In den vergangenen Tagen musste Österreich gar nur mehr als Größenvergleich herhalten. Eine Fläche doppelt so groß wie Österreich sei in der Ukraine von Kampfmittelrückständen kontaminiert oder vermint, insgesamt 30 Prozent der ukrainischen Landesfläche, schrieb das britische Verteidigungsministerium auf Twitter. Tatsächlich sind es mit rund 250.000 Quadratkilometern wohl eine Fläche mehr als dreimal so groß wie Österreich. Ob man in London die Debatte hierzulande mitbekommen hat oder der Vergleich zufällig gewählt wurde ist freilich nicht bekannt. Nun versucht man in der Bundesregierung aber wieder in eine aktivere Rolle zu kommen und so will man der kriegsgeplagten Ukraine und ihrer Bevölkerung zwei Millionen Euro aus dem Auslandskatastrophenfonds (AKF) des Außenministeriums zur Verfügung stellen. Damit soll Entminungsgerät für die Ukraine finanziert werden.

Unterstützung über International Trust Fund

Die zwei Millionen Euro sollen in den "International Trust Fund" (ITF) fließen – eine von der slowenischen Regierung 1998 eingerichtete, international tätige und auf die Entfernung explosiver Kriegsrückstände spezialisierte Hilfsorganisation. Der ITF werde dann in Abstimmung mit der ukrainischen Zivilschutzbehörde die Minenräumgeräte der Ukraine zur Verfügung stellen. Zusätzlich zu den zwei Millionen Euro für den ITF unterstütze Österreich im Bereich der humanitären Entminung bereits seit vergangenem Jahr das "Support Programme for Ukraine" im Rahmen der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa).

Nachdem DER STANDARD vor etwas mehr als zwei Wochen als Erster bei Verteidigungsministerin Klaudia Tanner und Sicherheits- wie Neutralitätsexperten nachfragte und letztere im Gegensatz zur ÖVP keinerlei Konflikt mit der österreichischen Neutralität feststellen konnten, entspann sich in Österreich eine Debatte über die Hilfsbereitschaft und Solidarität in Sachen Minenräumung. Lösen will man das nun offenbar vorerst über besagte Geldspende.

Armtrac-400 Minenräumung
Ein Armtrac-400 kann etwa 2.400 Quadratmeter pro Stunde von Minen befreien. Er kostet gebraucht in etwa eine halbe Million Euro, muss aber auch bedient werden und mit Ersatzteilen gewartet werden.
REUTERS/Clodagh Kilcoyne

„Es bleibt dabei: Kein österreichischer Soldat wird für die Minenräumung ukrainischen Boden betreten, solange das ein Kriegsgebiet ist", betonte Bundeskanzler Karl Nehammer am Samstag erneut die ÖVP-Haltung und erinnerte in der Presseaussendung daran, dass die "weltweit geächteten Landminen und explosiven Kriegsrückstände" lebensgefährliche Hindernisse darstellen würden und den "Menschen landesweit den Zugang zu essenzieller Infrastruktur" verwehren. 10,6 Millionen Menschen in der Ukraine seien auf Entminungshilfe angewiesen. Ausbildungen oder die Entsendung eigenen Geräts kündigte Wien deshalb aber nicht an.

Eine Frage der Beschaffungseffizienz

Gerade die Ausbildung ist aber oft mitentscheidend. Philipp von Michaelis, CEO bei der Schweizer Firma Global Clearance Solutions (GCS) - die Entminungsroboter herstellt aber auch Entminungsarbeiten ausführen kann - sagt zum STANDARD, dass der gesamte Beschaffungsprozess und dessen Effizienz entscheidend sei. Gerätschaften alleine würden nicht viel bringen, wenn man das Personal vorab nicht geschult hat im Umgang. Ein gebrauchter, zehn Jahre alter Armtrac-400, wie er etwa zum Entminen in der Ukraine eingesetzt wurde, kostet rund 500.000 Euro - stand ob fehlender Ersatzteile aber schon bald wieder still. Grundsätzlich könne man mit zwei Millionen Euro aber freilich schon einiges machen, sagt von Michaelis. Zwischen 300.000 und 800.000 Euro, je nach Ausstattung und Anzahl der Ersatzteile, müsse man für kleinere Roboter inklusive Einschulung rechnen. Größere fangen bei 500.000 Basisausstattung an. Bei den "enormen Dimensionen" der Minenräumung in der Ukraine, sei das zwar freilich nur ein Anfang, aber immerhin das. Bis die Ukraine die notwendigen Rahmenbedingungen zur Minenräumung geschaffen hat, werde es wohl noch Jahre dauern, so von Michaelis, bis die Minen einmal geräumt sind, sowieso Jahrzehnte.

