Andreas Babler in seinem Element: Bei Liveauftritten fliegen dem 50-Jährigen die roten Herzen zu.
Christian Fischer

Andreas Babler lässt sich nicht einfangen. Laut erklangen die Ratschläge, er möge Hans Peter Doskozils Sieg bei der Mitgliederbefragung als finale Entscheidung anerkennen – und dafür vielleicht eine wichtige Rolle unter dem künftigen SPÖ-Chef spielen. Doch der Adressat denkt gar nicht daran. Dafür sei er der falsche Typ, versichert Babler. Er fange bestimmt nicht damit an, zu mauscheln und in Hinterzimmern irgendetwas auszupackeln.

SPÖ-Vorsitzkandidat Andreas Babler bei einer "Wahlparty" am Montag auf der Donauinsel, wo er sich für einen Mitgliederentscheid ausgesprochen hatte
APA

Parteitag bringt Entscheidung

Der 50-Jährige weiß, was er seiner Anhängerschaft schuldig ist. 33.703 Parteimitglieder haben mit ihren Stimmen den Traiskirchener Bürgermeister knapp an Doskozil herangebracht – auf dass ihr Held nun aufs Ganze gehe. Am Parteitag am 3. Juni in Linz tritt Babler zur Entscheidungswahl an: Jener Mann, der sich jahrelang am roten Establishment gerieben hat, will selbst dort ankommen.

Ein sensationeller Aufstieg? Wer Babler als Außenseiter abgetan hat, hätte gewarnt sein können. Denn der unermüdliche Händeschüttler hat mit einer zündenden Kampagne nicht zum ersten Mal Erstaunliches geschafft. Bei der niederösterreichischen Landtagswahl im Frühjahr machte der mit reichlich Vorzugsstimmen ausgestattete Einzelkämpfer seine Heimatgemeinde Traiskirchen zu einem der wenigen Orte, wo die SPÖ zulegte. Als regierender Bürgermeister stützt er sich auf eine Mehrheit von beinahe 72 Prozent.

Nichts ist unmöglich

Warum Babler so elektrisiert, lässt sich in der Sache gar nicht einmal so leicht festmachen. Beim Buhlen um die Stimmen zehrte er vom Image des standhaften Linken, forderte aber wenig anderes, was nicht ohnehin offizielle Parteilinie ist. Den Ruf nach einer 32-Stunden-Woche, der ihm im Kampf um rote Herzen willkommene Schlagzeilen bescherte, hat die entthronte Rivalin Pamela Rendi-Wagner schon vor drei Jahren ertönen lassen. Auch Preiseingriffe, Kindergrundsicherung und Vermögensbesteuerung sind längst sozialdemokratisches Allgemeingut.

Doch spricht Babler davon, dass jedes Kind Anrecht auf eine warme Mahlzeit habe, niemand länger auf einen Facharzttermin warten solle und Pflege nicht nach der Stechuhr ablaufen dürfe, klingt das in den Ohren der Fangemeinde nicht wie das hundertste aus einem Programm abgelesene Lippenbekenntnis. Viel von Stolz und Leidenschaft, vom Auferstehen und der wiedergewonnenen Stärke der Bewegung ist die Rede, wenn der Hoffnungsträger vor sein Publikum tritt – ob sich dieses nun auf Twitter oder Bierbänken vor dem Traiskirchener Rathaus versammelt.

"Lasst euch nicht einreden, dass das alles nicht möglich ist", appelliert Babler und verheißt: Wenn ein System falsch sei, dann wolle er es nicht bloß ein bisschen abfedern, sondern grundsätzlich umkrempeln. Über Koalitionspartner für die dazu notwendige Regierungsmehrheit muss er sich ja noch nicht jetzt den Kopf zerbrechen.

