Feierende vor der Bühne.
Mehr als 93 Dezibel: Feierende vor der Bühne.
Standard / Christian Fischer

Während ein paar Halbnackerte ungerührt im Gras herumliegen und zwei Kajakfahrer die Donau flussaufwärts paddelnd so tun, als gäbe es heute auch ein Alternativprogramm zur Baller Island, bewegt sich ein Obdachloser mit seinem Fahrrad, das mit Dutzenden Plastiksackerl behängt ist, und seinen Schibrillen auf der Nase bereits in die entgegengesetzte Richtung, weil er vielleicht schon genug hat von "Zickezacke!" und "Wir hüpfen, hüpfen, hüpfen!", oder von "Runter mit dem Arsch!" und "Einmal geht´s noch!", das von der Bühne her tönt in einer Lautstärke, die heute "93 db überschreiten kann", wie ein Zettel bei der Kassa warnt.

Aber keine Sorge: Ein Zuckerwasserhersteller verteilt großzügig Ohrstöpsel gegen die Dezibel, und wen die Sonne blendet, der kriegt von einem Futterverteiler orangene Sonnenbrillen nachgeschmissen. Neben einer Gaudi für die Gäste soll das hier ja vor allem auch ein Geschäft für die Veranstalter und Sponsoren werden, und "Einmal geht´s noch!" sollen vor allem die sagen, die bei den Bierstandeln noch eine Runde Bier oder sonst was kaufen.

Poltern am Wiener Ballermann

Aus Neunkirchen in Niederösterreich ist Daniel, 30, angereist, der im Oktober seine Jaqueline, 25, heiraten, sich aber hoffentlich nicht bis in den Oktober hinein ansaufen wird. Auszuschließen ist es freilich nicht! Die lustige Polterrunde seiner Freunde hat ihm eine hübsche Perücke aufgesetzt, ihm ein reizendes Röckchen angezogen und einen Bauchladen umgehängt, in dem vom Ollagummi bis zu Maoamzuckerln, vom Likörchen bis zum Feuerzeug alles Mögliche herumliegt, das er um je 50 Cent verkaufen muss. Dass das Konzept des Ballermannes jede Menge gestandener Männer dazu bringt, sich in Richtung "queer" zu öffnen, ist einer der seltsamen Widersprüche, die einem hier begegnen, nicht wenige laufen sogar in Nachthemden herum. Zur Hochzeit wird Daniel aber sicher einen Anzug tragen!

"Zickezackezickezacke!"

Conny, 25, und Caro, 26, haben sich mit 15 Freunden verabredet. Sie sind noch nüchtern, als sie die Brillen des Sponsors entgegennehmen, bis auf Bernhard, der schon "mindestens zwei Liter Bier und ein paar Jägermeister getrunken hat", womit er freilich hier als "nüchtern" durchgeht, trotz Schlagseite. Die meisten ihrer Freunde waren schon mindestens drei Mal "auf Malle", und beide hätten vorher nicht gedacht, "dass es dort so lässig wird!", sagt Conny begeistert. "Die Stimmung, die Leute - es war einfach nur leiwand!" Und leiwand soll es auch heute werden, wo der Ballermann auf die Wiener Donauinsel kommt.

"Einmal geht´s noch!"

Isi Glück auf der Bühne.
Standard / Christian Fischer

Hölle statt Votivkirche

Auf der Bühne wärmt ab 16 Uhr Isi Glück die paar Dutzend Feierwütigen auf, die schon vor der Bühne in der Sonne brutzeln. Ein wenig zögerlich kommt ihr der Wolfgang Petry-Klassiker "Wahnsinn!" mit den schönen Lyrics "Warum schickst du mich in die Hölle?" über die Lippen. Ein wenig unpassend wirkt davor das Mobile Café von Peter, 26, der es normalerweise vor der Votivkirche im 9. Wiener Gemeindebezirk stehen hat, den örtlichen Pfarrer dort hat er einfach um Erlaubnis gebeten, und der hat zustimmend genickt. "Privatcafé war immer meine passion", sagt er, auch wenn ihm die Passion heute ein wenig abhanden zu kommen droht. Die Leute wollen vor allem Bier, aber wer weiß: Mit seinen 2,50 pro Espresso ist er vergleichsweise so billig, dass sie ihm später noch die Bude einrennen werden.

