Am 30. Juni erscheint die letzte gedruckte Ausgabe
Am 30. Juni erscheint die letzte gedruckte Ausgabe "Wiener Zeitung".
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Donnerstagabend wurde die Redaktion der "Wiener Zeitung" mit dem Kurt-Vorhofer-Preis 2023 ausgezeichnet, "heute ist ein großer Tag für uns, nämlich all jene, die hier stehen, um den Kurt-Vorhofer-Preis entgegenzunehmen. Es ist aber auch ein großer Tag für all die, die nicht hier stehen, der Redaktion der 'Wiener Zeitung' jedoch eng verbunden sind", sagt "Wiener Zeitung"-Journalist Gregor Kucera in seiner Rede. "Denn wir alle machen die Werte, für die die 'Wiener Zeitung' geschätzt und gelesen wird, aus. Wir stehen für objektiven, sachlichen, klaren Journalismus, der eben genau nicht wertet, sondern die Basis für das ist, was in einer Demokratie so wichtig ist: Meinungsbildung fernab von Manipulation oder Fake News."

Die "von der Regierung verfügte Einstellung dieser ältesten noch bestehenden Tageszeitung der Welt" sei ein "nicht wiedergutzumachender Fehler und ein unwiederbringlicher Verlust für Österreich und seine Medienlandschaft", begründete die Jury ihre Entscheidung für den Vorhofer-Preis an die Redaktion der "Wiener Zeitung". "Wir konnten das Ende der 'Wiener Zeitung' nicht verhindern. Wir als Redaktion nicht, unsere Unterstützer und Unterstützerinnen nicht, unsere Aktionen und Aktivitäten nicht. Wir alle haben unser Bestmögliches getan, alles versucht, bis zum letzten Tag gekämpft und gehofft. Es hat nichts genützt", so Kucera.

Wo sind integre Politikerinnen und Politiker?

In seiner Rede spricht er auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen an: "Wir sind nicht so wie die derzeitige Politik, die ihre Macht erhalten will und alles dafür tut. Deren Verständnis von Medienpolitik nur Unverständnis bei allen hervorrufen muss. Die ihrer Spendenklientel dient und nicht dem Staat. 'Damit unsere Demokratie und unser Rechtsstaat intakt bleiben, braucht es integre Politikerinnen und Politiker, die zum Vorteil der Bevölkerung handeln, niemals zum eigenen oder zum Vorteil der eigenen Seilschaften' – das sagten Sie, Herr Bundespräsident, vor gar nicht allzu langer Zeit. Aber wo sind diese Politiker und Politikerinnen? Ich hoffe, Sie haben solche Exemplare von (Regierungs-)Politikern auch wirklich entdeckt", so Kucera.

Und er fragt sich weiter: "Wo sind die, die sich nicht am fröhlichen Parteifarbenmischen beteiligen, um diffuse Mehrheiten zu erzielen? Wo sind die, denen ein goldenes Klavier nicht wichtiger ist als eine 320 Jahre alte Tageszeitung, die älteste gedruckte Tageszeitung der Welt? Sie waren jedenfalls nicht anwesend, um das Ende dieses Kulturgutes zu verhindern, sie haben nicht aufgeschrien, als erkennbar wurde, dass sich die Medienpolitik der Regierung darin erschöpft, den Wert eines Mediums nach wohlwollender Berichterstattung oder erkaufbaren Lobhudeleien festzulegen." Es seien jene Politiker, die die "Wiener Zeitung" zusperren, "die den Wert einer gedruckten Zeitung einzig in deren Aufnahmefähigkeit von Meerschweinchen-Urin messen, bis man den Käfig wieder neu ausmisten muss. Nirgendwo lässt sich der Mangel an Fachkräften besser erkennen als in der Medienkompetenz dieser Regierung."

Sich nichts gefallen lassen

"Verwechselt Content-Production nicht mit Qualitätsjournalismus", gibt er jungen Kolleginnen und Kollegen mit auf den Weg. Und er appelliert: "Lasst euch nicht von Politik oder Wirtschaft verführen, lasst euch nicht von leeren Versprechungen täuschen, enttarnt die leeren Worte der Macht und wehrt euch gegen Pseudoverbrüderung. Lasst euch nichts gefallen, von niemandem." Jetzt sei es Zeit, dass die Journalistinnen und Journalisten in diesem Land aufstehen müssen, "um ihre Profession zu verteidigen". Kucera: "Wenn die letzte Zeitung verschwunden ist, dann erst werden die Menschen erkennen, dass vertrauenswürdige Nachrichten nicht unbedingt in sozialen Medien und PR-Abteilungen wachsen."

