Alois Birklbauer, Strafrechtsprofessor an der Johannes-Kepler-Universität Linz, schreibt in seinem Gastkommentar, warum der österreichische Weg der großzügigen strafbefreienden tätigen Reue bei Vermögensdelikten richtig ist.

Eine ehemalige Ministerin wurde diese Woche vom Vorwurf des schweren Betruges infolge tätiger Reue freigesprochen. Der vorsitzende Richter betonte zwar bei der Urteilsbegründung, dass die Angeklagte "mit voller Absicht und wissentlich den Betrug begangen habe", und brachte damit seine Überzeugung von der Schuld der Angeklagten zum Ausdruck. Eine Verurteilung konnte aber nicht erfolgen, weil der Betrugsschaden von der Angeklagten in voller Höhe freiwillig und rechtzeitig gutgemacht wurde. Mangels Distanzierung der Angeklagten von der Tat sowie infolge von Zweifeln an der Rechtzeitigkeit und Freiwilligkeit der Schadensgutmachung, weil der Betrug bereits vor der Rückzahlung in verschiedenen Medien ruchbar war, wird der Freispruch verschiedentlich kritisiert. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft hat dagegen auch Rechtsmittel erhoben.

Das vorläufige Ergebnis des Strafprozesses gegen die ehemalige Familienministerin Sophie Karmasin sorgt für Diskussionen.
Foto: APA / Georg Hochmuth

Die im österreichischen Strafrecht für viele Delikte vorgesehene tätige Reue hebt die Strafbarkeit einer schuldhaft begangenen Tat auf. Wenn daher der Richter hervorhebt, von der Schuld der Angeklagten überzeugt zu sein, unterstreicht er juristisch ein Grunderfordernis der tätigen Reue, moralisch macht er ihr die Tat zum Vorwurf.

Rasch und unbürokratisch

Der kriminalpolitische Hauptzweck der tätigen Reue liegt bei Vermögensdelikten darin, dem Opfer rasch und unbürokratisch zur Schadensgutmachung zu verhelfen. Es braucht nicht den Zivilrechtsweg zu beschreiten und lange auf Wiedergutmachung zu warten, sondern erhält entweder sofort den ganzen Schaden ersetzt oder hat zumindest eine vertragliche Verpflichtung in der Hand, binnen einer bestimmten Zeit den Schaden ersetzt zu bekommen. Wird diese Verpflichtung nicht eingehalten, lebt die Strafbarkeit des Täters oder der Täterin wieder auf, was zusätzlich zum Exekutionstitel ein starkes Druckmittel für das Opfer ist, um zum Schadenersatz zu kommen.

Ein weiterer kriminalpolitischer Zweck der tätigen Reue besteht darin, die Verantwortungsübernahme des Täters oder der Täterin für den Fehler zu honorieren. Die freiwillige, rechtzeitige Schadensgutmachung reicht für den Verzicht der Rechtsgemeinschaft auf eine Strafe. Dies geschieht letztlich unter Verhältnismäßigkeitsaspekten. Dabei ist das Freiwilligkeitserfordernis großzügig auszulegen, heißt es doch im Gesetz: "wenngleich auf Andringen des Verletzten, so doch ohne hiezu gezwungen zu sein". Es schadet somit nicht einmal, dass das Opfer Druck ausübt, etwa indem es mit einer Anzeige droht. Ähnlich großzügig ist auch das Rechtzeitigkeitserfordernis ausgestaltet. Es reicht, dass die Strafverfolgungsbehörde – Staatsanwaltschaft oder Kriminalpolizei – noch nicht vom Verschulden des Täters oder der Täterin erfahren hat. Medienberichte über eine mutmaßliche Tatbegehung haben somit keinen Einfluss auf die Rechtzeitigkeit.

"Recht und Moral müssen keineswegs ident sein."

Unverständlich könnte sein, dass das Gesetz für die tätige Reue keine Distanzierung von der Tat verlangt. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird nämlich ein gewisses Maß an Läuterung mit einer Reue assoziiert. Diese fehlende moralische Komponente ist aber weder neu noch eine österreichische Besonderheit. Bereits die bis 1975 geltende Vorgängerregelung oder die vergleichbare deutsche Regelung erfordern keine innere Reue. Recht und Moral müssen insofern keineswegs ident sein.

Aufgrund der in jüngster Zeit vermehrt auftretenden Tendenz zur Anlassgesetzgebung wäre es nicht verwunderlich, wenn infolge dieser Stimmungslage ein Rückbau der tätigen Reue gefordert würde. Der Boden dafür wird in diversen Medien unter anderem mit dem Argument aufbereitet, dass es sich um eine Privilegierung für Wohlhabende handle, die sich auf diese Weise von der Strafbarkeit freikaufen könnten.

Honorierungswürdiges Reueverhalten

Doch das Geld für die Wiedergutmachung muss keineswegs vorhanden sein, weil bereits die vertragliche Verpflichtung zur Schadensgutmachung innerhalb angemessener Zeit für eine Strafbefreiung ausreicht und es somit nur begrenzt auf die tatsächliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ankommt. Darüber hinaus gibt es tätige Reue auch dann, wenn der Täter oder die Täterin selbst die Mittel nicht hat, sondern eine Dritte oder ein Dritter im Namen des Täters, der Täterin den Schaden gutmacht. Freilich muss hier ein honorierungswürdiges Reueverhalten insoweit gegeben sein, als sich Täter oder Täterin um die Schadensgutmachung ernstlich bemüht, etwa indem er oder sie die Zahlung durch einen Dritten oder eine Dritte organisiert.

Gegen die tätige Reue wird auch deren taktische Einsatzmöglichkeit eingewendet. Wenn das Risiko der Tatentdeckung zu groß werde, könne noch rasch der Ausweg über die tätige Reue gesucht werden. Dem ist entgegenzuhalten, dass es für Rechtsbrecher äußerst riskant wäre, auf das Erfordernis der Rechtzeitigkeit zu setzen, zumal der Geschädigte oder etwa auch Medien mit einer frühen Anzeige die Chance auf Straffreiheit zunichtemachen können.

Sinnvoller Weg

Zusammengefasst ist der österreichische Weg der großzügigen strafbefreienden tätigen Reue bei Vermögensdelikten infolge seiner Opferorientiertheit und Verhältnismäßigkeit sinnvoll. Es besteht keine Notwendigkeit, an diesem Rechtsinstitut zu rütteln, denn das Strafrecht muss mit der Moral keineswegs deckungsgleich sein. (Alois Birklbauer, 27.5.2023)