Putin lässt Kriegsverbrechen mit patriarchalem Segen begehen.
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In Sachen Krieg, im Moskau-Sprech nach wie vor "Spezialoperation" genannt, arbeiten der Kreml und die Führung der russisch-orthodoxen Kirche Hand in Hand. Zum Jahrestag seiner Inthronisierung dankte Patriarch Kirill dem russischen Präsidenten. Nie zuvor in der russischen Geschichte habe es so günstige Bedingungen für die Kirche gegeben. "Ich danke Gott, dass sich die Beziehungen zwischen Kirche und Staat heute im russischen Staat so entwickeln."

Wladimir Putin dankte auch. In seiner letzten Weihnachtsansprache sagte er: Kirchliche Organisationen "unterstützen unsere Soldaten, die an einer besonderen Militäroperation teilnehmen. Solch ein großartiges, vielfältiges, wahrhaft asketisches Werk verdient den aufrichtigsten Respekt." Doch zunehmend missbilligen viele gläubige wie nichtgläubige Russen die Staatsnähe der Kirche. Laut einer Umfrage des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts Lewada glauben 21 Prozent der Menschen, "dass sich die Kirche und religiöse Organisationen nicht in das öffentliche Leben einmischen sollten".

Wertvolle Kunstschätze

Wohl auch deshalb versucht der russische Präsident, die russisch-orthodoxen Christen enger an sich zu binden. Per Dekret verfügte Putin die Rückgabe zweier für Gläubige enorm wichtiger Kunstwerke aus staatlichen Museen an die Kirche.

Der Silbersarkophag mit den Überresten von Fürst Aleksandr Newski ist in der Petersburger Eremitage ausgestellt. Die weltberühmte Dreifaltigkeitsikone von Andrei Rubljow befindet sich in der Moskauer Tretjakow-Galerie. Streit gibt es vor allem um die Rückgabe der Ikone an die Kirche: Das in der Restaurierungswerkstatt befindliche Werk wird erst einmal nicht übergeben werden, womit sich die Kirche vorerst einverstanden zeigt.

Kirchenoberhaupt Kirill steht nach wie vor uneingeschränkt zu Putins Politik. Bereits wenige Tage nach Beginn der Invasion in der Ukraine übernahm Kirill das russische Narrativ. Der Westen zwinge der Ukraine "schädliche Werte" auf. "Seit acht Jahren gibt es Versuche, das zu zerstören, was im Donbass existiert. Und im Donbass gibt es Ablehnung, eine grundsätzliche Ablehnung der sogenannten Werte, die heute von denen angeboten werden, die Weltmacht beanspruchen." Gemeint waren die USA.

Reingewaschen von Sünde

Schließlich dann im vergangenen September die umstrittene Teilmobilisierung russischer Reservisten: Auch sie hatte die volle Unterstützung von Kirill und den Glauben an eine Reinwaschung. Die Kirche sei sich "bewusst, dass jemand, der aus Pflichtgefühl und der Notwendigkeit, seinen Eid erfüllen zu müssen, seiner Berufung treu bleibt und tut, was seine Pflicht ihm sagt", bei der Pflichterfüllung sterbe, zweifellos eine Tat begehe, die einem Opfer gleichkomme. "Er opfert sich für andere. Und deshalb glauben wir, dass dieses Opfer alle Sünden, die ein Mensch begangen hat, wegwäscht."

Doch in der Kirche gibt es auch Widerstand. Am 1. März 2021, kurz nach dem Beginn der Invasion in der Ukraine, erschien online ein Aufruf russisch-orthodoxer Geistlicher, den "Bruderkrieg in der Ukraine" sofort zu beenden. Sie forderten die Kriegsparteien zur Versöhnung und zu einem Waffenstillstand auf. Bis zum Jahresende unterzeichneten 293 Geistliche diesen Aufruf.

Priester unter Druck

Manche Priester gehen noch weiter. In der Stadt Karabanowo im Bezirk Kostroma im Nordwesten Russlands predigte Ioann Burdin gegen die Kämpfe in der Ukraine. Ein Dutzend Gemeindemitglieder hörte zu, einer meldete den Vorfall der Polizei. Der mutige Priester war der erste Geistliche, der wegen "Diskreditierung" der russischen Armee zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. Rund 400 Euro musste er zahlen.

Er verlor seinen Job, musste das Land verlassen, lebte kurze Zeit in einem Kloster in Bulgarien. Jetzt ist er wieder zurück, hält ab und zu Gottesdienste in einer kleinen Kirche. "Wenn jemand von Ihnen bei uns mitmachen möchte, sind Sie herzlich willkommen", schreibt er auf Telegram. (Jo Angerer aus Moskau, 26.5.2023)