Erdogan hält vor der Stichwahl eine Rede
Erdoğan rechnet mit einem "historischen Sieg"
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Istanbul/Ankara – Vor der entscheidenden Stichwahl um das Präsidentenamt in der Türkei haben Präsident Recep Tayyip Erdoğan und sein Herausforderer ihre Anhänger zur Stimmabgabe aufgerufen. Erdoğan forderte am Samstag bei einer Rede im Istanbul, die Menschen sollten schon in den frühen Morgenstunden wählen gehen und andere überzeugen, abzustimmen. Seine Allianz aus Nationalisten, Islamisten und Konservativen werde einen "historischen Sieg" einfahren, sagte er.

Sein Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu forderte "diejenigen, die ihr Heimatland lieben" dazu auf, "die Wahlurnen zu schützen."

Erdoğan verpasste Mehrheit im ersten Wahlgang nur knapp

Bei der ersten Runde der Präsidentenwahl vor zwei Wochen hatte die Wahlbeteiligung mit rund 87 Prozent bereits historisch hoch gelegen. Erdoğan verpasste die absolute Mehrheit nur knapp und lag rund 4,7 Prozentpunkte vor seinem Herausforderer Kılıçdaroğlu. Die beiden müssen am Sonntag in einer Stichwahl gegeneinander antreten.

Im Parlament konnte das Regierungsbündnis Erdoğans vorläufigen Daten zufolge die Mehrheit halten. Internationale Wahlbeobachter bemängelten einen unfairen Wahlkampf und mangelnde Transparenz bei der Abstimmung. Die Abstimmung wird weiterhin aufmerksam beobachtet. Die Türkei ist NATO-Mitglied, EU-Beitrittskandidat und beherbergt Millionen geflüchtete Menschen aus Syrien. Im Ukraine-Krieg unterhält sie sowohl zu Kiew als auch zu Moskau gute Beziehungen.

Oppositionsführer Kılıçdaroğlu tritt für ein breites Bündnis aus sechs Parteien an. Er verspricht, das Land zu demokratisieren. Die prokurdische HDP rief ihre Wähler zudem auf, Kılıçdaroğluzu unterstützen. Bestimmendes Thema vor der zweiten Runde war neben der kriselnden Wirtschaft das Thema Migration. Erdoğan und Kılıçdaroğlu sicherten sich inzwischen die Unterstützung von rechtsnationalen Politikern.

Drittplatzierter unterstützt Erdoğan

Der Drittplatzierte Sinan Ogan etwa unterstützt in der zweiten Runde Erdoğan. Kılıçdaroğlu wiederum hatte am Mittwoch mit Ümit Özdag, dem Chef der rechten Siegespartei, eine Erklärung unterschrieben, in der es heißt, man habe sich auf die Rücksendung "aller Flüchtlinge und Illegalen" innerhalb eines Jahres geeinigt. Bei den Parlamentswahlen vor zwei Wochen erhielt Özdags Partei vorläufigen Zahlen zufolge 2,2 Prozent der Stimmen. Die Vereinbarung sorgte selbst in Kılıçdaroğlu Allianz für Unmut. Kılıçdaroğlu hatte zwar schon zuvor, die Rückführung von Flüchtlingen versprochen, verschärfte seinen Ton aber nun deutlich.

Sollte Erdoğan wiedergewählt werden, stellt sich die Frage, wie er die wirtschaftlichen Probleme in den Griff bekommen will. Außenpolitisch wird Erdoğan voraussichtlich seine Annäherungspolitik in der Region fortsetzen. Die Beziehungen zu der EU und den USA bleiben wohl angespannt. Er wird aber auch auf Europa zugehen müssen, denn er benötigt dringend Investitionen. Der Opposition drohen bei einer Niederlage womöglich weitere Repressionen.

Rund 61 Millionen Menschen sind zur Stimmabgabe aufgerufen. Türkische Staatsbürger in Deutschland stimmten bereits ab. Die Wahllokale in der Türkei öffnen um 7.00 Uhr (MESZ) und schließen um 16.00 Uhr (MESZ). Erste Teilergebnisse, die zunächst wenig Aussagekraft haben, werden noch am Abend erwartet. (APA, 27.5.2023)