Es gibt kaum etwas, was die Bezeichnung "Delikatesse" so sehr verdient hat wie frische, gute Erbsen. Nicht nur sind frische Erbsen ganz, ganz köstlich: verführerisch süß, süchtig machend würzig, bezaubernd zart-knackig und wunderschön verpackt – ein perfekter Snack und befriedigend gut, wie es nur ganz wenige andere Dinge (Seeigel, Trüffel, Sardellen …) sind.

Sie sind auch einer der allerersten Genüsse. Sie haben eine sehr kurze Saison von ein paar wertvollen Wochen, und selbst dann sind sie kaum für Geld zu kaufen. Mir fallen spontan mehrere Orte in Wien ein, an denen ich Trüffel erstehen kann, und auch Seeigel kann ich mit ein paar Tagen Vorlaufzeit auftreiben – frische Erbsen aber sind meistens fast reine Glückssache.

Links kurz vor der idealen Erbsengröße, rechts Erbsen kurz vor der kritischen Phase.
Tobias Müller

Das Problem mit Erbsen ist ein doppeltes: Erstens werden sie wie auch Zucchini und Spargel (1) bei uns viel zu oft zu spät geerntet, wenn sie nicht mehr zart-knackig, sondern schon hart sind – wahrscheinlich weil auch Erbsen nach Gewicht und nicht nach Qualität bepreist werden. Und zweitens sind sie nur sehr, sehr kurz wirklich gut.

Wie bei Spargel, Mais und Fisolen wandeln Enzyme in Erbsen nach der Ernte den Zucker in Stärke um: Aus den süß-zarten Wonneproppen werden schnell mehlige Kugeln. Bereits sechs Stunden nach der Ernte haben Erbsen schon die Hälfte ihres Zuckers umgewandelt, erzählt mir das wunderbare Buch "How Carrots Won the Trojan War", die Pflichtlektüre für Gemüse- und Geschichtsfans.

Ich halte das für ein wenig übertrieben – ich habe in Italien oft wunderbare frische Erbsen gekauft, und die waren sicher schon länger als sechs Stunden geerntet –, aber viel Zeit sollte man sich tatsächlich nicht lassen. Der Kühlschrank kann den Prozess verlangsamen, aufhalten kann er ihn aber nicht. Noch schlimmer sind vorgeschälte Erbsen, weil die Schote sie zumindest noch eine Zeitlang mit Zucker versorgt. Spätestens zwei Tage später sind frische Erbsen nicht einmal für die Suppe gut, und die meisten, die bei uns verkauft werden, sind noch viel älter. (2)

Fast immer werden tiefgekühlte Erbsen daher deutlich besser sein als frische. Das sollte aber niemanden von der Suche abhalten. Wenn Ihnen das Glück hold ist und Sie wirklich gute finden, heißt es, dankbar zugreifen und sich demütig freuen. Der Biss und die Süße sind unvergleichbar.

Erbsen
Wenn Erbsen wirklich gut sind, kann man sie auch einfach roh genießen, hier auf ein wenig Stracciatella gebettet, sanft gepfeffert, geminzt und mit, zugegeben, etwas zu viel Olivenöl begossen.
Tobias Müller

Zwar liegen schon seit Monaten frische Erbsenschoten auf Wiens Märkten, das ist aber meist italienische Ausschussware. In den kommenden Wochen dürften die Chancen auf Erbsenglück deutlich besser sein als im restlichen Jahr: Die Bioschanze beginnt ihre Ernte kommende Woche, und ich nehme an, dass es bei anderen guten Gemüsebauern ähnlich sein wird. Noch besser, als sie am Markt zu kaufen, ist es, sie direkt ab Hof zu holen und am gleichen Abend zu verspeisen. Kaltes Wetter soll übrigens gut für Erbsen sein – das heurige Frühjahr lässt also eine besonders feine Ernte erwarten.

Egal, wo Sie sie finden: Kosten Sie frische Erbsen unbedingt, bevor Sie sie kaufen, mindestens eine, am besten zwei oder drei verschiedene Schoten. Sonst wissen Sie nicht, ob Sie hier Ihr Geld verschwenden.

Wie allen großen Delikatessen ist auch der frischen Erbse nicht viel hinzuzufügen – sie ist für sich allein so gut, dass der Koch oder die Köchin sie kaum besser machen kann. Wenn sie so richtig gut ist, schmeckt sie am allerbesten einfach so aus der Schote gegessen. Wenn ich in Italien, wo gute frische Erbsen deutlich häufiger sind, wieder einmal das Glück hatte, welche zu bekommen, kann ich meine kleine Tochter kaum stoppen, sie aufzufuttern.

Wenn sie etwas übrig lässt, bereite ich sie gerne auf eine der folgenden drei Arten zu. Die Rezepte sind geordnet für Erbsen mit absteigendem Frischegrad.