"Wo ist die Stimmung?", fragt Isi, die gerne "Kindas!" zu den Leuten sagt, die alle so um die 30 sind. Sie bescheinigt ihnen allen, dass sie "sehr gut drauf!" sind, und sicher auch der, dem ein paar Freunde ein Schild mit "Gratuliere zum 1er, du Ficker!" entgegenhalten. Vielleicht hat er gerade maturiert?

Aus Klaus in Oberösterreich sind Eva, Simone, Julia und Maria angereist, die schon jeweils über zehn Mal beim Originalbesäufnis auf Malle waren, auf der Schinkenstraße, wie die Amüsiermeile der Österreicher dort heißt und deren Namen nicht wenige stolz auf ihren mitgebrachten Erinnerungsshirt tragen, nebst der Bier-Captain-Schleife am Oberarm.

„Ich hab ein Puff und meine Puffmama heißt Layla! Sie ist schöner jünger geiler! Lalalalala, die wunderschöne Layla!“, singt Isi, und dann schreit sie: "Ich will euch hören!"

Und fordert: "Runter, runter, runter, runter, runter, runter, runter, runter! Alle runter mit dem Arsch!" Und weiter geht’s mit: "Ich sage ooooh und sie sagt aaaaah!" Und dann: "Zickezackezickezacke!" Und weiter: "Er is ‚n Schluckspecht!"

Souvenir von der Schinkenstraße

Anna, 24, ist erst seit kurzem ein Ballermannfan. "Letztes Jahr haben mich die Burschen überredet, dass wir auf Malle fliegen, und ich hab mir gedacht: Na, auf gar keinen Fall! Aber dann war ich halt doch in diesem Flugzeug von Wien auf Malle, von Freitag Abend auf Sonntag Nacht. Und wir haben gesoffen, wir wurden bestohlen, wir können uns an nicht mehr sehr viel erinnern. Aber ich war am Montag pünktlich im Büro, also hat es gepasst!"

Und warum trägt sie heute ein blaues Shirt?

"Weil der eine Freund von uns vor zwei Wochen schon wieder dort war und uns die frischen offiziellen 2023 Bierkönig-Leiberl von der Schinkenstraße mitgebracht hat."

Ein früher "Höhepunkt", wenn man so will, ist Jürgen, der Anfang der 00er Jahre bei Big Brother mal big war, zusammen mit seinem Freund Zlatko, dann aber seinen Ruhm nicht mehr mehren konnte und bald auf Malle landete, wo er einer der vielen Halbpromis ist, denen man ein paar "Lyrics" auf den auch schon schön schwammigen Leib schrieb, die er heute zur Stampfmusik von der Bühne herunter brüllt. Es ist 16. 40 Uhr, als es abermals "losgeht", und er ist "nicht mehr aufzuhalten, Jürgen macht Musik, jetzt geht´s los!"

Er kann - selbst das bescheidene Gesamtniveau berücksichtigend - wirklich nicht singen, was aber egal ist, wichtig ist: "Heute fährt die 18 bis nach Istanbul!"

Malle Malle Malle!

Dreifach hält besser.
Standard / Christian Fischer

Seine Frage, ob jemand Freibier möchte, beantworten alle mit lautem Grölen, was verständlich ist, kostet das Bier doch 6,80, das Mineral 4,50, der Spritzer (0,5 l) 6,80 und der Prosecco (0,1 l) 4,50. Dass hier niemand gratis trinkt, darauf wird geschaut. Daher stapeln sich die Bierbecher (Einsatz zwei Euro) in den Händen jener, die jeweils um frisches geschickt werden und zu den Ausschanken wackeln, taumeln, torkeln. Lustig ist es hier, keine Frage. Aber die Freude kommt nicht von innen.

