Interview: Hans Peter Doskozil, Landeshauptmann des Burgenlandes.
Regine Hendrich

Rot ist nicht die Farbe, die Hans Peter Doskozils Büro dominiert. Ins Auge sticht das Standbild auf dem LED-Monitor, es zeigt das in Grün getauchte Rapid-Stadion. Prompt gerät der Fan ins Schwelgen: Präsident des Fußballklubs zu werden, das wäre etwas. Doch statt im Derby mit der Austria matcht sich Doskozil derzeit mit Andreas Babler um die Führung der SPÖ – und dabei geht es mitunter noch härter zu.

STANDARD: Vom Wiener Bürgermeister abwärts versuchen Parteikollegen, Sie um jeden Preis als Chef zu verhindern. Wie erklären Sie sich, dass Sie für derart viele ein rotes Tuch sind?

Doskozil: Ich war selbst einigermaßen überrascht, mit welcher Schärfe ich angegriffen wurde. Schließlich bin ich am Montag mit der Erwartungshaltung zur Sitzung des SPÖ-Präsidiums nach Wien gefahren, dass das Ergebnis der Mitgliederbefragung trotz aller Diskussionen akzeptiert wird.

STANDARD: Was stört die Gegner?

Doskozil: Hauptsächlich wohl, dass sie nicht gewonnen haben, sondern ich Erster wurde. Und dann geht es noch um Inhalte und – wie stets in der Politik – um Macht.

STANDARD: Haben Sie sich das nicht auch selbst zuzuschreiben? Ihre einstigen Störaktionen gegen die Parteilinie haben offenbar dazu geführt, dass Ihnen viele nicht trauen.

Doskozil: Das ist doch nur das Narrativ, das verbreitet wird. Ich bin nie auf persönliche Weise hineingegrätscht.

STANDARD: Das haben aber selbst grundsätzlich wohlwollende Genossen so empfunden ...

Doskozil: ... weil es unentwegt so erzählt wurde. In Wahrheit habe ich inhaltliche Diskussionen angestoßen, etwa über Mindestlohn und Arbeitszeitverkürzung. Aber stellen wir uns einmal vor, was passiert wäre, wenn ich die Mitgliederbefragung nicht gewonnen hätte, sondern Zweiter geworden wäre. Hätten sich dann alle, die das jetzt tun, für eine zweite Mitgliederbefragung auf die Schienen gehaut? Mitnichten. Ich habe immer gesagt, dass ich jedes demokratische Ergebnis akzeptiere – auch jetzt beim Parteitag: Es geht um Vertrauen, Verlässlichkeit und ein glaubwürdiges Miteinander.

STANDARD: Sie haben die Mitgliederbefragung ursprünglich ja durchgesetzt. Warum fürchten Sie dann, dass die Basis auch in der Stichwahl entscheidet, wie es Babler wollte?

Doskozil: Ich habe vor nichts Angst, aber das Prozedere war nun einmal so vereinbart, dass ein Parteitag entscheidet. Niemand nimmt so ein hohes Risiko wie ich. Ich wage mich aus einer einzigartigen Komfortzone, der absoluten Mehrheit im Burgenland, heraus – auf die Gefahr hin, dass meine politische Karriere im Fall eines Scheiterns als SPÖ-Chef zu Ende ist. Zeigen Sie mir einen Politiker, der das noch macht.

STANDARD: Wegen des Widerstands haben Sie bei der Präsidiumssitzung damit kokettiert, hinzuschmeißen. Das wirkt dünnhäutig.

Doskozil: Ich verstehe nicht, warum. Würde ich meinen Weg auf Biegen und Brechen durchziehen, hieße es, ich kämpfe nur für mich, aber nicht um die Einigung. Mir ist es ernst damit, dass keine Einzelperson über dem Parteiwohl stehen darf, deshalb habe ich in den Raum gestellt: Wenn ich für einige so ein Ärgernis bin, dass ich die SPÖ unmöglich für eine siegreiche Wahl aufstellen kann, dann bin ich der Falsche. Von meinen Kritikern habe ich darauf keine gescheite Antwort bekommen. Sieben Landesparteichefs haben mich allerdings gemeinsam überzeugt, doch beim Parteitag anzutreten.

STANDARD: Warum schaffen Sie es nicht, sich mit Babler auf ein gemeinsames Projekt zu einigen? Vergleicht man Ihr Programm mit seinem, dann entdeckt man erstaunlich wenige gravierende Unterschiede.

Doskozil: Meinen Sie? Ich nenne Ihnen gerne ein paar Unterschiede. Babler hat gesagt, er will das Bundesheer abschaffen.

