Anne-Sophie Mutter
Anne-Sophie Mutter wird auch Modernes aufführen: Nach Beethovens Klaviertrio D-Dur op. 70/1 kommt Sebastian Curriers "Ghost Trio", das sich auf Beethoven bezieht.
The Japan Art Association / The Sankei Shimbun

I am invincible“ („Ich bin unbesiegbar“), sagt Anne-Sophie Mutter im Film Vivace bei einer Wanderung über die Kitzbüheler Alpen. Die Doku kam im Frühling in die Kinos, gerade rechtzeitig vor Mutters 60. Geburtstag am 29. Juni. Dokumentarfilmerin Sigrid Faltin hat die Ausnahmegeigerin dafür über mehrere Jahre begleitet. Was sie mache, wenn es mit der Solokarriere nicht klappe, wird Mutter als Mädchen in einer Video­sequenz von damals gefragt. Ihre Antwort: "Das klappt, das ist ganz klar. Wenn es nicht klappt, weiß nicht. Aber warum soll es nicht klappen?"

Anne-Sophie Mutter wusste schon als kleines Mädchen, dass sie Musikerin werden will. Mit fünf eröffnete sie ihren Eltern, dass sie Geige spielen möchte. "Anfangs wollten sie das nicht, weil es ein Kind in der Nachbarschaft gab, das Geige gespielt hat, und das klang wohl so schlimm, dass meine Eltern sich das nicht antun wollten", erzählt sie und fügt hinzu: "Aber wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, ziehe ich es auch durch."

Viele Preise

Mit elf kaufte sie sich von ihrem Taschengeld ihre erste Schallplatte – Bruckners Vierte mit Herbert von Karajan. "Ich muss gestehen, es war damals weniger wegen Bruckner, sondern wegen des schönen Covers", erzählt sie, die zwei Jahre später Karajan zum Vorspiel nach Salzburg einlud. Er wurde ihr Mentor und Mutter eine der berühmtesten Geigen­virtuosinnen unserer Zeit. Die vierfache Grammy-Gewinnerin hat neben zahlreichen Preisen und Auszeichnungen ein Bundesverdienstkreuz erster Klasse sowie zwei Ehrendoktortitel für ihre Leistungen erhalten. Außerdem wurde sie 2008 als erste Frau mit dem Ernst-von-Siemens-Musikpreis ausgezeichnet – unter anderem wegen ihrer intensiven Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Musik.

"Die Begegnung mit Witold Lu­tos­ławski hat meinen klanglichen Horizont erweitert", erinnert sich Mutter; später kamen Penderecki, Previn, Rihm, Gubaidulina, Dutilleux, Unsuk Chin, Thomas Adès und Jörg Widmann hinzu. Die zeitgenössische Musik habe sie zu einer tieferen und sichereren Musikerin gemacht, so die 59-Jährige. "Jede Uraufführung ist ein herausragender Moment, eine Art Geburtsmoment." Eine besondere Freundschaft verbindet Mutter mit dem US-amerikanischen Komponisten Sebastian Currier. Die beiden lernten einander 1994 über den Pianisten Lambert Orkis kennen. Nach Aftersong, Time Machines und Ringtone Variations ist das Ghost Trio Curriers viertes Auftragswerk für die Geigerin.

Mutter hob es in New York aus der Taufe; nun ist es im Rahmen einer Europatournee zusammen mit Maximilian Hornung, der als junger Cellist Stipendiat der Anne-Sophie-Mutter-Stiftung war, und Lambert Orkis in Wien zu hören. Currier schrieb es als Reminiszenz an die Blütezeit des Klaviertrios im 19. Jahrhundert.

Schumann trifft Brahms

In neun Sätzen, die er unter anderem Remote, Mysterious und Forceful nennt, tauchen immer wieder Verweise auf Klaviertrios von Beethoven, Schubert, Mendelssohn und Brahms als flüchtige Erscheinungen auf, wie Geister aus der Vergangenheit. So überrascht es nicht, dass neben Curriers Ghost Trio auch Beethovens "Geister-Trio" erklingt, auf das das neue Werk sich bezieht. Den zweiten Teil des Abends bestreiten Mutter und Orkis mit Werken von Clara Schumann und Brahms. Schumann schrieb die reizvollen Drei Romanzen op. 22 für den Geiger Joseph Joachim. Wie so viele ihrer Werke blieb auch dieses zu Lebzeiten ungedruckt und wurde erst 1983, 130 Jahre nach der Entstehung, herausgebracht.

