ÖOC-Präsident Karl Stoss sprach "seinem" Wahlausschuss das Misstrauen aus.
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"Das ist der größte österreichische Sportskandal seit langem." Es ist nicht eine hohe Sportfunktionärin, es ist nicht ein hoher Funktionär, es ist eine ganze Reihe, die ihrem Ärger am Donnerstag Luft gemacht hat – ihrem Ärger über das Österreichische Olympische Comité (ÖOC). Dieses hatte zuvor per Aussendung bekanntgegeben, dass sein Vorstand dem von ihm selbst eingesetzten Wahlausschuss mit zwölf von 14 Stimmen das Misstrauen aussprach. Der Wahlausschuss sollte die Neuwahl des ÖOC-Vorstands wie des ÖOC-Präsidiums vorbereiten, als Termin dafür war die Hauptversammlung am 14. Juni vorgesehen.

Nun hat das ÖOC mit Präsident Karl Stoss an der Spitze die Hauptversammlung abgesagt und die Neuwahl also verschoben. Damit kündigt sich ein Wickel an, wie ihn  Österreichs wickel-erprobte Sportlandschaft lange nicht erlebt hat. Stoss hat seinen Schritt jedenfalls so begründet: "Der Wahlvorschlag dieses Wahlausschusses wurde den Medien kommuniziert, noch bevor er die Athletenkommission und den Vorstand erreicht hatte, das war irritierend. Die Athletenkommission hat mit einem Brief an die Wahlkommission reagiert. Scheinbar ohne Wirkung, denn auf die Wünsche der Athletinnen und Athleten wurde überhaupt nicht eingegangen." Tatsächlich war schon kolportiert worden, dass Roswitha Stadlober (Ski Austria), Gernot Leitner (Volleyball) und Gerald Martens (Basketball) als "Vize" von Stoss ins Präsidium aufrücken sollten. Wobei mittlerweile auch kolportiert wird, dass der als kritischer Geist bekannte und Stoss eher nicht genehme Martens selbst wieder einen Rückzieher gemacht hätte, um die Gemüter zu beruhigen,

Dennoch sorgt sich ÖOC-Präsident Stoss, dass die Hauptversammlung "platzen" könnte, und dies zuzulassen, wäre "aus ÖOC-Sicht fahrlässig". Stoss lässt sich wie folgt zitieren: "Der Vorstand wird daher im Juni einen neuen Wahlausschuss mit anderen Verbandsvertreter:innen einsetzen, und dieser wird einen mehrheitsfähigen Wahlvorschlag ausarbeiten, den wir bei der Hauptversammlung im Herbst beschließen werden." Es sei "nicht die Zeit für Experimente", heißt es in der ÖOC-Aussendung noch. Und es wird betont, dass das ÖOC "wirtschaftlich und organisatorisch bestens aufgestellt" ist. Laut Stoss gelte es, "Ruhe und Harmonie nach außen zu bewahren, um damit ein Bild der Stärke und Geschlossenheit abgeben zu können".

Namhafte Vertreter

Von Geschlossenheit kann freilich längst keine Rede mehr sein. Die ÖOC-Aufstellung wird von vielen Sportverbänden seit Monaten kritisiert, und am Donnerstag wurden die Zweifel noch genährt. Im siebenköpfigen Wahlausschuss saßen schließlich, sagt ein Verbandsfunktionär dem STANDARD, "nicht irgendwelche Wappler. Sondern richtig g'standene Leute." Damit gemeint sind Peter McDonald, der als Präsident des Dachverbands Union dem Wahlausschuss vorstand, Paul Nittnaus und Michael Maurer, also die Generalsekretäre der Dachverbände ASVÖ und ASKÖ, sowie seitens der Fachverbände Thomas Hollerer (Fußball), Christian Scherer (Ski Austria), Corina Korner (Judo) und Thomas Holzgruber (Basketball). Also durchwegs namhafte Vertreter wichtiger Institutionen.

Laut McDonald habe sich der Wahlausschuss "einstimmig" auf einen Wahlvorschlag geeinigt. "Der Vorschlag hätte die Zahl der weiblichen Mitglieder im Vorstand verdoppelt und ihn generell deutlich verjüngt", sagte McDonald dem STANDARD. "Und er wäre von der Hauptversammlung auch breit angenommen worden." Diese Darstellung wiederum wird von der Stoss-Seite vehement bestritten, sie verweist auf einen Brief, in dem nicht weniger als 23 Fachverbände ihre Unzufriedenheit mit dem Wahlvorschlag des Wahlausschusses unterstrichen haben sollen. So gesehen würde sich keine Mehrheit für den Vorschlag finden. Doch McDonald bleibt dabei: "Der 'alte' Vorstand hat nun durch das Absetzen der Wahlkommission seine eigene Abwahl zumindest vorerst verhindert. Einen guten Wahlvorschlag zu verwerfen, nur weil er bereits vorab von Medien publikgemacht wurde, ist absurd." Der Wahlausschuss hatte sich seine Aufgabe nicht leicht gemacht, ist zu erfahren, sondern einen strukturierten Prozess aufgesetzt und Anforderungsprofile erstellt. Und es sollte eine Brücke gebaut werden zwischen dem ÖOC und jenen Verbänden, die sich beispielsweise zum Thema Sportförderung zuletzt kritisch geäußert hatten. Doch jede Brücke braucht zwei Seiten, auf denen sie fußen kann.

Verbände machen Druck

ÖOC-Wahlen finden, so wollen es die Statuten, prinzipiell im Jahr nach Olympischen Spielen statt, also eigentlich alle vier Jahre. Da die Sommerspiele in Tokio 2020 auf 2021 verschoben worden waren, hatte sich der ÖOC-Vorstand seine Funktionsperiode schon einmal selbst um zwei Jahre verlängert. Für die Wahl des Präsidenten braucht es eine Zweidrittelmehrheit, für die Vorstandsmitglieder reicht eine einfache Mehrheit. Stimmberechtigt bei der Hauptversammlung sind die ordentlichen ÖOC-Mitglieder, also vor allem 40 Sport-Fachverbände, die drei Dachverbände (ASKÖ, ASVÖ, Sportunion) und Sport Austria.

Wie kann, wie soll es angesichts all der Aufregung weitergehen? ÖOC-Präsident Stoss will einen neuen Wahlausschuss einsetzen und meint, dass im Herbst ein Präsidium und ein Vorstand bis 2025 gewählt werden. Danach soll wieder der Vierjahresrhythmus gelten. Doch bis Herbst wollen die erbosten Verbände nicht warten. Sie wollen eine außerordentliche Hauptversammlung beantragen. Diese soll schon in den nächsten Wochen abgehalten werden, und es ist gut möglich, dass sich ÖOC-Präsident Stoss dort nicht nur mit Rücktrittsaufforderungen konfrontiert sieht – sondern auch mit einem Antrag auf seine Abwahl. (Fritz Neumann, 25.5.2023)