Sehr frische Erbsen mit Ricotta und Minze

Erbsen
Erbsen mit Ricotta und Minze.
Tobias Müller

Zugegeben, das ist ein sehr italienisches Gericht, weil es davon lebt, dass Sie fantastische Zutaten bekommen. Genauso wie eine Caprese schmeckt es mit suboptimalen Bestandteilen schauerlich. Im Zweifelsfall ist es besser, die Ricotta selbst zu machen, als schlechte Supermarktware zu verwenden, oder gleich auf Burrata zu setzen.

  • 1/2 kg frische Erbsen in der Schale
  • 150 g frische Ricotta (oder eine Burrata)
  • Eine halbe Zitrone
  • Olivenöl
  • Ein wenig frische Minze

Die Erbsen schälen und in kochendem Salzwasser kurz blanchieren: Wenn sie gut und frisch sind, reichen 30 Sekunden bis zu einer Minute – Sie wollen ihnen nur das Rohe nehmen und die Süße unterstreichen, ohne die Konsistenz zu ruinieren. Abgießen.

Auf einem Teller eine ordentliche Portion frische Ricotta anrichten. Am allerbesten ist sie noch warm vom Molkekochen, kühlschrankkalt sollte sie keinesfalls sein. Die Erbsen rundherum verteilen und die Schale einer halben sehr guten Zitrone fein darüberreiben. Ein wenig mildes Olivenöl über alles träufeln – sie wollen die Erbsen nur schmieren, nicht mit grasig-agressiven Geschmäckern ruinieren.

Mit der gehackten Minze bestreuen und sofort servieren.

Pasta mit frischen Erbsen und gebratenem Prosciutto

Erbsen
Erbsen und gebratener Prosciutto.
Tobias Müller

Wer aus seinen frischen Erbsen eine vollwertige Mahlzeit machen möchte, kann sie mit gebratenem Prosciutto/Pancetta/Speck mischen und zusammen mit etwas Ricotta über Pasta kippen. Ist weniger Erbsenorgie als die pure Variante oben, macht aber deutlich mehr satt.

  • 1/2 kg frische Erbsen in der Schale
  • 10 dag Prosciutto/Pancetta/Speck
  • 50 g Ricotta
  • Parmesan
  • Frisch gemahlener schwarzer Pfeffer

Prosciutto in etwas Olivenöl knusprig braten. Währenddessen gut gesalzenes Wasser zum Kochen bringen und die Erbsen darin zwei Minuten blanchieren. Mit einem Sieb herausheben und im gleichen Wasser die Pasta al dente garen.

Nudeln mit Erbsen, Prosciutto, geriebenem Parmesan, frisch gemahlenem schwarzem Pfeffer und etwas Ricotta (oder einem rohen Eigelb) mischen und sofort servieren.

Nicht ganz so frische Erbsen mit Tintenfischen

Wenn Sie nicht gleich dazu kommen, die Erbsen zu verkochen, und sie nicht mehr ganz so süß und schon ein wenig mehlig sind, ist es meist eine gute Idee, sie zu einem Eintopf zu schmoren. Die Neapolitaner, die generell große Hülsenfruchtfans sind, kombinieren Erbsen gern mit Totani, einer Art kleiner Tintenfische. Die Süße der Erbse harmoniert sehr gut mit der salzigen Meeresfrucht, und das längere Kochen im Sud macht auch ältere Erbsen noch köstlich. Mehr solche Rezepte gibt's übrigens in meinem Buch "Tutto Napoli".

  • 1 kg Erbsen in der Schote oder ungefähr 500 g ausgelöste Erbsen
  • 700 g kleine Tintenfische, geputzt
  • Ein, zwei Handvoll Cocktailtomaten
  • Knoblauch
  • Olivenöl
  • Fischsauce

Den Knoblauch hacken und in einem Bräter in reichlich Olivenöl kurz anschwitzen. Die halbierten Cocktailtomaten zugeben und braten, bis sie Saft gelassen haben und etwas zusammengefallen sind.

Die Tintenfische in mundgerechte Stücke oder Ringe schneiden und in den Topf geben. Vorsichtig mit etwas Fischsauce würzen (Tintenfische sind an sich schon salzig) und bei geschlossenem Deckel 20 bis 30 Minuten schmoren lassen. Die Tintenfische sollten genug Wasser lassen, um nicht anzubrennen, falls es zu trocken wird, eventuell etwas Fischfond oder Weißwein zugießen.

Die Erbsen zugeben und alles gemeinsam weitere zehn Minuten köcheln lassen. Mit gutem Brot für die Sauce servieren. (Tobias Müller, 29.5.2023)

(1) Grüner Spargel ist am besten, wenn er bleistiftdick ist, Zucchini sollten idealerweise daumengroß sein, aber das ist eine andere Geschichte.

(2) Mary Randolph hat in ihrem Buch "The Virgina Housewife" diese Wahrheit schon 1824 festgehalten: "To have peas in perfection they must be quite young, gathered early in the morning, kept in a cool place, and not shelled until they are to be dressed." Bedauerlicherweise empfiehlt sie dann offenbar, sie eine halbe Stunde zu kochen.