Eine Woche nach seiner Ankunft an der französischen Westküste, nach fast 250 Tagen auf See, hat Michael Guggenberger seine Landbeine wieder gefunden. Der 45-Jährige hat solo, ohne Stopp und Versorgung segelnd die Erde umrundet, hat an die 30.000 nautische Meilen (55.565 Kilometer) mit einer Ausrüstung zurückgelegt, die dem Stand der Technik Ende 1960er-Jahre entspricht. Der Wiener wurde Dritter des erst dritten Golden Globe Race nach 1968/69 und 2018/19. Elf von 16 gestarteten Skippern scheiterten am Unterfangen, zwei kamen zwar ins Ziel, mussten aber je einen Stopp einlegen.

STANDARD: Sie haben mehr als acht Monate allein auf einem etwas mehr als zehn Meter langen Segelboot verbracht. Der Trubel bei der Zielankunft muss schockierend gewesen sein. Wie hat sich das angefühlt?

Guggenberger: Es war damit zu rechnen, insofern war ich entspannt. Ich hatte das Glück, dass viele meiner Familie, Freunde und Seglerkollegen da waren, insgesamt 40 Leute. So bin ich wohl in Frankreich angekommen, aber eigentlich zu Hause willkommen geheißen worden. Tatsächlich war es ja so, dass ich acht Monate lang nur über Gründe nachgedacht habe, warum das Unternehmen nicht funktionieren könnte. Und erst in den letzten zehn Tagen habe ich angefangen, mir darüber den Kopf zu zerbrechen, was denn es ist, wenn es funktioniert. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass da viel auf mich zukommen wird und ich gut atmen muss, damit es mir nicht zu Kopf steigt. Das ist gelungen.

STANDARD: Sie waren vor dem Start zum Golden Globe Race im Februar des Vorjahres maximal 25 Tage infolge allein auf einem Segelboot unterwegs. War das genug mentale Vorbereitung, kann man Einsamkeit trainieren?

Guggenberger: Nein, Einsamkeit kann man nicht trainieren, aber man kann trainieren, sich aus Stimmungen herauszuholen und in andere reinzukatapultieren. Man kann vor allem diese 250 Tage wegblenden. Für mich war das einfach immer ein langes, langes Projekt, das sehr hart werden wird. Ich wusste vorher, dass es hart werden wird. Und ich wusste vorher, dass es einsam werden wird. Und ich wusste vorher, dass ich mich in Situationen bringen werde, in denen ich noch nicht war und auch wenige andere Menschen vor mir. Insofern war mir klar, dass es in meiner Reaktion viele Hochs und Tiefs geben wird. Ich habe mir einfach erlaubt, meine Stimmungen so zu leben, wie sie passieren, und mir nicht viel den Kopf darüber zu zerbrechen, wenn ich traurig oder wütend oder happy bin. Das habe ich mir gegönnt, das habe ich zugelassen, ohne viel zu hinterfragen.

Das rund zehn Meter lange Segelboot war für acht Monate Guggenbergers Wohnung.
Foto: Guggenberger

STANDARD: Muss man sich zwingen, einfach von Tag zu Tag zu denken?

Guggenberger: Ich habe mir das schon in Streckenabschnitte eingeteilt. Und tatsächlich habe ich mir immer wieder an ganz besonders anstrengenden Tagen gedacht, dass eben der nächste Tag ein anderer ist. Ich habe wirklich versucht, von einem Tag zum nächsten zu leben. Nachdem ich die ersten 25 Tage hinter mir hatte, war ja jeder weitere Tag ein neuer Rekord für mich. Jeder Tag, den ich länger fahre, jede Meile, die ich weiterkomme, ist ein Erfolg. Es geht nicht darum, wie weit es noch ins Ziel ist, sondern darum, wie weit ich schon weg vom Start bin.

STANDARD: Sie haben vieles zum ersten Mal erlebt. War es da nicht umso schwieriger, je näher Sie dem Ziel kamen?

Guggenberger: Man kommt ums Kap Hoorn, und das ist das Letzte und das Wildeste, was es gibt auf der Strecke. Man denkt dann, man hat es geschafft, aber dann sind es eben noch zweieinhalb Monate. Davon waren dann die ersten eineinhalb Monate bis etwa Mitte Nordatlantik richtig anstrengend. Von den Falkland Islands bis in die Höhe der Kapverden war für mich die härteste Strecke. Ab den Kapverden liest man dann auf den Seekarten Namen, die man kennt. Ab da ist es wieder abschätzbar.

STANDARD: Ihre Ankunft hat sich wegen Schlechtwetters recht kurz vor dem Ziel um mehr als eine Woche verzögert. War das ein besonderer Tiefpunkt, so kurz vor Ende des Rennens?

Guggenberger: Es war vor allem deswegen wild, weil ich in diesem Azorentief auch gekentert bin und eine Schlacht mit dem Boot hatte. Man musste aber damit rechnen, und ich habe damit gerechnet, dass es nicht vorbei ist. Für die Jahreszeit, in der ich in den Nordatlantik gefahren bin, ist es relativ glimpflich gewesen. Dieses eine Tief hätte die ganze Unternehmung infrage stellen können.

STANDARD: Sind Sie öfter gekentert?