Vizekanzler Werner Kogler von den Grünen sieht Österreich jedenfalls "im Rahmen der militärischen Neutralität auf Seite der Überfallenen." Neutral sein heiße nämlich nicht, dass wir uns zurücklehnen und wegsehen", weshalb man einen Beitrag dazu leisten will, dass "ukrainische Kinder wieder Kindergärten und Schulen besuchen können" und die Lebensmittelsicherheit durch Minenräumung der Felder verbessert werde.

Engstmögliche Auslegung der Neutralität

Vorausgegangen war der Entscheidung wieder einmal nur der Ansatz einer echten Neutralitätsdebatte. Tanner und Nehammer folgten dabei einer engstmöglichen Deutung der Neutralität, weil Österreich sonst "indirekt in Kriegshandlungen involviert" werden hätte können. Dies sei "undenkbar" für Tanner. Wie eine Minenräumung hunderte Kilometer abseits der Front auf Feldern oder in der Nähe von Kindergärten und Schulen Österreichs militärische Neutralität gefährde, vermochte sie bis heute nicht endgültig zu erklären. Für den Oberbefehlshaber des Bundesheeres, Bundespräsident Alexander Van der Bellen, der in dieser Rolle selbst aber weit weniger operativ als repräsentativ agiert, war im STANDARD-Gespräch jedoch klar, dass eine rein zivile Mission "sicher nicht der militärischen Neutralität" widerspreche. Für eine etwaige Entsendung wollte er sich vor einigen Tagen dennoch nicht klar aussprechen. Irgendwas müsse aber getan werden, kritisierte er das Zögern der Regierung. 

Entminungstraktor
Teils behelfen sich ukrainische Bauern mit selbstgebauten Entminungstraktoren.
REUTERS/Vitalii Hnidyi

Eine österreichische Beteiligung, etwa im Rahmen eines EU-Mandats, wie es der grüne Wehrsprecher David Stögmüller im STANDARD forderte, scheint derzeit nicht absehbar. Zwar unterstützt die EU die Entminung in der Ukraine finanziell, zuletzt mit 25 Millionen Euro, durchgeführt wird sie aber großteils von NGOs. Einsatzgebiet ist derzeit aber vor allem auch die Ostukraine. Die Debatte in Österreich drehte sich zuletzt aber ja vor allem um jene Gebiete nördlich von Kiew, wo Russen seit mehr als einem halben Jahr zurückgedrängt werden konnten - weit weg von der Front. Das aktuelle Paket bewertet Stögmüller dennoch positiv. Organisationen wie die OSZE würden mit sehr wenigen Mitteln (2,1 Millionen Euro) auch sehr viel leisten, da sei das österreichische Paket auch sehr wichtig. "Dennoch dürfen wir nicht vergessen, dass Österreich hier eine große Expertise hat und ebenso Geräte entsenden könnte, um gezielt der Zivilbevölkerung zu helfen", so Stögmüller. Österreichs Bundesheer behauptet in Person des Sprechers Michael Bauer aber lediglich Mittel zu haben, "um den Weg von A nach B der eigenen Gruppe sicherzustellen". Für flächendeckende Minenräumung fehle das Gerät.

Pensionistinnen wie die 67-jährigeHanna Plishchynska legen auch selbst oft Hand an.Sie will ihre Tiere schützen.
REUTERS/Viktoriia Lakezina

Andere neutrale Staaten beteiligen sich jedenfalls aktiv in der Minenräumung. So trainiert etwa das neutrale Irland auf Zypern ukrainische Kräfte. Auch die ebenfalls neutrale Schweiz beteiligt sich über ihr in Genf sitzendes Zentrum für Minenräumung, das der Staat finanziell unterstützt. Spezialisten der Schweizerischen Armee unterstützen die Ausbildung. In Österreich wurde nun mit der Finanzierung von Entminungsgerät zumindest ein erster Schritt gesetzt. (Fabian Sommavilla, mae, APA 27.5.2023)