Partei als Leidenschaft: Babler zehrt vom Image des standhaften Linken.
Christian Fischer

Aufstieg eines Arbeiterbuben

Glaubwürdigkeit verleiht ihm die eigene Vita. Gerne erzählt der Arbeitersohn, wie ihn in jungen Jahren eine lokale Tragödie tief schockiert habe. In den Neunzigern begann der deutsche Mutterkonzern, das örtliche Semperit-Reifenwerk – für Bablers Großvater und Vater sowie für viele andere Traiskirchener ein Stück Identität statt nur Brötchengeber – zu demontieren. Die Hilflosigkeit heimischer Spitzenpolitiker gegenüber den selbstbewussten Industriemanagern interpretierte er als Offenbarungseid, dass die Politik den Gestaltungswillen aufgegeben habe.

Aus seinen Jahren bei der Sozialistischen Jugend nahm Babler, wie er freimütig bekennt, den Marxismus als "Brille" mit, um auf die Welt zu schauen. Als er in den 2010er-Jahren, bereits als Bürgermeister, den amtierenden SPÖ-Kanzler Werner Faymann immer wieder der Ignoranz sozialdemokratischer Werte bezichtigte, lernte ihn auch ein breiteres Publikum als Rebellen kennen. Optisch pflegt der gelernte Maschinenschlosser, der via zweiten Bildungsweg ein Studium der politischen Kommunikation abschloss, dieses Image bis heute: Gerne trägt er Doc-Martens-Stiefel, als Arbeiterschuhwerk vor Jahrzehnten Kult geworden, sowie T-Shirts des linken Hamburger Fußballvereins St. Pauli.

Was ihn in den Augen der Anhänger zu einem Überzeugungstäter im besten Sinne macht, kommt bei manchen Gegnern in der Partei allerdings überheblich rüber: Babler gebärde sich geradewegs so, als ob alle anderen in der SPÖ, die seiner Linie nicht folgen, ohne Rückgrat durchs Leben gingen.

Gegen die blaue Versuchung

Schwierig droht der Brückenschlag zu Skeptikern in der Partei vor allem in einer Frage zu werden: Es ist kein Geheimnis, dass auch Sozialdemokraten – Funktionäre wie Wähler – für eine eher strenge Linie in der Asyl- und Ausländerfrage eintreten. Babler aber steht für das Gegenteil. Statt von sich aus etwaige Integrationsprobleme zu thematisieren, wendet er sich gegen "Stimmungsmache" auf dem Rücken der Schwächsten: Oberstes Gebot sei, die "menschlichen Schicksale" hinter den Asylzahlen zu sehen.

Dass diese Haltung mehrheitsfähig sein kann, hat Babler in Traiskirchen bewiesen. Die 19.000-Einwohner-Gemeinde beherbergt das immer wieder überfüllte Asylerstaufnahmezentrum – und widerstand bei Wahlen dennoch der blauen Versuchung.

Doch Bundespolitik ist ein anderes Geschäft. Fühlt sich in einer Kleinstadt jemand von herumlungernden Jugendlichen bedroht, kann ein leutseliger Bürgermeister alle an einen Tisch holen. Fürchten hingegen anonyme Wähler Flüchtlingsmassen, die sie nie zu Gesicht bekommen haben, fällt das Moderieren ungleich schwerer.

Die Reputation, die Babler aus seiner Haltung schöpft, spricht auf dem Papier eigentlich gegen ihn. Denn für die Sozialdemokraten geht es bei den kommenden Wahlen vor allem anderen darum, eine türkis-blaue Mehrheit zu verhindern. Braucht es dazu nicht einen Kandidaten, der – wie mutmaßlich Doskozil – rechts der Mitte punkten kann, statt nur linke Wählerinnen und Wähler von den Grünen abzuziehen? Schließlich waren Bruno Kreisky und Franz Vranitzky, die erfolgreichsten Kanzler der SPÖ, Politiker mit einer Anziehungskraft, die das bürgerliche Lager erreichte.

Nach dieser Logik ist Babler somit der Falsche, um eine Mehrheit für eine Ampelkoalition mit Grünen und Neos zu schaffen. Es wird an den Delegierten des Parteitags liegen, ob er den Gegenbeweis antreten darf. (Gerald John, 25.5.2023)