Constantin Schreiber.
Nimmt sich selbst als Fallbeispiel: Constantin Schreiber.
NDR/Thorsten Jander (M)

Constantin Schreiber ist ein Glückspilz. Man kann es nicht viel anders sagen. Er ist jung, gesund, exzellent gebildet (zum Beispiel spricht er Arabisch), er hat Frau und Kinder und – so schildert er es jedenfalls – ein harmonisches Leben in einem Hamburger Vorort eher für die bessergestellten Schichten. Und er ist ein Star. Er moderiert die Tagesschau, ein Beruf, mit dem man sich gut vermarkten kann. Wenn er ein Buch schreiben will, halten ihm Verlage die Türen auf.

Der Volksmund, der manchmal gern ein bisschen derb ist, könnte es so ausdrücken: Von den vielen Arschkarten, die das Leben bereithält, hat Constantin Schreiber keine einzige gezogen. Das weiß er auch, und mit diesem Wissen hat er nun ein Buch über das Glück geschrieben. Es ist zugleich ein Buch über das Unglück, aber das Unglück ist nicht seines. Es "spielt" quasi woanders, nämlich in der Welt, in unserer Gegenwart, es hat viele Namen (Inflation, Krieg, Pandemie, Klimawandel, Pflegenotstand, Migrationsdruck etc., etc). Und es gibt für das Unglück einen neuen Umschlagplatz, auf dem es wuchern kann: die sozialen Medien.

Gleichgewicht herstellen

Schreiber ist Journalist, und als Journalist macht er sich Gedanken darüber, wie man zwischen dem persönlichen Glück und dem allgemeinen Unglück ein Gleichgewicht herstellen kann. Wegzaubern kann man das Unglück ja nicht, gefangen nehmen will man sich davon auch nicht lassen, einfach die Jalousien herunterlassen ist keine Lösung.

Er nimmt sich selbst als Fallbeispiel und begibt sich auf eine Recherche. Er will der hypnotischen Fixierung auf immer neue (negative) Breaking News ebenso etwas entgegensetzen wie der Versuchung, sich aus dieser Welt der Nachrichten vollständig auszuklinken.

Informierter Hausverstand

Viele Menschen leiden unter "News Fatigue", aber gar nichts mitzukriegen wäre eine schlechte Abkürzung zu einem schalen Glück. So viel darf man von Schreibers Vorschlägen auf jeden Fall verraten: Er sucht nicht einfach einen Mittelweg, sondern er schlägt regelrecht ein Lebensmodell vor. Nicht ganz auf dem Niveau eines populären Gebrauchsphilosophen wie Wilhelm Schmid, der mit seinen Ratgebern die Traditionen des Denkens bekömmlich macht. Aber auch ohne die Gereiztheit eines Richard David Precht, der sich ins verstockte Besserwissen verabschiedet hat.

Schreiber ist kein Philosoph, er ist Journalist. Sein Metier ist der Common Sense, zu Deutsch: der informierte Hausverstand. Wenn sein Buch ein breites Publikum fände, wäre das gut für die Gesellschaft. Denn dann würden alle "Musik machen, reisen, essen", das sind die drei Dinge, die Schreiber "guttun". Wobei er auch beim Reisen weiß, dass er aus einer Generation vor der Flugscham kommt, aber Reisen ist bei ihm ja auch nicht einfach Ballermann und Pauschaltourismus, sondern der Himmel über der Sahara, und ein Gefühl von Ehrfurcht. Und Essen ist nicht Burgermampfen vor dem Unterschichtenfernsehen, Essen ist das, was Leib und Seele zusammenhält.

Schreiber weiß, dass er sich mit seinem Buch letztlich in einem Zirkel bewegt, aber es ist so geschrieben, dass er diesen Zirkel durchbrechen könnte. Denn es enthält ein Angebot auch für die Menschen, die schon ausgestiegen sind oder die im Begriff sind, sich zu verabschieden – ins Ressentiment, in die Wut, in die Depression, in das Schreiben von Hasspostings oder einfach in eine bequeme Abneigung gegen "die da oben", "das System", "die Lügenpresse", "die Ausländer" (auch wenn sie viele Großeltern pflegen).

Constantin Schreiber, "Glück im Unglück. Wie ich trotz schlechter Nachrichten optimistisch bleibe". € 22,70 / 160 Seiten. Hoffmann und Campe, Hamburg 2023.
Hoffmann und Campe

Missmut als Luxus

Das Angebot von Schreiber besteht darin, sich auf etwas einzulassen. Auf eine Beschäftigung, aber im Grunde einfach auf irgendetwas, was einen zu sich selbst in ein Verhältnis setzt. Er beschäftigt sich mit dem Glück, er geht dabei durch Lernprozesse, er strukturiert sich neu. Sudoku ist eine der einfachsten Formen, ein Gehirn zu trainieren. Schreiber schlägt zahlreiche weitere Formen vor, immer mit dieser positiven Grundhaltung, die einem halt auch ein bisschen durch eine Glückspilz-Biografie geschenkt sein muss.

Seine Rezepte sind vor allem selbsttechnisch – so könnte man mit einem kritischen Akzent bezeichnen, dass er alles ausspart, was vielleicht wirklich eher einer Therapie bedürfte. Nicht nur individueller Therapie, nicht nur Psychotherapie, sondern Strategien, wie eine Wohlstandsgesellschaft in Deutschland und Österreich mehr Menschen in die Lage versetzen könnte, sich zumindest in Ansätzen als Glückspilze zu begreifen.

Denn global gesehen sind wir das doch, bei allen kleinen oder größeren Nöten. Der Missmut, der sich breitmacht, ist oft ein Luxus, den wir an Datengiganten verschenken. Constantin Schreiber empfiehlt: Probieren Sie es einmal mit Freundlichkeit und Vertrauen. Eigentlich wissen wir alle: Es würde wirken. (Bert Rebhandl, 28.5.2023)