Auch Jürgen will dann den "Arsch runter", und zwar solange, bis es "eskaliert." Den Arsch bereits ganz unten hat dann eine junge Dame, die der Länge nach in der prallen Sonne liegt. Sie hört nicht mehr, wie Jürgen fragt:

"Wo geht die Party ab?" Und sich selbst die Antwort gibt: "Hier geht die Party ab." Warum er dann sein Publikum "Ihr Asis!" nennt, erschließt sich nicht ganz, aber Hauptsache:

„Malle Malle Malle!

Ihr könnt mich alle alle alle

Ich flieg nach Malle Malle Malle

Ole Ole!“

Eiswürfelbeschuss auf der Zuckerwasserbühne

Eva und Daniel waren auch gestern schon da (80er und 90er Jahre Party), sie sind etwas älter als der Durchschnitt und mögen weder Jürgen noch die "Wucherpreise", bewegen sich aber freudig im Takt, trinken fröhlich ein Bier und haben Spaß an diesem sonnigen Samstagnachmittag, während sich ein paar Spanner/Spinner hinter einer kurzhaarigen Schönen sammeln und deren "Arsch" filmen, der justament nicht "runter" will, sondern sich elegant mal nach "links" und mal nach "rechts" bewegt, wie das auch eine Forderung von Jürgen ist, nebst der, sich nach "vorn!" zu bewegen. Ganz schön schwierig das alles!

"Deutschunterricht, das war nichts für dich!", singt Jürgen dann auch noch, und das gilt wohl für alle Texter aller Mallorca-Songs, oder sagen wir so: Bescheidene Deutschkenntnisse genügen!

"Oleleoleole!"

Hinter der Zuckerwasserbühne wird mit Eiswürfeln geschossen, aber die Polizei greift nicht ein. Die Wiener Kieberer stehen cool in der Hitze, haben sie doch schon Ärgeres gesehen: Klimakleber, die den "Arsch unten" hatten, weil sie sich festklebten.

Patrick darf dann zu Jürgen auf die Bühne, kann aber den Text nicht.

Er geht so: "Oh! Ah!"

Dann wird Jürgen noch ein wenig Deutsch: "Sie war aus Leverkusen, und mir war klar: Ich wollte Milch aus ihrem Busen."

Leiberl mit Österreich-Wappen hinten drauf tauchen vermehrt auf. Der Nationalstolz, der normalerweise in Spanien gefeiert wird, zeigt sich heute zuhause.

Gierflation am Essensstand

Gesalzene Preise.
Standard / Christian Fischer

Der Burger kostet 9,90, die Pommes 6,90, die Käsekrainer mit Semmel 9,20. Die Stadt Wien erlaubt ihren Standelmietern, die Inflation weiter zu befeuern. Kann jemand einen Text mit "Gierflation! Gierflation! Gierflation!" schreiben?

Dass es zum Haiwaiihemd passende Haiwaiihosen gibt, wußte man bis hierher auch nicht.

Jürgen fordert: „Nach links! Nach links! Nach rechts! Nach rechts! Nach vor! Nach vor!“

"Es ist noch hell und ich seh schon schwer!", heißt es um 17.30 Uhr, also Marry auf die Bühne kommt, und der Text gilt für die meisten. Sie will – Überraschung! – "Hände sehen!", "Runter mit dem Arsch!" und "Zickezacke!" hören, und wer hier noch nüchtern ist, den beschleicht das Gefühl, dass auch alle weiteren "Acts" nur drei Lieder im Programm haben. Denen, die schon gut angefüllt sind, ist das aber wurscht, darum geht das heute noch bis 22 Uhr so weiter.

Schön war´s.

Beim Rückweg zur U-Bahn springen drei Burschis („Rein mit dem Arsch!“) von der Brücke in die Donau hinunter und schreien: "Oida, ist das kalt!" Eigentlich auch ein schöner Songtext. Bis den jemand verwurstet hat, singen wir freilich alle zusammen noch einmal: "Runter mit dem Arsch!" (Manfred Rebhandl, 28.5.2023)