Festwochen Kennedy Installation
Tod, Wiederauferstehung und Selbstgeburt als Plan einer Entpuppung: "Angela (a strange loop)" von Susanne Kennedy mit Ixchel Mendoza Hernández.
Julian Roeder

Eine der letzten Stimmen im Ohr der jungen, kranken Angela gehört Friedrich Nietzsche. Von ihm, dem so leicht zu missverstehenden Verkündiger des Übermenschentums, mag Regisseurin Susanne Kennedy seit jeher nicht lassen. Figuren sind in Kennedys Kosmos ohnedies Wiedergänger. Insofern zelebrieren sie auf äußerst betörende Weise Nietzsches berühmte, auf Zirkularität gemünzte "Wiederkunft des Gleichen".

Mit den zauberischen Bühneninstallationen Susanne Kennedys verhält es sich nochmals anders, wenn auch nur geringfügig. Hier sind die Menschen, ob maskiert oder durch Einsatz quietschbunter Farben, selbst Zeugen eines unmerklichen Übergangs: "Born too late to explore the world, born too early to explore the universe ...", wie es einmal in Angela (a strange loop) heißt.

Sie bildet ihr eigenes Double

Der entscheidende Unterschied gegenüber Nietzsche liegt in der Unabkömmlichkeit
der mysteriösen Kennedy-Wesen. Menschen bleiben bei dieser Bilderfinderin – ganz ohne lästige Grablegung – dort, wo sie seit jeher gewesen sind und wo sie offenbar am dringendsten gebraucht werden: auf der Bühne. Dort sind sie als lebendiges Dekorum einer Flut von Bilderpartikeln ausgesetzt. Diskursiv vermessen werden sie vom Sound künstlich eingesprochener Stimmen.

Figuren wie Angela, die chronisch erkrankte Frau, gleichen, mit Rücksicht auf ihr Lebendgewicht, ihrem eigenen, unhintergehbaren "Rest". Insofern parasitieren sie bei sich selbst. Doch wer könnte ihnen ausgerechnet heute, in Zeiten der digitalen Nachnutzung jedes noch so kläglichen Images, daraus einen Strick drehen? Wer getraute sich zu sagen, die Kunst der Deutsch-Amerikanerin Kennedy sei von Auszehrung, von Mangel oder Sinnverlust betroffen? Angela jedenfalls bildet als Humanoide ihr eigenes, verstörend schönes Double. In Kennedys Produktion Angela (a strange loop) wird dem Betrachter ein nicht geringes ontologisches Rätsel zur Lösung aufgegeben.

Eine Frau steckt zwischen Bett und Küchenzeile fest. "Exit"-Schildchen weisen keinen Ausweg, ein niedliches Tier erzählt, natürlich computeranimiert, von den wirklich allerletzten Dingen. Angela selbst (Ixchel Mendoza Hernández) kommuniziert mit ihren "Followern" via Tiktok. Der bildende Künstler Markus Selg, seit geraumer Zeit Kennedys Visual Designer, arbeitet an einer Bilderpolitik der kleinsten Übergänge.

Tod und Wiederauferstehung

Tod, Wiederauferstehung und Selbstgeburt, auf diesem Dreistufenplan beruht der Prozess allmählicher Entpuppung, einer Hinführung zum Selbst. Dieser enthält, wie häufig bei Kennedy, Hinweise auf buddhistisches Gedankengut und hinterlässt spirituelle Duftnoten in der Gegenwartskunst, die sich für gewöhnlich um Metaphysik keinen Deut schert.

Sollte Gott, wie Nietzsche einmal festgestellt hat, tatsächlich tot sein, so mögen die von ihm Alleingelassenen bei Susanne Kennedy unterschlüpfen. Unvergesslich ihre Grab­legung von Jeffrey Eugenides’ Selbstmord-Schwestern (The Virgin Sucides), als sie das Andenken an die fünf toten Lisbon-Mädchen zur ewigen Einrichtung erklärte: zu einem Heiligenmassengrab, zum Disney-Mariazell.

Ein letztes Auf und Ab von Gesten und Gedanken, mit der Coca-Cola-Pfandflasche als finaler Grabbeigabe. Gott wäre vielleicht nicht zufrieden gewesen. Aber alle anderen können mit dem Installationstheater der Susanne Kennedy derweil einen Heidenspaß haben. (Ronald Pohl, 27.5.2023)

Alles über seine Mutter

Alexander Zeldin
Der britische Regisseur Alexander Zeldin kehrt mit der Frauenbiografie "The Confessions" nach Wien zurück.
Alyssa Schukar

Wien – Alexander Zeldin gehört zu den derzeit stärksten Theaterstimmen Großbritanniens. Der Sohn eines Russen und einer Australierin ist als Regisseur einer Bühnenrealität auf der Spur, die das Theatralische entschieden flieht und soziale Wirklichkeiten nicht zuletzt mit Laiendarstellern abzubilden versucht.

Seine Trilogie der Ungleichheiten – alle drei Stücke waren 2021 auch bei den Wiener Festwochen zu Gast – brachte ihm ab 2016 den internationalen Durchbruch. Zeldin wurde damit zum Proponenten eines modernen Sozialdramas, das sich gezielt schwierigen und unschönen Verhältnissen zuwendet. Im Vorjahr engagierte er mehrheitlich über 85-Jährige für eine Arbeit über das Bedrängnis des nahen Todes.

Sein neuestes Stück The Confessions feiert in Wien Weltpremiere. Es basiert auf Gesprächen, die Zeldin mit seiner 1943 in Australien geborenen Mutter Alice über zwanzig Jahre lang geführt hat und spannt den Bogen einer Frauenbiografie im 20. Jahrhundert. (Margarete Affenzeller, 27.5.2023)

Wie Wanja für uns scheitert

Festwochen, Dédé Vania, Onkel Wanja
Erfolg ist relativ: verhaltene Lebensfreude in einer improvisierten Pressspanbude bei "Dėdė Vania".
D. Matvejev

Wien – "Theater ist Kollektivarbeit", weiß Tomi Janežič. Daher hat der slowenische Regisseur die fragilen Beziehungsnetze der Charaktere in Anton Tschechows Onkel Wanja zusammen mit der Truppe des State Small Theatre Vilnius neu geknüpft. Zu Tschechow pflegt der 1972 geborene Spezialist für psychologisches Theater eine starke Beziehung. Zweimal hat Die Möwe inszeniert und einmal Drei Schwestern.

An Onkel Wanja interessiert Janežič das Thema Arbeit, schließlich "sind wir heute besessen von Produktivität". Und während der Arbeit an seiner Inszenierung Dėdė Vania hat er entdeckt, wie sehr das Stück vom Scheitern handelt: "Die Charaktere versagen für uns". Auch Scham liegt in der Luft: "Der Psychoanalyse gilt Scham fast als Schatz, weil sie mit der Beziehung zu uns selbst verbunden ist". Depressiv legt der studierte Psychologe Janežič seinen Tschechow trotzdem nicht an, sondern eher als heitere Spielwiese für seine Schauspieler. So macht er diesen Klassiker aus dem Jahr 1899 aktuell. (Helmut Ploebst, 27.5.2023)