Brahms wiederum widmete seine Violinsonate in d-Moll dem Förderer und Dirigenten Hans von Bülow. Die Uraufführung fand 1888 in Budapest statt. Brahms selbst übernahm darin den Part des Pianisten, Violinist war damals Jenö Hubay, einer der führenden Geiger Ungarns. Wie es klang, wissen wir leider nicht. (Miriam Damev, 27.5.2023)

Arcadi Volodos
Arcadi Volodos Photo: Marco Borggreve; Konzerthaus Spezial
Marco Borggreve

Grübelnde Überbegabung: Arcadi Volodos

Wien – Horowitz’ aberwitzige Zugabenimprovisationen galten für andere als unspielbar, dann kam Arcadi Volodos und spielte sie vom Gehör nach. Als der Russe mit Mitte zwanzig die Konzertpodien eroberte, verblüffte er auch mit atem­beraubend virtuosen Klaviertranskriptionen. Doch seine mühelose Beherrschung technisch anspruchsvollster Klavierliteratur rief bald Kritiker auf den Plan, und der Vorwurf der Schaustellerei ließ nicht lange auf sich warten. Technisch zu brillieren sei eine Sache; die Musik der "großen" Klassiker und Romantiker auf die Tasten zu zaubern eine andere. Dass man die wahren Meister der Interpretationskunst schon nach wenigen Takten erkennt, ganz unabhängig von dem Repertoire, das sie spielen, hat Volodos selbstverständlich mittlerweile aber hinlänglich bewiesen.

Seine Rezitals sind minutiös geplant, sollen sie doch stets eine harmonische, in sich ruhende dra­maturgische Einheit bilden. Ein Arbeitsprozess, der mit viel mentaler Arbeit verbunden und oft viel schwieriger ist als das Einstudieren der Werke selbst, sagt Volodos. Dabei verdankt der Pianist mit der mirakulösen Fingerfertigkeit seine Karriere einem glücklichen Zufall. Entdeckt wurde Volodos von einem leitenden Mitarbeiter einer internationalen Schallplattengesellschaft, der ihn 1996 im privaten Rahmen spielen hörte. Begeistert von Volodos’ überragendem Talent, bot er ihm sofort einen Exklusivvertrag an. Auch am Instrument ist der Russe ein Spätberufener: Anstatt stundenlang unter strenger Aufsicht zu üben, spielte er als Kind mit seinen Freunden lieber Fußball.

Gefrorene Augenblicke

Mit sieben Jahren schickten ihn seine Eltern schließlich auf die berühmte Chorschule in Sankt Petersburg. Seine pianistische Ausbildung begann Volodos erst mit 16 Jahren am Moskauer Konservatorium bei Galina Egizarova, die ihn nicht nur entscheidend prägte, sondern als Einzige in seinen Bestrebungen, Pianist zu werden, unterstützte. Vor zehn Jahren veröffentlichte Volodos, der nur selten ins Aufnahmestudio geht, ein Album mit Klavierwerken von Federico Mompou. Mompou, der vor 130 Jahren in Barcelona geboren wurde, schrieb melancholische, manchmal berührend traurige, schlichte und doch wunderschöne Musik. Mal schimmert ein russischer, mal ein französischer Impressionist durch, als habe sich Mompou nicht festlegen wollen. Seine wohl bekannteste Klavierkomposition ist der Zyklus Musica Callada, komponiert in vier Heften zwischen 1951 und 1967.

Die Miniaturen sind wie gefrorene Augenblicke; fast scheint es, als würden Raum und Zeit miteinander verschmelzen. Bei seinem Rezital im Wiener Konzerthaus verbindet Volodos die Musik des katalanischen Komponisten mit Franz Liszts Ballade Nr. 2 in h-Moll. Mit Alexander Skrjabin geht es in filigran-virtuose Gefilde. Das dramatische Virtuosenstück Vers la flamme hat der Sankt Petersburger ebenso mit im Gepäck wie die Sonate Nr. 10, Études, Préludes, Poèmes sowie Skrjabins magisch dunkles Flammes sombres („Dunkle Flammen“) aus dem Jahr 1914.