Theaterbühne
Unterzeichnet wurde der offene Brief von mehr als zwei Dritteln der gesamten Studierendenschaft des Max-Reinhardt-Seminars.
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In einem offenen Brief, der dem STANDARD vorliegt, fordern die Studierenden des Wiener Max-Reinhardt-Seminars den Rücktritt ihrer Institutsleiterin Maria Happel. Ihr Vertrauen in sie sei "unwiederbringlich zerrüttet", schreiben sie in der vierseitigen Stellungnahme. Unterzeichnet haben mehr als zwei Drittel der gesamten Studierendenschaft.

Wie kam es so weit? Als letzten Sommer ein Social-Media-Posting der Regisseurin Katharina Mückstein eine #MeToo-Debatte in Österreichs Kulturbranche lostrat, stand auch die größte künstlerische Ausbildungsstätte des Landes in der Kritik: die Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (MDW). DER STANDARD hat damals mit rund 20 heutigen und ehemaligen Studierenden sowie mit Lehrenden gesprochen. Die Vorwürfe betrafen neben dem Max-Reinhardt-Seminar auch andere MDW-Institute wie die Filmakademie, das Institut für Gesang und Musiktheater und das Institut für Komposition, Elektroakustik und Ausbildung zur Tonmeisterin oder zum Tonmeister.

Rektorin Ulrike Sych erwiderte in einer schriftlichen Stellungnahme vom August 2022, dass sie eine "Null-Toleranz-Politik" bei nachgewiesenen Fällen von Belästigung und Machtmissbrauch lebe. Außerdem habe man in der Vergangenheit viele Maßnahmen gesetzt, um Betroffene zu schützen, hieß es. Zuletzt ist es um die Causa MDW ruhig geblieben.

Mit dem offenen Brief an Sych brachen die Studentinnen und Studenten des Max-Reinhardt-Seminars ihr Schweigen: Sie prangern weitere Missstände an ihrem Institut an und bitten die Rektorin um Unterstützung.

"Danach war das Thema abgehakt"

In ihrem Schreiben heißt es, dass sich seit dem "#MeToo-Artikel in der Tageszeitung DER STANDARD vom 5. August 2022 hinsichtlich einer Verbesserung der Umstände nichts getan, nichts verändert" habe. Abgesehen von einer Informationsveranstaltung der internen Anlaufstelle der MDW, bei der Institutsleiterin Happel offenbar selbst gar nicht anwesend war, habe es am Reinhardt-Seminar keine Initiative gegeben. "Danach war das Thema abgehakt", lautet der Vorwurf.

Die Institutsleitung habe in all den Monaten keine Verantwortung und kein Bemühen um Aufklärung gezeigt. Die Studierenden beziehen sich in dem offenen Brief nicht nur auf Missstände, die in dem Artikel aufgedeckt wurden, sondern führen eine Liste von eigenen Beobachtungen an.

Maria Happel
Maria Happel ist Mitglied im Ensemble des Burgtheaters und leitet die Festspiele Reichenau.
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Rollenunterricht finde etwa weiterhin in ungeschützten Räumen abseits der MDW statt, obwohl die Institutsleitung hierüber in Kenntnis gesetzt worden sei. Auch sei eine öffentliche Diplominszenierung nur unter Begleitung einer Sicherheitsfirma möglich gewesen, "da von einem ehemaligen Studierenden eine imminente Gefahr ausging". Diesbezügliche Bedenken seien vorab kommuniziert und "schlichtweg ignoriert" worden.

Mitstudierende seien von der stellvertretenden Institutsleitung Annett Matzke in Einzelgesprächen zum Weinen gebracht, eine hochschwangere Mitarbeiterin vor anderen Studierenden von Maria Happel angeschrien worden. Letztere sei außerdem "nahezu nie am Institut anzutreffen". Happel ist Mitglied im Ensemble des Burgtheaters und leitet die Festspiele Reichenau.

Rücktritt gefordert

Die Studentinnen und Studenten des Reinhardt-Seminars sehen sich in ihrer Ausbildung mit einem System von "Machtmissbrauch, Nepotismus und Ignoranz" konfrontiert. So würden zum Beispiel Lehraufträge intransparent und nach privaten Vorlieben vergeben. Auch die Einhaltung des Leitbilds der MDW und Inhalte des Curriculums werden von den Studierenden vermisst. "Universitätseigene Richtlinien zu Themen wie Diskriminierung, Gender und Diversität werden nicht nur nicht umgesetzt, sie scheinen den verantwortlichen Personen nicht einmal bekannt zu sein", beklagen sie.

Man fürchte um die Qualität und Relevanz der Ausbildung – der gute Ruf einer der prestigeträchtigsten Schauspielschulen im deutschsprachigen Raum sei in Gefahr. Deshalb fordern die Studierenden des Max-Reinhardt-Seminars "unmittelbar den Rücktritt von Maria Happel und Annett Matzke". Die Neubesetzung müsse transparent, seriös und in Zusammenarbeit mit den Studierenden geschehen. Denn: "Die leitenden Personen sollten nicht berühmt, sondern qualifiziert sein."

DER STANDARD gab der MDW-Rektorin Ulrike Sych sowie der Institutsleitung des Max-Reinhardt-Seminars, Maria Happel und Annett Matzke, die Gelegenheit, auf alle genannten Vorwürfe zu reagieren. Aus dem Büro des Rektorats hieß es im Namen aller, man wolle zunächst das Gespräch mit den Studierenden suchen, bevor man zum offenen Brief Stellung beziehe. Im Weiteren verwies das Rektorat auf bereits bestehende Maßnahmen zum Thema "Gender, Diversität und Antidiskriminierung", die in der Amtsperiode Sychs gesetzt wurden. Dazu gehören unter anderem eine Gender-Ringvorlesung, verschiedene Forschungsprojekte, eine kürzlich stattgefundene Tagung mit dem Namen "Ver_üben" und ein interaktives Webtool für diversitätsreflektierte Lehre. (Anna Wielander, Helene Dallinger, 26.5.2023)