Wien ein paar Schritte weiter zelebriert wird. Daraus entsteht nicht nur der Campfaktor, der die Mitternachtsfilme begleitet. Es übergibt die Regie auch ein Stück weit an die Zuschauer. (Marian Wilhelm, 26.5.2023)