Dunkelblum, Sara Ostertag
Die fiktive österreichische Kleinstadt Dunkelblum wird im gleichnamigen Roman mit ihrer Nazi-Vergangenheit konfrontiert und in St. Pölten in viel Farbe und Licht getaucht.
Franzi Kreis

Romane auf die Bühne zu bringen – dieser in den letzten Jahrzehnten massiv angewachsene Trend wird nicht so schnell nachlassen. Sowohl die episch ausgeleuchteten Stoffe an sich als auch die aus der erzählerischen Form erwachsende inszenatorische Freiheit scheinen den Ansprüchen und Bedürfnissen einer heutigen Theaterpraxis entgegenzukommen. Dabei ist es nicht ohne, einen 528-Seiten-Roman wie nun Eva Menasses Dunkelblum in einen Zweistundenabend zu verwandeln.

Der 2021 erschienene, für den Deutschen Buchpreis nominierte Roman über eine fiktive österreichische Kleinstadt im Stress oktroyierter Vergangenheitsbewältigung anno 1989 hatte als Bühnenfassung von Anita Buchart und Julia Engelmayer und in der Regie von Sara Ostertag nun am Donnerstag Uraufführung am Landestheater Niederösterreich. Das Gute: Ostertag ist eine Meisterin des Erzähltheaters. Von ihrer grandiosen, auf der Shortlist des Berliner Theatertreffens gelandeten Inszenierung von Ágota Kristófs Das große Heft im Kosmostheater 2019 hat sich die Wiener Regisseurin jetzt auch für die Inszenierung in St. Pölten einiges abgeschaut. Zuletzt hat sie Raphaela Edelbauers Roman Das flüssige Land im Kasino des Burgtheaters in Szene gesetzt.

Ostertag übersetzt die Kreatürlichkeit und Gedankennot der handelnden Dunkelblum-Figuren in abstrakte Bilder – indem sich diese allmählich aus ihren kunstvollen, königsblauen Kostümen (Nina Ball) schälen und sich dabei nach und nach ihre Blessuren, ihre Hilflosigkeit oder Überheblichkeit mittels Körperfarben auf die Haut malen oder drücken. Am Ende sehen alle gleich mitgenommen aus.

Last der Vergangenheit

Mit viel Umsicht wird der detailreiche Roman heruntergebrochen auf seine Kernkonflikte, nämlich: Wie tun mit der Last aus der Vergangenheit? Menschliche Überreste aus dem Zweiten Weltkrieg wurden gefunden, sie stammen von einem Massaker, das Nazis an Zwangsarbeitern verübt haben. Reale Vorlage für den Roman war Rechnitz im Burgenland, wo am 24. und 25. März 1945 mehrere Hundert Menschen nahe dem gleichnamigen Schloss erschossen wurden.

Livemusik und -gesang von Jelena Popržan an einem Set diverser Streich- und Zupfinstrumente verleihen der Inszenierung eine tragikomische, leuchtende Grundstimmung. Die Regie lenkt den Blick mittels Kamerabildern auf kleine Details dieser "Modellstadt", auf Miniaturhäuser (Bühne: Nanna Neudeck) genauso wie auf Schmerz versinnbildlichende abstrakte Gebilde von sabotiertem Material wie Holzwolle, Sand oder eben Haut. Zugleich treiben sechs Schauspielerinnen den Erzählstrom in vielen wechselnden Rollen voran.

Blick aufs Detail und aufs Ganze

Die Inszenierung bewegt sich weit genug entfernt von der Romanvorlage, um selbst ein schlüssiges Werk sein zu können, in dem der Blick auf Details (idyllische Postkarten vom Schloss) sowie auf das große Ganze klug ineinanderlaufen. Ostertag erschafft eine überzeugende eigene Bildwelt. Einmal geht sogar ein Asteroid in Zeitlupe auf das Städtchen hernieder. (Margarete Affenzeller, 26.5.2023)