Am Ende seiner Rede fordert Kucera eine Trauerminute, "für ein unwiederbringliches Kulturgut, das zu Grabe getragen wird. Für einen Schatz, den zu viele erst zu spät entdeckt haben. Und für eine Redaktion, die bis zum Ende gezeigt hat, dass man sich nicht verbiegt, selbst wenn der letzte Vorhang bald fallen wird." 

Van der Bellen: Bevölkerung als Regulativ

Verliehen wurden der Vorhofer- und Hochner-Preis von Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Er meinte bei dem Festakt in der Wiener Hofburg, dass die Medienbranche in den vergangenen Jahren keinen Rückenwind, sondern "heftigen Gegenwind" erfahren habe. Man befinde sich in einer Situation, bei der Kräfte am Werk seien, denen es gefalle, wenn Journalistinnen und Journalisten ihren Job nicht wahrnehmen könnten. "Wenn wir diesen Prozess nicht aufhalten können, sehe ich düstere Zeiten für die liberale Demokratie kommen", so Van der Bellen. "Wir brauchen ihre Unabhängigkeit, ihre Integrität, ihre Genauigkeit, ihr Wissen, ihre Einordnung dessen, was geschieht", sagte er zu den anwesenden Pressevertreterinnen und -vertretern.

Der Bundespräsident sprach auch zum Aus der "Wiener Zeitung" als tägliche Printzeitung. Vor einer Woche sei das Gesetz bei ihm zur Unterschrift gelegen, sagt Alexander Van der Bellen in seiner Rede. "Ob mir gefällt, was ich da unterschreibe oder nicht, hat keinerlei Niederschlag gefunden." Einzig das verfassungsmäßige Zustandekommen des Gesetzes habe er bestätigt - "nicht mehr und nicht weniger", so Van der Bellen. Als Regulativ für den Inhalt sah er die Bevölkerung. "Wenn eine Regierung oft Dinge tut, die nicht gefallen, dann wird diese Parlamentsmehrheit die Konsequenzen bei den nächsten Wahlen zu spüren bekommen", sagte der Bundespräsident.  

Kullmann: "Märchenerzählung" der Regierung

Eike-Clemens Kullmann, er ist Vorsitzender der JournalistInnengewerkschaft in der GPA, richtet in seiner Rede das Wort auch auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen. "Ich habe eine Wortmeldung in diesen so bedrückenden Wochen und Monaten für den Qualitätsjournalismus und die Kulturnation Österreich schmerzlich vermisst: Ihre, sehr geehrter Herr Bundespräsident. Ein Gesetz, das verfassungskonform zustande gekommen ist, zu unterzeichnen, ist das eine. Das andere wäre zumindest der Versuch gewesen, den für diesen Vernichtungsirrsinn Verantwortlichen ins Gewissen zu reden, die Öffentlichkeit aufzurütteln", sagt er.

Darstellungen der Regierung zu Strafdrohungen der EU oder auch Rettung durch Transformationsprozess nennt er eine "Märchenerzählung". Kullmann: "Die Bundesregierung dagegen hat sich sogar jener Aufforderung verschlossen, entweder selbst ernsthaft mit Interessenten zu sprechen oder der Redaktion wenigstens ein Moratorium über 18 Monate einzuräumen, um eine tragfähige private Konstruktion für die Zukunft zu initiieren. Die Bundesregierung nimmt stattdessen Millionenbeträge in die Hand, für eine vorgebliche journalistische Aus- und Weiterbildung." Bei der Begutachtung des Gesetzes habe diese Bundesregierung gezeigt "wie wenig ihr demokratische Prozesse wert sind. Hunderte Stellungnahme, allesamt negativ, fanden de facto keine Berücksichtigung."