Guggenberger: Mast unter Wasser und Kiel oben ist mir zweimal passiert, das erste Mal war auf dem Weg runter nach Kap Hoorn. Oft hat man dann keinen Mast mehr, wenn sich das Schiff wieder von selbst aufrichtet. Deshalb will man Knockdowns, wie das im Englischen heißt, nicht haben. Die Gefahr des Riggverlusts ist groß. Ich bin aber ein sehr defensiver Segler, habe immer nach alter Schule alle Sicherheitsmaßnahmen getroffen und lieber den Speed hintangestellt.

Guggenberger: "Es geht nicht darum, wie weit es noch ins Ziel ist, sondern darum, wie weit ich schon weg vom Start bin."
Foto: Guggenberger

STANDARD: Wie gestalten sich durchschnittliche 24 Stunden auf See?

Guggenberger: Bei Sonnenaufgang oder kurz davor stehe ich auf, dann hole ich mir über Kurzwellenfunk ein Zeitsignal, um meine Uhren genau einzustellen. Die brauche ich für die Astronavigation. Ich hatte ja nur Aufziehuhren. Dann wird je nach Wetter zuerst gefrühstückt oder auf irgendeine Art und Weise das Boot bedient. Für den Vormittag habe ich mir immer Tasks gegeben, also Boot putzen oder Servicearbeiten. Um die Mittagszeit ist immer Navigation. Das heißt, ein Essen herrichten, die Sonne messen und nach dem Essen die Messungen zu einem Standort verwurschten. Am frühen Nachmittag habe ich wenn möglich zwei, drei Stunden geschlafen. Am frühen Abend gab es Funkrunden mit meinen Kollegen innerhalb der Flotte. Mit dem Sonnenuntergang gibt es Abendessen, gefolgt von der Nachtroutine. Das heißt, so viel wie möglich schlafen und immer wieder einmal aufstehen und schauen, wie das Boot geht. An wilden Tagen war zwischen all den Tasks mehr segeln. Und an ruhigen Tagen war ein bisschen lesen, Ukulele spielen, Süßspeisen zubereiten.

STANDARD: Was liest man während einer Solo-Weltumsegelung?

Guggenberger: Da wir ja mit dem Equipment aus den 1960er-Jahren gefahren sind, hatten wir auch keine Displays, wie ja auch kein GPS oder Telefon. Verrückt ist, dass mein Gehirn angefangen hat, zu visualisieren. Ich konnte teilweise Bücher nicht lesen, wenn sie ein bisschen zu aggressiv waren oder schiache Szenen beschriebenen haben. Ich hatte wilde Albträume, ich habe diese Bücher wie Hollywoodschinken nachgeträumt. Deshalb habe ich relativ wenige aufreibende Bücher gelesen. Ein Freund hat mir im letzten Moment vor dem Aufbruch 30 Bücher gekauft und gebracht, davon habe ich vier schon gekannt, die habe ich einmal gelesen, weil ich wusste, dass sie mich nicht umhauen werden. Drei Bücher konnte ich nicht fertiglesen. Da gab es teilweise ein, zwei Absätze, die mir dann ein paar Tage lang nicht aus dem Kopf gegangen sind. Wenn man dann weniger Energie hat, weil man auf dem Segelboot immer weniger Energie hat und viel Arbeit, und nicht schlafen kann oder schlecht träumt, ist das ein großes Problem.

STANDARD: Wie viel Energie mussten Sie sich zuführen? Haben Sie bestimmte Kalorienmengen geplant?

Guggenberger: Nein, da regiert der klassische Hausverstand: zweimal warm essen, ein gutes Frühstück, Süßigkeiten und Snacks zwischendurch und schauen, dass man mehr als drei Liter Wasser trinkt am Tag. Das ist sehr wichtig.

STANDARD: Haben Sie gefischt, oder hat der Dosenfisch Ihres Hauptsponsors genügt?

Guggenberger: Ich habe selber nie gefischt, weil es viel Arbeit und Dreck macht. Ich habe in der Vorbereitungszeit darauf geschaut, dass ich gute Fertiggerichte finde. Ich habe mich gut eingedeckt und hatte im Ziel noch Nahrung für mehr als 100 Segeltage. Es war auch tatsächlich nicht langweilig bis zum Schluss. Ich hatte ganz schwere Eintöpfe, die habe ich im Süden gegessen, wo es kalt ist. Und ich hatte asiatische, leichte Gerichte, die ich dann eher in den heißen Regionen gegessen habe. Und ja, ich hatte 110 Dosen Fisch an Bord, von denen ich zwölf wieder mitgebracht habe. Plus der 300 Dosen, die jetzt zurück nach Portugal gehen, neu verpackt und als Weltumseglersardinen verkauft werde .

STANDARD: Wird es ein Buch über die Abenteuer von Captain Gugg geben?

Guggenberger: Was es definitiv geben wird, ist eine Dokumentation, Arbeitstitel "Race to the Race", von der jungen Regisseurin Julia Eder, das Team war seit 15 bis 18 Monaten regelmäßig dabei, vor allem in der Vorbereitung. Ich habe selber schon so viele Weltumseglerbücher gelesen. Mir fällt im Moment nichts ein, was ich schreiben könnte, das sich irgendwie abheben könnte. Es wird bestimmt einen ein bisschen mit Fotos animierten Vortrag geben, den ich dann in Österreich und Deutschland halte. Ich nehme mir jetzt einen Monat Zeit, aufzuräumen, Interviews zu machen, mein Boot zu verkaufen und meine Finanzlage wieder geradezurücken. (Sigi Lützow, 26.5.2023)