STANDARD: Früher einmal. In seinem Programm steht das nicht.

Doskozil: Sie werden wohl auch nicht annehmen, dass wir uns in der Asyl- und Migrationspolitik decken. Oder, ein anderes Beispiel: Die Arbeitszeitverkürzung, wie sie Babler fordert, ist aktuell weder machbar noch sinnvoll.

STANDARD: Inwiefern?

Doskozil: Eine 32-Stunden-Woche bedeutet ein Fünftel weniger Arbeitszeit. Wo kommen die zusätzlichen Arbeitskräfte her, die uns das ermöglichen? Mir erzählt der Linzer Bürgermeister, dass bereits Firmen abwandern – nicht weil sie in Billiglohnländer gehen, sondern weil sie keine Facharbeiter finden. Außerdem – und da habe ich weniger Mitleid mit der Wirtschaft – gibt es Bereiche mit Monatslöhnen von 1.200, 1.300, 1.400 Euro netto. Zusätzliche Freizeit können diese Menschen ohne Geld nicht nützen – eher werden sie sich einen zweiten Job suchen. Soll dies das Geschenk der Sozialdemokratie sein? Die SPÖ soll von dieser Position abrücken. Das Ziel muss vielmehr ein Mindestlohn in der Höhe von 2.000 Euro netto sein.

STANDARD: Genau deshalb sind Gewerkschafter in der SPÖ gegen Sie. Diese halten die mit den Arbeitgebervertretern ausgehandelten Kollektivverträge für das verlässlichere System als eine gesetzliche Regelung.

Doskozil: Ich werde Hand in Hand mit der Gewerkschaft vorgehen. Das haben wir im Burgenland ja gemacht – im öffentlichen Dienst werden Bezüge zwangsläufig gesetzlich geregelt, aber auch da haben wir sie vorher mit der Gewerkschaft ausverhandelt. Mein Ziel ist, dass wir gemeinsam die maximale Kraft auf den Boden bringen. Es gibt doch kein besseres Druckmittel für Kollektivvertragsverhandlungen, als wenn man Arbeitgebervertretern sagen kann: Da sitzt einer in der Regierung, der zieht das sonst per Gesetz durch.

STANDARD: Falls Sie Kanzler werden: Wann soll der Mindestlohn kommen?

Doskozil: Bereits in meiner ersten Legislaturperiode. Sonst sehen wir so wie in Deutschland bald auch bei uns 70-Jährige an der Supermarktkasse sitzen, weil das Erwerbseinkommen nicht gereicht hat.

STANDARD: Welche Pläne haben Sie noch?

Doskozil: Ein anderes Ziel ist, die Zweiklassenmedizin abzuschaffen – indem es so wie in Dänemark nur mehr ausreichend Kassenärzte, aber keine Wahlärzte mehr geben darf. Es sollte auch nur mehr eine Krankenkasse für alle geben. Oder: DER STANDARD hat unlängst über Milliardengeschäfte in der Pflege geschrieben. Es gibt Bundesländer, wo Aktiengesellschaften Pflegeheime betreiben – auch da haben wir nicht hingeschaut. Ich sage: Wo es ums Gemeinwohl geht, dürfen private Unternehmen keine Gewinne machen. Wir erleben laufend kleine Angriffe auf die Kompetenzen des Staates, der sich immer weiter zurückzieht. Das will ich umkehren.

STANDARD: Wird die SPÖ unter Ihrer Führung der Basis auch einen etwaigen Koalitionspakt zur Abstimmung vorlegen?

Doskozil: Ja. Ich möchte künftige Koalitionsabkommen ebenso wie jede Vorsitzendenwahl einer Mitgliederbefragung unterziehen – wobei das Prozedere schneller gehen muss, als es nun der Fall war. Ich wünsche mir einen Beschluss beim nächsten regulären Bundesparteitag im Frühjahr.

STANDARD: Wie werden Sie – abgesehen von Interviews – bis zum Parteitag am 3. Juni um die Delegiertenstimmen werben?

Doskozil: Ich veranstalte jetzt keinen Wahlkampf mehr. Wir beide, Babler und ich, sind den Funktionären bekannt genug. Ich will auch keine öffentliche Zweierkonfrontation, wie das gefordert wurde. Wir sind keine Zirkusattraktion.

STANDARD: Es könnte doch auch eine freundliche Unterhaltung werden.

Doskozil: Das würden die Journalisten, die das moderieren sollen, nicht dulden. (Gerald John, 26.5.2023)