Dannhauser: Permanenter Spardruck in Medien

Der diesjährige Robert-Hochner-Preis geht an die beiden "Zeit im Bild"-Journalistinnen Claudia Dannhauser und Gaby Konrad. Sie erhielten die Auszeichnung – wie berichtet – insbesondere für "ihre kontinuierliche und für breites Publikum verständliche Berichterstattung" über den ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss. In ihrer Rede wirft Dannhauser die Frage auf, warum Österreich beim Pressefreiheitsranking im vergangenen Jahr von Platz auf Rang 31 abgerutscht ist und was das mit der Inseratenkorruption zu tun habe: "Ein Grund ist wohl: die Versuchung. Sie ist groß, die handelnden Personen wechseln, die Geschichte wiederholt sich. Ein anderer ist aber: Die Medien haben keine fetten Jahre hinter sich – nein, ganz und gar nicht, und sie haben keine fetten vor sich", sagte Dannhauser. Sparen gehöre für viele Medien zum Journalistenalltag dazu.

Was bewirkt dieser Spardruck? "Hunderte Kollegen verlieren ihren Job oder werden, wenn sie in Pension gehen oder in andere Branchen wechseln, nicht nachbesetzt. Im schlimmsten Fall, wie jetzt bei der 'Wiener Zeitung', wird das Printprodukt gleich ganz ausradiert. Ansonsten ist die Konsequenz stets: Immer weniger Kollegen sollen immer mehr machen und das bittschön in immer besserer Qualität." Ein Lichtblick seien die Investigativredaktionen, die entstanden sind. Mit Blick auf die aktuelle Debatte, welche Möglichkeiten der ORF künftig bekommen soll, sagt Dannhauser: "Denn wer profitiert davon, wenn sich die seriösen Medien beginnen zu filetieren? Die Social-Media-Verschwörungsplattformen, die Propagandakanäle, die immer öfter auch von Parteien bespielt werden."

Dannhauser kritisiert Politikerinnen und Politiker: "Und man muss den Politikern sagen, dass es zu ihrem Job gehört, sich kritischen Journalistenfragen zu stellen. Mittlerweile überlegen sich große PR-Teams nämlich öfter, wie sie diesen entkommen können, anstatt nachzudenken, was man den Menschen vermitteln kann und soll. Heraus kommt dann etwa ein – vielleicht sogar gutgemeintes – Hintergrundgespräch des Kanzlers für Chefredakteure anstatt eines wöchentlichen Auftritts nach dem Ministerrat, wie das früher üblich war, wo jeder und jede fragen konnte, was er oder sie wollte – und darauf sogar Antworten bekam."

Konrad: Entpolitisierung des ORF fehlt

ORF-Redakteurin Gaby Konrad betonte in ihrer Rede die Wichtigkeit, über Untersuchungsausschüsse zu berichten, auch wenn das manchmal zermürbend sei. "So ein U-Ausschuss ist nicht immer Glamour pur." Sie sehe es aber "als Notwendigkeit, angesichts der knappen Personalsituation als Privileg, das wir uns leisten müssen – kopfüber einzutauchen in eine Materie. Dranzubleiben, Akten zu lesen, Meinungen, Gegenmeinungen zu hören – und viele Auskunftspersonen, manche reden ja doch."

Das sei das "beste, vielleicht einzige Rezept gegen Häppchenjournalismus, gegen vorgekaute Meinungen aus Parteisekretariat oder Lobbyagentur". Konrad: "Politische Parteien entsenden mittlerweile dutzende PR-Leute in den Ausschuss. An manchen Tagen sitzt ein versprengtes Häufchen von Journalistinnen und Journalisten im Medienraum, umringt, fast hätte ich gesagt, umzingelt von PR-Leuten unterschiedlicher Couleur." Deren Aufgabe sei es, "ab der 'ZiB' um sieben Uhr früh jeden Halbsatz unter die Lupe zu nehmen, zu sezieren, zu diskutieren, Sekunden zu zählen".

Konrad sieht im neuen ORF-Gesetz auch eine verpasste Chance, das Verhältnis zwischen Politik und Journalismus zu entflechten, denn: "Vieles wird neu und anders – eines nicht : die mögliche Einflussnahme der Politik. Das Anhörungsrecht der Landeshauptleute bei der Bestellung der Landesdirektionen bleibt unangetastet. Eine Reform der Aufsichtsgremien gibt es nicht." (red, APA, 25.5.2023)